Yo La Tengo – Murder in the Second Degree
10 Jahre nach dem so spaßigen wie nur bedingt hörbaren Cover-Rundumschlag Yo La Tengo Is Murdering the Classics serviert die Institution aus Hoboken mit Murder in the Second Degree 27 neue Interpretationen von Fremdkompositionen (sowie ein Mega-Medley), um dem Independent-Radiosender WFMU aus New Jersey unter die Arme zu greifen. Bei dieser ohne Scheuklappen umhertigernden Hatz stellt sich nur die Frage: Wohin eigentlich zuerst schauen?
Eventuell bei dem abermals von Adrian Tomine beigesteuerten, tollen Artwork: Georgia Hubley, Ira Kaplan, James McNew und Dave Schramm erfüllen da den letzten Wunsch des am elektrischen Stuhl sitzenden Bill und spielen den Foundations-Klassiker Build Me Up Buttercup in einer Radiosession – nur eben dank WFMU um Minuten zu spät für den zum Tode Verurteilten.
Auf Murder in the Second Degree sieht die Sachlage da dezent anders aus: Schramm ist auf diesem Track nicht zu hören (weil die Aufnahmen der Songs großteils bereits Jahre zurückliegen – „We compiled Murder in the 2nd Degree years ago. Would it have made sense to tweak the contents, and add some more recent material? Undoubtedly. But that would require us to listen back to more of these performances. And as Half Japanese put it so aptly on “No More Beatlemania” (not included): “Once is enough.”), dafür aber Peter Walsh und Radio-Kompagnon Bruce Bennett sowie Kelsey White und Leila Rosenthal als Unterstützung am Mikro, wodurch die Interpretation erst so recht ein windschiefes Karaoke-Flair bekommt.
Das Ergebnis klingt insofern noch überdrehter neben der Spur liegend, als man das bereits von Yo La Tengo is Murdering the Classics gewohnt ist – am Konzept, die Band mit den Songwünschen unvorbereitet zu überraschen, und diese nur anhand des eigenen Erinnerungsvermögens nachspielen zu lassen, hat sich eben nichts geändert: „We have attempted to play their requests, with no prior knowledge of what those requests will be, and without utilizing any of the many web sites that provide lyrics and chords. We rely instead on a lifetime of listening and the forgiveness of our audience„.
Build Me Up Buttercup stellt insofern einen die Augenbrauen nach oben wandernden Ausbruch nach unten dar. Doch man muss sich schon bewusst sein: Ernst meinen Yo La Tengo das alles nicht. Womit schon das krude taumelnde Eröffnungs-Instrumental Alley Cat gleich zu Beginn auf den 77 minütigen Spontanitäts-Reigen vorbereitet. Es gibt auf Roadmovie-Niveau ausgemergelten Glamrock, der der Band ohne ausformuliert zu sein hervorragend steht (New York Groove), einen kurzweilig geschrammelten Grateful Dead-Jam samt leidenschaftlichem Finale (Bertha) oder den kratzigen Punkrock von Stiff Little Fingers‚ Suspect Device. Selbst der Sprung von den Violent Femmes (Add It Up bekommt einen räudigen Basslauf verpasst und sitzt mit seiner bissigen Hyperaktivität famos) zu den Bee Gees (To Love Somebody mutiert zu einer auseinanderbrechenden Velvet Underground-Pop-Hommage) gelingt da mühelos aus dem Handgelenk geschüttelt, auch der lässig schlendernde Motown-Rock’n’Roll von First I Look At The Purse (The Miracles) läuft wie am Schnürchen.
Im Grund macht es so alleine schon unheimlichen Spaß, sich überraschen zu lassen, welche Größe Yo La Tengo als nächstes vor die Flinte kommt: Ob das nun Thin Lizzy (eine unkomplizierte Roadhouse-Version von Jailbreak), Bob Dylan (eine schön wärmende Streicheleinheit mit The Girl From the Northern Country), die Stones (in Emotional Rescue fistelt sich die Band albern um die tolle Gitarrenarbeit), Lee Hazlewood (ein betont cool ausgelegtes, aber natürlich Yo La Tengo-mäßig herzig daherkommendes Some Velvet Morning), The Kinks (eine relativ Noise-affine Krawallorgie ist King Kong geworden), The Ronettes (Be my Baby läuft schaumgebremst wie unter Narkose), Willie Nelson (von Crazy bleibt nur eine träumende Andeutung über) oder ein Amalgam aus Traffic und Buffallo Springfield (The Low Spark Of High-Heeled Boys dängelt bluesig um den grotesken Kopfstimme-Gesang, Mr. Soul driftet psychedelisch ab) darstellt – alles klingt nach Yo la Tengo, nur eben in spontan bis zur Schmerzgrenze.
Dazwischen gibt es sicherlich einige stille Schmankerl (I Wanna Be Free von den Monkees oder Different Drum von Mike Nesmith) oder überraschende Ausbrüche (Pay to Cum von den Bad Brains bleibt auch in den Händen von Yo la Tengo ein agressiv-rauschender Hardcore-Brecher; Hey Ya! von OutKast ist schlit nahezu unhörbar) aus dem unheimlich charmant aufgehenden Lo-Fi-Sammelsurium, vor allem aber eben auch viel Unsinnigkeiten wie etwa das halbminütige Chaos Civilization (Bongo Bongo Bongo) oder die unausgereifte Fingerübung Popcorn.
Freilich gehört es da zum Konzept, dass die Ergebnisse im Gelingen stark variieren, aber stets ein bisschen unbeholfen klingen und eher die vagen Skizzen bekannter Songs abbilden – ob der Vielseitigkeit und ungeprobten Versiertheit von Yo La Tengo dann allerdings doch staunen und noch öfter aber schmunzeln lassen. Und sicher: Der Mehrwert hält sich dabei nach dem ersten Überraschungseffekt doch ein wenig in Grenzen, die Soundqualität lässt zudem zu wünschen über. Es ist jedoch reines Understatement, wenn die Band selbst erklärt: „As listeners familiar with Yo La Tengo Is Murdering the Classics already know, but you will learn the hard way: There are endless ways to ruin a song.“
Selbst Harcore-Fans werden die Liebhaber-Veröffentlichung Murder in the Second Degree zwar wohl niemals derart neugierig genießen, wie beim ersten Durchgang, und die exotische CD danach mutmaßlich nur sehr selten wieder bewusst hervorkramen. Passt aber schon so: Vor allem in Anbetracht der Entstehungsgeschichte ist diese nicht zu ernst zu goutierende Compilation eine weitere schrulliges Fußnote, für die so liebenswerte Discografie dieser Ausnahmeband.
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