Yo La Tengo – We Have Amnesia Sometimes
Improvisierter Drone, Ambient und Postrock: Yo La Tengo beweisen sich mit dem spontanen Pandemie-Ausschnitt We Have Amnesia Sometimes als Meister der tiefenwirksam treibenden Atmosphärearbeit.
Gewissermaßen lassen die fünf Nummern dieser strukturoffen fließenden Platte einen Blick auf die Zeugung konventionellerer, typischer Yo La Tengo-Songs zu, wie die Linernotes der nur digital veröffentlichten Platte offenbaren: „If you’ve spent any time hanging out with us at our rehearsal space in Hoboken — that pretty much covers none of you — you’ve heard us playing formlessly (he said, trying to sidestep the word “improvising”). Most of the songs we’ve written in the last 25 years have begun that way, but often we do it for no other reason than to push away the outside world.“
Und weiter: „In late April, with the outside world weighing on everybody, we determined that the three of us could assemble in Hoboken without disobeying the rules laid out by Governor Murphy, and resumed . . . “practicing” hardly describes it, because we’ve done no practicing per se, and anyway what would we be practicing for . . . playing. James set up one microphone in the middle of the room in case we stumbled on something useful for the future. Instead we decided to release some of the things we did right now.“
Mit dieser Ausgangslage ist We Have Amnesia Sometimes dann vor allem auch eine Lektion darin, dass man dieses improvisierte Metier der Musik einfach beherrschen muß, um nicht in die austauschbare Beliebigkeit abzudriften – und Yo La Tengo tun dies, haben das Gefühl für Tiefe und Nuancen, das Gespür für Details, Facetten und Stimmungen; dazu die Ruhe, um den erschaffenen Klangräumen instinktiv und zuversichtlich folgen.
Insofern bekommt jeder der fünf versammelten Nummern nicht nur einen eigenen Charakter, sondern fügt sich als Teil des mosaikartigen Ganzen zu einem runden, wenn auch sicherlich nicht ikonischen Gesamtwerk zusammen – dem man dann höchstens vorhalten kann, dass die insgesamt 38 Minuten Spielzeit gerne noch ausführlicher ausfallen hätten dürfen. Auch so hebelt ein Tauchgang in We Have Amnesia Sometimes den Augenblick jedoch ein gutes Stück weit aus.
James and Ira demonstrate mysticism and some confusion holds (Monday) eröffnet beinahe orchestral schimmernd, man kann an die Einzugsgebiete von Godspeed You! Black Emperor und ihren epischen Songmonolithen denken. Kristallin wirkt der Ambient, im Hintergrund knarzt es heimelig aus dem Studio: Diese Landschaft will nicht überwältigen, sondern ein intimes Gefühl erzeugen, distanzlos umspülen, und pflegt den Charme einer vertraulichen Home Recording Session. In Georgia thinks it’s probably okay (Tuesday) bindet eine hypnotisch oszillierende Gitarrenlinie den Bewusstseinsstrom, der sich über immer selbstsicherer agierende Drone-Frequenzen und Feedback-Nebel ausbreitet, bevor sich in James gets up and watches mourning birds with Abraham (Wednesday) poppige, postrockige Konturen aus dem verwaschenen Schleier zu schälen beginnen, vage Rhythmen ätherisch in Watte gepackt dahinstampfen, in das charmant verträumter Noiserock ohne garstige Spitzen, aber verhalten jubilierenden Tendenzen ist.
Georgia considers the two blue ones (Thursday) bratzt als Highlight dumpfer und synthetischer, gewinnt durch einen munter klackernd-klopfenden Rhythmus aber eine sparsame Griffigkeit. Daher dazu auch langsam zarte Melodielinien sprießen, verfällt man mit geschlossenen Augen in den Sog irgendwo zwischen einer improvisierten Kraut-Trance und shogazenden Odyssee. In Ira searches for the slide, sort of (Friday) brutzelnd die Verstärker und knistern die Saiten ein letztes Mal, gefällt man sich schrammelnd und gedankenverloren als mäanderndes, angenehmes Lagerfeuer im Studio. Dass man an diesem und den herum nachwirkenden kreativen Prozess kurzerhand teilhaben durfte, ist freilich eine feine Sache – zumal mit diesen grandios pragmatischen Songtiteln. Auch, weil sich wieder einmal beweist, dass Yo La Tengo, egal in welcher Ausprägung, offenbar einfach nichts wirklich falsch machen können.
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