Die Alben des Jahres 2016: 20 bis 11
Honorable Mentions | MV(E)P | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01 |
20. Salem’s Pot – Pronounce This!
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Wirklich in die Aufmerksamkeit der geneigten Fuzz-Doom-Kifferschaft gespielt haben sich Salem’s Pot wohl mit ihrem offiziellen Debut-Album …Lunar Ut Dig Pa Prarien (und der Titel des diesjährigen Nachfolgers sagt schon einiges über Humor und Attitüde der Band aus), auf dem schon einige totsichere Anzeichen darauf zu hören waren, dass sich die maskierten Schweden mit Leichtigkeit in die Ränge von Uncle Acid, Ghost, Electric Wizard und wie sie alle heißen spielen sollten. Und trotzdem sollte es trotz einer Vielzahl von Splits und Singles, eine verspielter und kreativer als die andere, immer nur die ehrenwerte Position des Underdog-Geheimtipps bleiben, die Salem’s Pot inne halten. Auch Pronounce This! denkt die doch sehr eingefahrenen Schemen des patentierten Riding Easy 70er Vintage-Styles hypnotisch unterhaltsam weiter, und sorgt dafür, dass es weiterhin keine langweilige Sekunde in der Diskographie des Label-Aushängeschildes gibt – nicht nur liegt hiermit die beste und abwechslungsreichste Platte von Salem’s Pot vor, auch wurde hier das nahtlose Changieren zwischen Impro-Jams und astreinen Horror-Pop-Hooks quasi perfektioniert. Vielleicht ist die Band (die unglaublicher Weise nur mit einem einzigen Mitglied, das auch tatsächlich ein Instrument spielen konnte, gegründet wurde) auch ganz zufrieden mit ihrem Underground-Kultstatus, den sie ja mit vielen ihrer Einflüsse – seien es Film oder Musik – teilen. Bleibt zu hoffen, dass dieser für sie immer schwerer zu halten bleibt.
19. Kate Tempest – Let Them Eat Chaos
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Im Spannungsfeld der sprachlichen Virtuosität eines Aesop Rock (dessen grandiose Optimierungsarbeit The Impossible Kid es – Spoiler! – gerade nicht in diese Liste geschafft hat) und der das UK so vielseitig sezierenden Klinge des Mike Skinner (der nach dem Ende von The Streets ja unter dem Radar der allgemeinen Aufmerksamkeit mit D.O.T. weitermacht) hat sich die Poetin, Spoken Word-Dichterin und Autorin Kate Tempest mit ihrem Zweitwerk selbst übertroffen. Let Them Eat Chaos presst als akribisch ausgearbeitetes Konzeptalbum rund um sieben schlaflos den Morgen erwartende Existenzen den Finger auf die sozialen und politischen Wunden eines Landes, das kurz vor dem Brexit stehen sollte. „People are dead in their lifetimes / Dazed in the shine of the streets / But look how the traffic keeps moving / The system’s too slick to stop working“ rappt sie im kühl groovenden Europe is Lost, schlüpft im dauerfeuernden Wortschwall in Rage: „England! England! Patriotism!/ And you wonder why kids want to die for religion?„. Das ist ebenso giftig wie schlau. Auch schlau genug dafür, dass sich das grandiose Songwriting von so zweckdienlichen wie griffigen Beats begleiten lässt, die sich hartnäckig im Ohr festsetzen und im Zusammenspiel nach und die unheilvolle Erkenntnis keimen lassen: Diese Platte anaylisiert nicht nur den Zustand Englands, sondern der gesamten heutigen Zeit.
