Yob – Our Raw Heart
Mike Scheidt ist dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen. Seinen Leidensweg zeichnet er auf der tongewordenen Katharsis Our Raw Heart weitestgehend überwältigend nach, indem er eine für die Doom-Philosophen Yob bisher ungekannt-ergreifende Schönheit findet.
Im Januar 2017 hing Mike Scheidts Dasein am seidenen Faden: Die Krankheit Divertikulitis – Entzündungen im Dickdarm – kosteten ihn beinahe das Leben. Gerettet hat ihn erst eine Notoperation, die weitaus länger dauerte, als erwartet – danach stand eine schwerwiegende Genesungsphase voller Schmerzen, Medikamente, Halluzinationen und tibetanischer Buddhismus.
Noch im Krankenbett schrieb Scheidt allerdings bereits wieder wie ein Besessener, obgleich unklar war, ob er und seine Kollegen Travis Foster (Drums) und Aaron Rieseberg (Bass) den Weg in die Krankheit und zurück überhaupt jemals vertonen würden können – ob die Band Yob am Ende des Martyriums überhaupt noch existieren würden.
Mittlerweile weiß man: Yob haben die Zeit der Ungewissheit nicht nur überlebt, sie sind sogar durchaus gestärkt aus dem Martyrium herausgekommen. Die Band agiert auf Our Raw Heart jedenfalls geduldig aus ihrer Mitte heraus, klingt mit schwereloser Zeitlupen-Heavyness kraftvoll und nuanciert wie immer, doch räumt sie zugänglicheren Melodien und griffigeren Harmonien mehr Flächen ein, als je zuvor. Irgendwo im Spannungsfeld aus Clearing the Path to Ascend (2014) und Atma (2011) klingen Yob gewohnt massiv, aber eben auch verletzlicher, feinfühliger, intimer, erschütternder – demütiger.
Was auch an der stimmlichen Performance des Yob-Masterminds liegt. Diese ist ehrfurchtgebietend, vielleicht noch stärker als jene in den ohnedies bereits so Dio-würdigen Fußspuren des 2015er-VHÖL-Meisterwerks Deeper than Sky. Der 47 Jährige schraubt sein Organ jedenfalls in schwindelerregende Höhen, growlt dann wieder unerbittlich, vermisst eine unheimlich intensive Bandbreite voller emotional aufwühlender, zutiefst packender Szenen. Keine Selbstverständlichkeit: „Ich litt unter Muskelschwund, hatte schwere Eingriffe hinter mir, meine Innereien wurden defacto umgestaltet. All dies wirkt sich natürlich auch auf die Fähigkeit zu singen aus.“
Viel Kampf, Durchhaltevermögen, Leidenschaft, Training und neue Techniken später gibt es über die 74 versammelten Minuten insofern unglaublich wenig zu beanstanden.
Die Produktion (Billy Barnett) samt Mix/Mastering (Heba Kadry – The Mars Volta, Diamanda Galas, Slowdive) – ist vielleicht um das Quäntchen zu dünn ausgefallen, was sich gerade in den heavier zudrückenden Momenten mit einem minimalen Mangel an Durchschlagskraft rächt. Dazu offenbart die Dynamik des Albumfluss im Mittelteil der Platte eine kurze Stafette des Leerlaufs: Das gute, aber auf Autopilot verdichtende In Reverie pflegt eine auslaugende Monotonie, die (zumindest über die zu ausführliche Dauer von knapp 10 Minuten) zu wenig Inspiration erkennen lässt und für Yob praktisch Malen nach Zahlen darstellt: Ein guter Standard.
Das folgende Lungs Reach ist dagegen als „kürzester“ Track ein stimmungsvolles Intermezzo, das im Kontext funktioniert, aber nichtsdestoweniger im unentschlossenen Zwiespalt existiert: Nach einem langen, atmosphärischen Ambient-Eingang kippt die Nummer in einen reinigenden Funeral Doom – mit patentierter Genre-Klasse beschworen, aber ohne konkretes Ziel vor Augen.
Abseits davon schwelgen Yob jedoch in wohlklingender Doom-Trance nahe der Perfektion. Ablaze nimmt sich lange Zeit um an Fahrt aufzunehmen, entwickelt entlang seiner hypnotischen Gitarre aber praktisch unmittelbar einen hypnotischen Sog, der mit repetitiven Stoizismus den erhabensten Weg findet, um sich in den Post Metal zu strecken. Gar nicht unbedingt agressiv, als vielmehr unendlich flehend, leidend und mit erhabener Statur verzweifelnd assimiliert der Trademarksound von Yob hier Schattierungen von Neurosis und Mastodon, ist ein früher monolithischer Triumph.
Das grandiose The Screen konterkariert danach ein an heruntergestimmt rollenden Minimalismus kaum zu unterbietendes Riff mit entschleunigten Slo-Mo-Rhythmen, probt den ikonischen Nackenbrecher in Zeitlupe. Scheidt singt mit einer skandierend-gepressten Abgehacktheit wie der röchelnde Nachhall von Tom Araya und schwingt sich im Refrain des Ausnahmesongs doch wieder zu epischer Statur auf, während das verhältnismäßig kompakte Original Face die Spannungen enger zieht und entlang zahlreicher Ecken und Kanten einige Hooks und auch Soli-Ansätze für den Best-Of-Kanon der Band parat hält.
Noch überragender gerät Beauty In Falling Leaves, ein absolutes Karrierehighlight: Yob zelebrieren hier eine allumfassend einnehmende, zurückgenommene Melancholie, behutsam und zärtlich, die immer wieder in tonnenschwerer Schönheit aufplatzt und eine Beinahe-Ballade von ergreifender Erhabenheit zaubert, die kontemplativ, träumend und auch ein gutes Stück weit magisch fesselt: Das imposante Herzstück von Our Raw Hearts ist schlichtweg tröstende Traurigkeit von ergreifender, majestätischer Formvollendung.
Dort entlässt dann auch der näher am Postrock schwelgende Titelsong, der so hoffnungsvoll über den Horizont in Richtung Zukunft blickt. Eine psychedelische Spiritualität von unendlich scheinender, zentnerdicht getürmten Grandezza ist da, zudem ein klar strahlender Optimismus, der Yob ausgezeichnet steht und den Kreis schließt: „Dieses Album ist Teil dessen, was wir [den unterstützenden Fans] zurückgeben wollen“ sagt Mike Scheidt und beschert seinen Anhängern mit dem achten Studioalbum eines der überwältigendsten Werke von Yob: Operation gelungen, Patient alles andere als tot.
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