Die Alben des Jahres 2016: 50 bis 41
2016 liegt endlich im Rückspiegel, der Jahrescharts-Wahn kann also auch an dieser Stelle beginnen: Das Heavy Pop-Ranking der 50 subjektiv besten, wichtigsten und liebsten Alben der vergangenen 12 Monate:
Honorable Mentions | MV(E)P | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 bis 01 |
50. Worm Ouroboros – What Graceless Dawn
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Während die mitreißende Wucht von VHÖl’s 2015er Meisterwerk Deeper than Sky nach wie vor nichts von seinem energischen Reiz verloren hat, ist Schlagzeuger Aesop Dekker längst schon wieder auf anderen Spielwiesen unterwegs. Als besonders nachhaltig erwies sich das dritte Worm Ouroboros-Album What Graceless Dawn, das von den beiden Bandköpfen Lorraine Rath und Jessica Way zu einer schwelgenden Meditation ausgelegt wurde, die sich allen Klassifikationen entzieht. Ob und inwiefern das nun Doom, Dark Folk, Post Metal, Goth oder Ambient ist, spielt allerdings ohnedies keine Rolle mehr, sobald man sich von diesen bedächtig fließenden Klanggemälden umspülen lässt, die eben viele Assoziationen wecken, aber letztendlich nur für sich selbst stehen. Und auch das bisherige Schaffen der Band konsequenter vertiefen. Worm Ouroboros sind formvollendeter und konzentrierter denn je Meister darin, ein rauschhaftes Stimmungsmeer zu kreieren und destillieren eine immer dichter werdende Atmosphäre zu einer ätherischen Reise, auf die man sich freilich einlassen muss. Details verschwimmen da nur zu leicht vor dem inneren Auge – wie unglaublich akzentuiert, zurückhaltend und vielseitig aber alleine das Spiel von Aesop Dekker ausfällt, lässt sich dennoch nicht übersehen.
49. Ebbot Lundberg & The Indigo Children – For the Ages to Come
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For the Ages to Come teilt sich in gewisser Weise das Schicksal, das bereits Throw it to the Universe erdulden musste: Man ist es mittlerweile einfach schon derart gewohnt, dass Ebbot Lundberg mit seinen Platten abliefert, dass man deren tatsächliche Qualität erst nach und nach richtig zu schätzen weiß. Klassische Grower halt. Dabei hält gerade For the Ages to Come, das erste Album von Lundberg mit seiner neuen Band aus spirituellen Jungspunden, keine Sekunde mit seinen Vorzügen hinter dem Berg. Der hochinfektiös schunkelnde Titelsong geht für Tage nicht aus dem Kopf, Backdrop People wird zum hymnischen Rock angetrieben, während sich Beneath the Winding Waterway balladesk in einen hippiesken Wohlklang schmiegt. Aus einer intimen Zurückgenommenheit wird da nur zu mühelos ein reichhaltig instrumentierter Sonnenuntergang mit Bläsern und Streicher. Womit das romantische Spektrum überrissen ist: Ohne Überraschungen, aber mit einem unmittelbaren Gefühl nach Hause zu kommen empfängt Lundberg und setzt damit den Weg von The Soundtrack of our Lives mit minimalen Feinjustierungen fort. Um das also explizit festzuhalten: For the Ages to Come könnte sich zwar auch aus reinen Nostalgiegründen in dieser Liste platzieren, steht hier aber letztendlich wegen seiner elf unheimlich angenehm (und vor allem: quasi unter dem Radar immer wieder) zu konsumierender Ohrwürmer, drowning in a wishing well.