18. Cult Of Luna & Julie Christmas – Mariner
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Mit den kühlen Geschichten aus dem All auf Mariner galt es definitiv warm zu werden, vor allem, wenn man sich auf der Cult-of-Luna-Seite des Fanspektrums der mitwirkenden Parteien befindet. Die stimmlichen Eskapaden der ehemaligen Chefkrächzerin von Battle of Mice und Made out of Babies Julie Christmas muss man nicht nur mögen, man sollte sie hier auch im Kontext der monumental epischen Endzeit-Klanglandschaften der schwedischen Post-Metaller akzeptieren können. Und wo Frau Christmas tatsächlich gelegentlich – bewusst – stimmlich eine schlecht geölte Yoko Ono kanalisiert, weiß sie ihr bemerkenswertes Organ auch tüchtig als zusätzliches Instrument einzusetzen, ideal für die abgespeckte Band um Johannes Persson, die ihre Postapokalypse im Rahmen zurückfährt, und die Bühne perfekt abgestimmt mit ihrem Gast teilt. Der Sludge ist wieder sumpfiger als zuvor, auch wenn den Gitarrenexplosionen wieder mehr Zeit gegeben wird, nur wird wo sich auf Eternal Kingdom noch acht Mann aneinander hochgespielt haben, jetzt der ozeanblaue Teppich für Julie Christmas auffrisiert. Weg von der Hymne hin zum Konzept, das hat Vertikal (+II) schon ganz gut vorgemacht (tatsächlich verwässern die wenigen Versuche, die Epik vergangener Zeiten zurückzuholen etwas), im Ergebnis präsentiert sich das faszinierende Mariner jedoch als das pointiertere, ausformuliertere Gesamtkunstwerk, das eventuelle Gimmick-Vorwürfe quasi im Vorbeigehen nach wenigen Minuten Warmlaufen abputzt.
17. Bölzer – Hero
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Es ist schon bemerkenswert, wie vierzig Minuten Material, einige hoch selbstbewusste Auftritte, und ausgeklügelte Öffentlichkeitsarbeit auch in den ausgehenden 2010er Jahren noch waschechte Hype-Lawinen auslösen könnten. Und nicht nur mit dem Artwork unterstreichen Bölzer ihre Stellung als unbeeindruckter Pfau in der düster-zwielichtigen Auslage von Iron Bonehead: vielleicht auf eine breitere Basis gestellt, aber nichtsdestotrotz facettenreicher als auf den vorausgehenden Wunder-EPs, geht es für Bölzer immer nur nach vorne, die Doom- und Crust-DNA in ihrem brachialen Höhlenmenschen-Black-Metal nie verleugnend. Referenzen kommen um Ecken, aus der man sie sowieso nicht erwartet hätte (ja, man darf mittlerweile von Old-School–Mastodon sprechen), die wenigen Alleinstellungsmerkmale, die zugunsten des quasi non-stop durchgetretenen Gaspedals verlorengegangen sind, lösen sich in einer nicht vermissten Dunstwolke aus abgestandenen Räucherstäbchen auf. Die Kompromisslosigkeit und Feingliedrigkeit im Detail zu suchen macht hier noch mehr Laune als auf Aura, und wenn’s dann beim nächsten Mal auch mit dem Gesang besser klappt, haben Bölzer durchaus das Zeug zu den neuen Sonnenrädern am Metalhimmel.
16. Sumerlands – Sumerlands
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Wo auch immer Arthur Rizk drauf steht, kann man sich sicher sein, dass traditionsbewusster, tief in de 70er und 80er-Jahren verankerter Metal drin ist, nicht zuletzt den Thrash von Power Trip malt das Extrem-Metal-Mastermind aus Philadelphia nun bald wieder mit an Perfektion grenzender Räudigkeit aus. Seine Supergroup Sumerlands nun schreibt sich die Zelebrierung des Riffs und der NWOBHM auf die Fahnen, immer haarscharf an der Käsigkeit vorbei. Jede einzelne der 33 Minuten des selbstbetitelten Debutalbums klingt direkt aus einer Klimax-Compilation von Iron Maiden, Judas Priest, Heaven and Hell oder Van Halen herausdestilliert, was allerdings – ebens wie bei den großen Vorbildern – nicht ohne kompetentes Songwriting zusammengehalten werden könnte. Wobei vielleicht auch schon die größte Stärke dieses im besten Sinne rückwärtsgewandten Schaulaufens erwähnt wäre – Sumerlands ist trotz seines ständigen Ritts auf dem Höhepunkt bemerkenswert zurückgenommen, weiß wann genug ist, und weißt kein Gramm Metal-Fett zuviel auf. Geschenkt, dass eindeutig die Gitarren hier der Star sind, und der atmosphärische Closer stilistisch aus der Reihe fällt (hier führen jedoch viele Wege in die Gruft), Sumerlands ist schlicht ein Manifest des Metals, und eine definitive Liebeserklärung von Meistern ihrer Klasse.
