Zach Bryan – The Great American Bar Scene

by on 6. Juli 2024 in Album, Heavy Rotation

Zach Bryan – The Great American Bar Scene

Im Vorfeld der Veröffentlichung seines fünften Studioalbums kam Zach Bryan live auf die eine oder andere besorgniserregende Idee. Wenn es darauf ankommt, liefert er aber weiterhin mit einem bestechenden Gespür für das geschmackvolle Momentum ab – in Form von The Great American Bar Scene sogar mehr denn je auf eine universelle Zeitlosigkeit (aus amerikanischer Sicht) bedacht.

Über weite Strecken ist The Great American Bar Scene ein an sich unspektakuläres, kaum aufregendes Album geworden, das selten bis nie dick aufträgt und sich im Zweifel stets für eine gewisse Zurückhaltung entscheidet. Ein Komfortzonen-Sinieren, dessen größte und einzige Überraschung womöglich der allürenfreie Umgang der Musik mit jenen Sphären ist, in denen ihr Urheber mittlerweile Erfolge feiert.
Gerade der Einstieg – mit dem Spoken Word-Intro Lucky Enough (Poem), dem unendlich relaxt dahinschippernden Mechanical Bull in seinem exemplarisch wohldosiertem Instrumentarium samt kontemplativ plätschernden Tempo vor dem fast elegischen Titelstück oder dem wehmütig mit Klavier den Raum zwischen Folk und Americana in ähnlichen Gefilden wie Bright Eyes erkundenden Instant-Liebling und Schwofer 28 – könnten nämlich zu einer Geduldsprobe für all jene werden, die es nach größeren Bryan-Hits für ausverkaufte Stadion verlangt (auch wenn diese aufgrund der erst im Abgang der Platte positionierten Watchhouse-Vorabsingle Pink Skies schon zu diesem Zeitpunkt beruhigt mit zumindest einem zuverlässigen Ohrwurm rechnen können).
Aber alleine schon der Umstand The Great American Bar Scene seinem Publikum pünktlich zum 4. Juli als Soundtrack anzubieten, spricht für das exquisite Timing der Platte und einen Musiker, der nach einem kometenhaften Aufstieg instinktiv weiß, dass er nichts überstürzen oder erzwingen muss. Und auch deswegen wird dies die immense Popularität von Superstar Bryan fraglos noch weiter steigern – dies aber wie die nebensächliche Sache der Welt wirken lassen.

Der Verbund 19 neuer Nummern springt einen also nicht an, schmiegt sich aber ohne Angst aufgrund seiner langen 63 minütigen (und manchmal etwas gleichförmigen) Masse erdrücken zu können, wie ein alter Bekannter ins Ohr, heißt mit einer unmittelbaren Vertrautheit willkommen.
Die Hooks bleiben dabei streng genommen abgeschöpfte Variationen aus einem bereits bekannten Pool der Melodien. Bryan bewegt sich eben weiterhin in einem genormten Spektrum, weswegen die Achse aus Quantität und relativer Formelhaftigkeit im Songwriting durchaus an den MO von Taylor Swift denken lässt.
Doch differenzieren sich die Songs hier merklich auseinander, bleiben individuell hängen (auch wenn Bryan seine Musik wohl immer über seine Gesangslinien definieren wird und eventuell nie durch explizit erinnerungswürdige Riffs oder dergleichen), wo ist die Qualität der Stücke nicht nur konstant hoch ist – sie wachsen über die übergeordnete Atmosphäre und Stimmung auch noch (weswegen Songs, die auf den ersten Blick wie patentierte Standards anmuten, auf den zweiten aber eher wie hauseigene Evergreens gefallen) und bieten sich als Hymnen für die stillen Momente an, deren Hebelwirkung Bryan so mühelos beherrscht: eine nostalgisch der Zukunft entgegenblicken Aufbruchstimmung zum epischen Augenblick zu erheben.