48. Dälek – Asphalt for Eden
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Eine Platte wie Asphalt for Eden wäre im ersten Leben von Dälek wohl undenkbar gewesen. Weil der MC aus New Jersey mit seinen beiden neuen Gefolgsleuten DJ rEk und Mike Manteca (Destructo Swarmbots) nunmehr tatsächlich die Hand reicht und über relativ zugängliche – mit tatsächlich greifbaren Melodien durchsetzten! – Gebilden wie Shattered unmittelbar an Bord holt. Das hat dann auch nur am Rande damit zu tun, dass sich der Mainstream über Alben wie Yeezus oder die Death Grips-Terroranschläge mittlerweile an die dissonanten Noise-, Industrial- und Drone-Würgegriffe gewöhnt hat, die Dälek vor über einem Jahrzehnt ohne kommerzielle Rückvergütung erfunden haben. Das Gefühl, dass Asphalt for Eden sich unbedingt ein Stück vom mainstreamtauglich gewordenen Kuchen holen will, ist schließlich niemals zugegen. Viel eher scheint Dälek mit neuem Rückhalt eine gewisse Altersmilde erreicht zu haben – und entwickeln gerade dadurch den Trademark-Sound der Ipecac-Jahre für Profound Lore Records (ausgerechnet!) spannend weiter. Die selbe Kompromisslosigkeit und Härte wie etwa ein From Filthy Tongue of Gods and Griots erreichen Dälek knappe zwölf Monate nach der Reunion damit auf diesem Comebackwerk zwar nie – und genau genommen fühlen sich die überschaubaren sieben Tracks hier alleine aufgrund der superkompakten Spielzeit von gerade einmal 38 Minuten auch eher wie eine Aufwärmübung für das Trio an. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau: Niemand sonst macht weiterhin derart finstere, schleppende, geschmeidige, verstörende, eigenwillige Platten wie Dälek. Auch, wenn man sich mittlerweile dazu eingeladen fühlt, der Malträtierung beizuwohnen. Gut also, diese absolute Ausnahmegruppe wieder zurück zu haben. Dennoch gilt: Harre der Dinge, die da aus dieser Ecke noch/wieder kommen mögen.
47. Ion Dissonance – Cast the First Stone
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Sechs lange Jahre mussten seit dem brutalen Nackenbrecher Cursed vergehen, bevor Cast the First Stone all die immer wieder in den Raum geworfenen Existenzbekundungen der kanadischen Querulanten als Tatsachenberichte untermauerte. Dennoch eine auslaugende Zeit, die durchaus reklamiert, die legendäre Frage weiterzubrüllen: „What the fuck is the matter with you?“ Also? Berseker Kevin McCaughey klärt auf: „We wanted to make sure that if we’re going to come back after such a long absence, we’re going to come back with a bang and put together a collection that is up to par with the work that we have done. There are no filler tracks, no gaps, no holes — we just wanted to make sure everything is angry, fast, pissed off and in order. And that’s what it is.“ Und verdammt, that’s what it is! Cast the First Stone ist ein wütendes, randalierendes und herrlich kompakt zündendes Ungetüm an der Front des den Breakdown suchenden Grindcore und eines bisweilen gar prollig abgestoppten Mathcore, ein angepisster Rundumschlag mit Stakkato-Spoken Word-Anfällen und infernalem Gebrüll, technischen Gitarrentricks und dissonanten Groove in den hinterhältigen Rhythmen. Und ja, sicher – genau genommen ist damit also alles beim Alten im Hause Ion Dissonance. Aber das stellt das polarisierende Quintett eben auch alleine auf weiter Flur.
46. The Pineapple Thief – Your Wilderness
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Eigentlich paradox. Dass Bruce Soord seine Band durch die den Sound von Your Wilderness so sehr prägende (und offenbar mittlerweile doch nicht nur temporäre?!) Verpflichtung von Porcupine Tree und King Crimson-Drummer Gavin Harrison – neben den Beiträgen von John Helliwell (Supertramp) und Geoffrey Richardson (Caravan) – noch weiter in die Nähe des ewigen Gradmessers Steven Wilson und klassischer Genre-Standards dirigierte, hat The Pineapple Thief wohl endgültig aus der zweiten Reihe des Progrock katapultiert. Möglich war dies, weil Soord über sein erstes Soloalbum 2015 eine bisher ungekannte Leichtigkeit und Unangestrengtheit gefunden hat, die er nun auch auf das Songwriting von The Pineapple Thief übersetzt. Das Ergebnis klingt nach traditionellem englischen Prog, betont aber die melancholische Schönheit, die Soord immer schon zu produzieren wusste, auf einer viel eindringlicheren Ebene als bisher, ohne dabei Gefahr zu laufen, den Charakter von der Masse an ähnlich gearteten Bands vereinnahmen zu lassen – nachzuhören bei Glanztaten wie In Exile oder Fend for Yourself. Puzzlestücke, die Your Wilderness nun eben nicht nur an die Spitze des bisherigen Porcupine Tree-Schaffens katapultieren, sondern über ein Gros der ähnlich verankerten Mitbewerber hebt. Das Können und das Gefühl des Bruce Soord wurde jedenfalls noch nie derart geschlossen zueinander gefügt.
