Wrekmeister Harmonies – We Love To Look At The Carnage
J.R. Robinson und Esther Shaw machen bei der überraschend direkten Menschwerdung des 2018er-Vorgängers The Alone Rush weiter, verpassen ihrem Weltschmerz auf We Love to Look at the Carnage aber einen überraschend tröstenden Rahmen.
„Things could always be worse“ sagt Robinson und fasst den Hoffnungsschimmer, der über dem nominell fünften Studioalbum des Duos aus Brooklyn liegt, in ein zweckoptimistisches, für die dunkle Aura von Wrekmeister Harmonies aber natürlich passendes, relativierendes Bild. Nur weil We Love to Look at the Carnage gewillt ist, das Positive zu sehen, bedeutet dies freilich nicht ausnahmslos, dass die stets hinter einem Nebel der Unwirklichkeit isoliert scheinende kammermusikalischen Melange aus Dark Folk, Postrock und Drone tatsächlich lichtdurchflutet auftreten würde. Doch es stimmt: Zumindest das resignierende Element ist seit dem Vorgänger aus der Klangmitte verschwunden, der abgekämpfte Abgrund wird zumindest phasenweise hinter sich gelassen, eine ungekannte Wärme ersetzt die Depression und das Ende des Tunnel kommt nicht nur in greifbare Nähe, die Vorhänge sind nicht mehr zur Gänze zugezogen.
Man kann sich We Love to Look at the Carnage insofern ein bisschen wie die andere Seite jener Medaille vorstellen, deren ideellen Wert man dank The Alone Rush bereits kennt. Die Katharsis der Isolation scheint vor zwei Jahren jedoch mit einer neuen Form der Gelassenheit Wurzeln geschlagen zu haben, in der Heimeligkeit einer endlegenen Waldhütte hat das Duo einen unruhigen Frieden gefunden.
Es herrscht nunmehr eine versöhnlichere Form der Düsternis, die von Thor Harris (Swans) als altem Bekannten auf der Gästeliste mit bedächtigem Spiel im unheimlich sparsam aufgeräumten Klangraum getragen wird, sich mehr noch aber von Jamie Stewart (Xiu Xiu) subversiver Elektronik unterwandert zeigt, kaum prägnant lokalisierbar, die Texturen für eine friedliche Auftrittsfläche öffnet.
Mit welcher angenehm verträumten Schönheit gleich Midnight To Six den Reigen als unwirkliche Pianoballade mit glimmernden Americana-Drone öffnet, ist eine überraschende Wohltat ohne Zynismus. Robinson legt seine sonore Baritonstimme über die leise Sehnsucht dirigiert zwischen Nick Cave und Hope of the States, intoniert am Goth-Flair schwerfällig mit aufrechter Haltung, während die Violine die Gitarren zum erhebenden, orchestral schimmernden Crescendo in sanfter Intensität führen. Eine Stringenz, an der Wrekmeister Harmonies freilich nicht immer interessiert sind, wie das folgende Still Life With Prick Cancer als Jam-Meditation irgendwo zwischen Postpunk-Delirium, Dark Wave und Country-Fiebertraum vorführt.
Im Ambient wattend ist das andächtig und unheilvoll, die Synthies schimmern und Stewart am Mikro vermittelt eine Nähe zu Sixteen Horsepower, profan schrammt die Kakophonie vorbei und hämmert eine Endzeitballade in die Tasten. Für sich genommenmag das orientierungslos wirken – im Kontext funktioniert das erste von zwei überlangen Stücken jedoch als strukturoffene Gravitationsfläche, die die Breitenwirksamkeit der neuen Kontraste lebendig praktiziert und damit auch Raum nimmt, um anderswo die Konturen zu schärfen.
Gerade Coyotes of Central Park hat als Herzstück und kürzeste Nummer der Platte eine der fabelhaftesten, eingängigsten Melodien der Bandgeschichte, die wie eine sakral-anmutigen Empore im Lavalampen-Flair thront. The Rat Catcher übernimmt zärtlich und sanft, doch die Band beschwört einen ätherischen Sturm, leicht dissonant, der erst live wohl seine wirklich mächtige physische Präsenz destillieren wird – hier umspült er als hypnotische Trance, holt den Chant in die Kathedrale, färbt den psychedelischen Post Rock von Godspeed You! Black Emperor fiebrig schwarz, wird beängstigend bedrohlich, erdet den Charakter der Band weiterhin in der Beklemmung.
Doch wenn Immolation We Love To Look At The Carnage als eine heimelige Form der Einkehr beschließt, den Drone und Post Metal als Leuchtfeuer der Erinnerung zwar brennen lässt, aber eine Decke aus verspielter Harmonie darüber legt, da kann Robinson noch so grantelnd predigen: Wrekmeister Harmonies haben das Gemetzel mit eineinhalb Beinen hinter sich gelassen und stehen womöglich unmittelbar vor der Erlösung.
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