15. Touché Amorè – Stage Four
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Endgültig die – für die Band um Jeremy Bolm ohnehin schon immer sehr dehnbaren – Grenzen des Hardcore gesprengt haben Touché Amoré mit Stage Four, diesem Manifest des Abschiedes, das in einem Jahr gezeichnet von herzzerreißenden Alben vielleicht noch eine Sonderstellung genießt. Bolm trägte seine Seele nicht mehr nur lyrisch vor sich her, traut sich auch stimmlich mehr zu, und gibt sein intimstes in einer nie zuvor gehörten Intensität preis. Die kathartische Verarbeitung des Abschiedes von Bolms Mutter, die ohne sein Beisein 2014 an Krebs verstarb, führt nicht nur zum direktesten und emotionalsten Werk von Touché Amoré, sondern auch zum – und der Zynismus hält sich bei dieser Bemerkung in Grenzen – zweitbesten. Während in der Vergangenheit ein Gros der expressiven Schwerarbeit von den Gitarristen Clayton Stevens und Nick Steinhart ausging, stemmt Bolm viel in seiner Aufarbeitung selbst, liefert melodische Haken und fällt dabei nicht in die Interpretationsphären von Emotion, in denen beispielsweise La Dispute schwadronieren. Und nebenbei scheint mit der geistigen Entfesselung nicht zuletzt auch eine musikalische einherzugehen, hier hat man es mit einer Band zu tun, die den wichtigen Evolutionsschritt aus ihrem Mikrokosmus hiermit bereits im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens mit Bravour gemeistert hat – die Ausmaße an Empathie und Zusammenarbeit, die es unter diesen Umständen dazu wohl benötigt, zeichnen diese immer schon beneidenswert funktionierende Gruppe noch zusätzlich aus.
14. Marissa Nadler – Strangers
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Die Nadler multipliziert sich musikalisch stetig mit sich selbst, mit Strangers scheint sie allerdings endgültig auf unserem Planeten angekommen zu sein. Und welchen besseren Reiseführer hätte sich die Goth-Folkerin wieder aussuchen können, als Produzenten-Genie Randall Dunn, der ihr den am stärksten rockorientierten Sound ihres bisherigen Werkes aufdrückt. Was natürlich weder zu bedeuten hat, dass man sich hier nun lebensbejahende Gitarrensoli, oder einen der Erde entsprechenden Grundpositivismus erwarten sollte, die in die Breite gehende Instrumentierung hilft Nadler einfach, die alles erstickende Melancholie wie sie auf auf dem wolkenverhangenen July noch präsent war, mit an Earth, Wolves in the Throne Room oder Oren Ambarchi geschulten, Dunnschen Silbersteifen zu durchziehen. Prinzipiell ist bei vielen weltfremden aber trotzdem suizidal klingenden Musikerinnen – sei es eine Liz Harris, Margaret Chardiet oder eine Lana del Rey – im fortschreitenden Werk der Hang zur Klärung des eigenen Sounds wahrzunehmen, eleganter als Marissa Nadler hat diese Entschlackung allerdings noch kaum jemand vollbracht. Auf dem Weg aus der Isolation hin zur Dämonenaustreibung.
13. Car Seat Headrest – Teens of Denial
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Rechtliche Grundlagen außer Acht lassend stellt Teens of Denial die Frage in den Raum: Ist Dido eventuell die coolere Socke als Rick Ocasek? Zumindest liegt dieser Verdacht nahe, wenn die über knapp 12 Minuten melancholisch beginnende, immer triumphaler werdende und letztendlich postpunkig explodierende Mini-Rockoper The Ballad of the Costa Concordia ganz gewitzt an White Flag vorbeischrammen darf, während der Assimilierung des Cars-Klassikers Just What I Needed von Ocaseks Anwälten wegen einer geänderten Textzeile der Riegel vorgeschoben wurde und Will Toledo gezwungen war die unauthorisierten Änderungen durch Not What I Needed so gut als möglich vergessen zu machen – obgleich seine neue Plattenfirma neben haufenweise geschrotteten Vinylexemplare durch diese Impulsivität des notorischen Vielveröffentlichers und Major-Debütanten auf erheblichen Mehrkosten sitzen blieb. Fakt ist: Teens of Denial ist manchmal naseweiser und ambitionierter, als es Car Seat Headrest letztendlich gut tut. Wenn der gravierendste Vorwurf, den man der mitunter gewitztesten, erfrischendsten Indierockplatte 2016 machen kann allerdings jener ist, dass ein bisschen mehr Kompaktheit die Distanz von Parquet Courts zu Cloud Nothings noch idealer vermessen hätte, dann kann die Schlussfolgerung der eingangs aufgeworfenen Frage nur lauten: Will Toledo ist der coolste Socken von allen. Und Teens of Denial gleichzeitig die bisherige Krönung seines Schaffens, wie gefühltermaßen trotzdem erst der Beginn das vorhandene Potential eines Ausnahmetaltentes adäquat abzuschöpfen.