45. Phantom Winter – Sundown Pleasures
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Wieviel Kälte, Finsternis und Nihilismus lässt sich in ein Album pumpen? Phantom Winter wagen nur ein knappes Jahr nach der Visitenkarte CVLT die Probe aufs Exempel und liefern mit dem Ergebnis eines pechschwarzen Monolithen, der nicht nur in hiesigen Breitengraden mit beispielloser Unerbittlichkeit in den Abgrund zieht – und zudem im Golden Antenna-Triumphjahr 2016 rund um Schmuckstücke wie Loss und Pale Dawn ein furchterregendes Ausrufezeichen setzt. Weil da ohnedies jeder Versuch zum Scheitern verurteilt ist, der die hier beschworene beklemmende Stimmung und so dicht gespannte Atmosphäre in Worte fassen zu wollen, sei an dieser Stelle noch auf zwei Faktoren hingewiesen, die man im Zuge von Sundown Pleasures nicht unter Wert verkaufen sollte: Erstens, dass kaum eine Band derzeit derart gut darin ist, für ihre abgründigen Kompositionen auch solch ideal-passgenauen Titel zu finden; Und zweitens, dass der Geschmack der Band hinsichtlich weiterführender Empfehlungen kaum hoch genug eingeschätzt werden darf – alleine für Hinweise auf Black Metal-Crust-Juwelen wie UNRU oder etwaige Ambient-Glanztaten wird man Phantom Winter noch über Jahre hinaus dankbar sein. Während Sundown Pleasures einen dann immer noch in den eisigsten Alpträumen verfolgen wird.
44. SubRosa – For this We Fought the Battle of Ages
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Mit For this We Fought the Battle of Ages legen SubRosa – wohl der ewige und größte Geheimtipp im weiten Sumpf der Doom-Spielarten – wieder einmal das beste Album ihrer Karriere vor, übersprudelnd vor Kreativität, pechschwarz vor Tiefgang. Das verkopfte High-Concept mal beiseite legend, wie niemals zuvor wird mit den Gegensätzen von symphonischer Schönheit, nicht unweit diverser etablierter Postrock-Größen (um das Hause Menuck beispielsweise), und monolithischer Härte gespielt, wird die sirenenhafte Instrumentierung und Inszenierung den Wurzeln in Sludge und Doom übergestellt. SubRosa verlangen Aufmerksamkeit, und sind vielleicht die Kammermusiker unter den Genrekollegen, entlohnen aber mit Spannungsbögen und musikalischen Erzählsträngen, mit denen man auch Metalfremde auf die gute Seite holen kann – Folk-Spielwiesen hier, Arcade Fire-Schlagseite dort, Metal-Chanson da. SubRosas Musik war immer schon für das große Kino, die erhabenen Momente im Depri-Doom gemacht, der Schritt zum Opus Magnum scheint mit diesem Album zum Greifen nah.