Spätestens sobald das famose American Nights in dieser Tugend mit polterndem Drums, souligen Backing Vocals, gniedelnden Gitarren und Mundharmonika nach oben strebend aufbricht (und ein bisschen so klingt, als hätten Titus Andronicus mit einem gemütlichen Brian Fallon ein Rockalbum aufnehmen wollen), sich dabei aber symptomatisch auf die produktionstechnisch unprätentiöse, bodenständige DIY-Attitüde von Bryan verlässt, geben sich die ohne Begeisterungs-Not so rundum erfüllenden Augenblicke die Klinke in die Hand.
Das abenteuerliche Oak Island bekommt mit subtilem Orgel-Verve und Trompeten einen schmissigen Drive und dreht dann eruptiv explodierend frei, wo Boons mit seinen gefühlvoll wärmenden Choral-Texturen cinematographische Wirkung erzeugt. The Way Back könnte im Refrain eine soulige Adaption von Bryan Adams Heaven mit klackernden Drums und klimpernden Tasten als Schleife drumrum sein, Bass Boat agiert ähnlich aber näher bei Bon Iver.
Die wehmütige Rastlosigkeit von Like Ida keimt in der Romantik und Towers erblüht aus der verletzlichen Einkehr im beschwörenden Gospel. Das solide, aber nicht essentielle Northern Thunder bekommt weibliche Schraffuren und lässt Bryan als Duftmarke röhren, bevor das Schlagzeug in Funny Man eine verträumte Sehnsucht umsichtig antreibt und Bathwater den gemeinschaftlichen Abspann hinter einem etwas schwächeren finalen Platten-Viertel kreiert.

Der Americana, Alt. Country, Heartland Rock und Red Dirt lehnt sich dabei oft deutlicher als bisher in Singer-Songwriter-Gefilde zurück, während der Einfluss von Dylan und vor allem Bruce Springsteen absolut greifbar wird, mehr noch, letzterer gar wie der Schutzpatron der Essenz von The Great American Bar Scene scheint.
Der heute 28 jährige Bryan hat das Werk des Boss merklich verinnerlicht, auch wenn er noch gar nicht auf der Welt war, als 1995 dessen wohl letztes wirklich großes Werk erschien. Dass der referentielle Beat von Sandpaper nun eine lauernde Hommage an I‘m on Fire agiert und Sensations-Gast Springsteen selbst so natürlich in den eigenen Kontext übersetzt, kann durchaus als exemplarisch für das gesamte Wesen des Albums verstanden werden.
Neben diesem so adelnden Feature erweist sich der vor einigen Monaten noch so vollmundig scheinende Aprilscherz von Whiskey Riff (?)nun übrigens sogar zu zwei Drittel wahr, weil auch John Mayer auf der Gästeliste erscheint: Better Days ist ein hoffnungsvoller, luftig-sommerlicher Optimismus, der seine Freude an nonchalant flanierender Gitarrenarbeit hat. Memphis; The Blues mit John Moreland relaxt dagegen geradezu inbrünstig und Purple Gas von und mit Noeline Hofmann ist ein melancholisch entschleunigtes Country-Duett. All die von dieser Schar beigesteuerten Impulse fügen sich dann auch wunderbar homogen in das Gesamtwerk, addieren Facetten behutsam in die Rezeptur und zaubern gar nicht kleine Highlight-Augenblicke.

Überwältigend im schattenwerfenden Sinn sollen dabei jedoch auch diese namhaften Besuche nicht ausfallen, das Rampenlicht bleibt auf die persönliche Ebene des Songwritings gerichtet, die Bryan im Wirbelsturm des öffentlichen Interesses als realitätsnahen Kumpeltyp zeigen. Wie authentisch und ungeschliffen dies gelingt, ist schon ein kleines Wunder.
Und es trägt seinen Teil dazu bei, dass es nicht ins negative Gewicht des großen Ganzen fällt, dass das ausfallfreie The Great American Bar Scene freilich ein wenig zu lang geratenist. Dass es absolut klar geht, die herausragenden Killer-Songs wie auf American Heartbreak auszulassen, weil das Album in Summe dafür auch niemals Gefahr läuft, so zu übersättigen wie das 2022er Durchbruchswerk. Oder dass es nicht den präzisen Punch von selbstbetitelten Zach Bryan aus dem Vorjahr braucht, weil dafür das Gefühl eines gleichzeitig weitläufigeren und subversiveren Panorama aufgetan wird. Das fünfte Album in ebenso wenigen Jahren zeigt den 28 jährigen Amerikaner weit weg von twerkenden Meme-Aktionen in beeindrucken reifer, runder und zeitloser Form.

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