12. Swans – The Glowing Man
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The Glowing Man hat zwei große Probleme: The Seer und To Be Kind. Schließlich waren die beiden vorauseilenden Brocken einfach eher da und haben den Sound der zweiten Swans-Inkarnation schlichtweg bis zur Erschöpfung definiert und dekliniert. Mehr ging an sich nicht. Musste es aber – ein letztes Mal. Und das mit gutem Recht. Das finale Album in dieser Lebensphase ist nämlich nur auf den ersten Blick bloß Mehr vom Selben, auf den zweiten jedoch ein Lehrstück in Sachen Detailarbeit zwischen den Zeilen und im fein nuancierten Wahrnehmungsbereich. Freilich ist das alles extrem relativ zu verstehen, aber: Kurzweiliger und unterhaltsamer als auf dem geradezu straight rockenden The Glowing Man klangen trotz aller stilistischer Ähnlichkeit weder The Seer noch To Be Kind, mehr – nun ja – Spaß machte sowie keines der beiden Mammutwerke. Überwältigender hingegen…
Dass diese Swans auf Platte niemals besser zündeten als hier, ausgerechnet auf der anschließenden Tour jedoch gemischte Gefühle hinterließen, muss insofern als die zwei Seiten ein und der selben Medaille und eines ambivalenten Schwanengesangs verstanden werden. Es ist wohl gut, dass Gira die Reissleine zu ziehen geplant hat – auch und gerade weil niemand sonst da draußen verrückt genug ist die Lücke füllen zu wollen/können, die Swans zwangsläufig hinterlassen werden. Davor waren diese 118 Minuten aber als Puzzlestück eines Denkmals eben noch zwangsweise nötig: Wo Swans schon davor niemand mehr ihren Legendenstatus abspenstig machen konnte, wird The Glowing Man auf lange Sicht wohl die Platte sein, die man am unkompliziertesten anschmeißen wird, um sich daran zu erinnern, warum dem so ist.
11. Pinegrove – Cardinal
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„Cardinal is a lot about correspondence and travel — the image is a very abstracted geometrical bird“ erklärt Bandkopf Evan Stephens Hall Artwork und Konzept des zweiten Pinegrove-Albums – gefühltermaßen eher das Debüt der ungefähr sechsköpfigen Band aus Montclair, New Jersey. Immerhin haben Hall und Co. erst jetzt mit Songs wie Size of the Moon oder New Friends angeschlossen, die schon jahrelang im Fundus der Kombo auftauchen, aber nun im Finale von Cardinal endgültig hinaus in die Welt entlassen werden. Nicht der schlechteste Zeitpunkt. Weil Pinegrove sich mittlerweile auch soundtechnisch gefunden haben, und mit dem im eigenen Schlafzimmer aufgenommenen Album eine vor Direktheit, Intimität, Klarheit und Unmittelbarkeit nur so strotzende Produktion und nahbare Stimmung einfingen, die den Charakter der Kompositionen perfekt unterstützt.
Wobei man eben auch sagen muss: Diese Nummern funktionieren im Grunde in jedem Kontext – von der Schulkyl-Reduktion bis hin zur Audiotree-Session – per se einfach überwältigend. Kriegen einen mit ihrer packenden Zuneigung und Leidenschaft, mit all dem Herzblut, das in dem universellen Storytelling steckt und letztendlich in einer Platte mündet, die ihre (erst unscheinbare, aber unaufhaltsam wachsende) Größe auf eine relativ simple Wahrheit aufbaut: Das Leben ist vergänglich, was am Ende zählt ist die Liebe – egal in welcher Form, egal ob es einen guten Ausgang nimmt. „What’s the worst that could happen?/ The end summer and I’m still in love with her/ I said/ Forget it„. Weitermachen, den Optimismus nicht verlieren. „My steps keep splitting my grief/ Through these solipsistic moods/ I should call my parents when I think of them/ Should tell my friends when I love them“ weiß auch Hall im schönsten Spannungsfeld, das die Pole Indierock und Emo 2016 zu erzeugen wussten. „Listen to this. Then call someone you love. Repeat“ rät ein Typ via Bandcamp. Tatsache, genau so funktioniert Cardinal.
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