43. Kvelertak – Nattesferd
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In einem Jahr ohne (richtiges) VHÖL-Release, führt Partymetal™-mäßig natürlich kein Weg an einem neuen Kvelertak-Album vorbei. Wo sich oberflächlich bei der bestialischen Metal-Macht so einiges getan hat – vom Poduzentenwechsel bis hin zur endgültigen Ankunft des Artworks im Wikinger-Doom – wird am gewohnten Trademark-Sound nur Feinjustierung betrieben. Und wie sich herausgestellt hat, kann und will die Band um Schweinepriester Erlend Hjelvik auch nicht großartig anders, endeten Brainstorming(?)-Sessions vor den Aufnahmen zu Nattesferd doch nur in einer leichten Schlagseite gen Thin Lizzy und Van Halen, und der Erkenntnis, dass man ohnehin auf alles scheißt, was keinen Spaß macht. Die größte Auszeichnung an dem Ganzen ist dann doch, dass die spätestens seit Albumhälfte 2 von Album 1 befürchteten Ermüdungserscheinungen noch immer nicht eingetreten sind, und Kvelertak es immer weiter verstehen, neue Einflüsse spannend (und wenig kopflastig) in ihre Musik zu verweben. Spätestens hiermit sollte man sich eigentlich keine Sorge mehr um die Zukunft der norwegischen Tradition machen. Wann das Pulver verschossen ist, wird noch zu hören sein.
42. Frank Ocean – Blonde
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Ein Album ganz ohne exaltiertes Brimborium zu veröffentlichen, scheint undenkbar geworden. Besonders engagiert zeigt sich in dieser Disziplin Frank Ocean, der den Sexualität-Beipackzettel zu seinem Meistwerk channel.ORANGE rückblickend regelrecht zurückhaltend wirken lässt. Nach schier endlosen Verschiebungen war da plötzlich eine unfertiges Mittelding zwischen Restverwertung und Filmexperiment namens Endless, das ein (schließlich natürlich unangekündigten über Nacht kommendes) reguläres Studioalbum flankierte, das den so lange vorauseilenden Albumtitel kurzerhand ignorierte, sich ungeachtet des Artworks Blonde nannte und die fragmentarische Gangart seines Herolds mit deutlich stärkeren Songwriting als zerfahrenes Stückwerk perfektionierte. Denn genau dieses findet man in diesen flüchtigen Skizzen und Entwürfen trotz aller Sackgassen und unnötig loser Fäden auf Blonde immer noch zur genüge. Und gemeinsam mit der kaum greifbaren emotional so berührenden Ausstrahlung und Gesamtatmosphäre dieser 17 Entwürfe und Rohdiamanten sorgt dieses Gespür für zärtliche Melodien auch diesmal dafür, dass der Inhalt hier zu jedem Zeitpunkt über dem restlichen Brimborium steht. Nur dass Ocean die einzig offizielle physischen Versionen von Blonde (neben komplett überteuerten sonstigem Merchandise) exklusiv für 24 Stunden am Black Friday vertickte, kann dennoch einen etwas madigen Beigeschmack hinterlassen.
41. John K. Samson – Winter Wheat
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Das schlimmste an Winter Wheat ist die Gewissheit, dass eine grandiose John K. Samson-Soloplatte nicht einmal dann restlos über das mittlerweile zur Gewissheit gewordene Ende der Weakerthans hinwegtrösten kann, wenn der Mann aus Winniepeg wie auf seinem zweiten Soloalbum sich Verstärkung in Gestalt alter Gefährten wie Jason Tait, Greg Smith und Gattin Christine Fellows an Bord holt. Aber Winter Wheat will eben auch trotz aller stilistischer Gemeinsamkeiten nicht unmittelbar an das Vermächtnis von Reconstruction Site anknüpfen, sondern ist trotz der allgegenwärtigen Nähe zur ehemaligen Stammband zu jedem Zeitpunkt unverkennbar ein Soloalbum des großen Lyrikers und herzerwärmenden Sängers Samson. Eines, das es eben auch nicht darauf anlegt, mit reiner Kompensationarbeit zufriedenzustellen – sondern dies eher nebenbei tut. Stattdessen findet Samson seine Nische in zurückgenommenen, folkigeren Kleinoden, die in unsagbar schönen Juwelen wie Select All Delete oder dem Katzenfinale Virtute at Rest gipfeln. Da steht das Wasser in den Augen und die Haare von der emotionalen Gänsehaut zu Berge. Dann ist die Gewissheit da, dass die Dinge auch ohne die Weakerthans irgendwie gut werden könnten – weil man dem Soloschaffen von Samson bereits jetzt so viele die Seele streichelnde Momente der Melancholie verdankt.
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