Willie Nelson – A Beautiful Time
Ziemlich überraschend beschenkt Country-Ikone Willie Nelson sich und seine Fan pünktlich zu seinem 89. Geburtstag überraschend mit (je nach Zählweise) Studioalbum Nummer 72. Keine Überraschung ist hingegen, dass A Beautiful Time mal wieder ziemlich toll geworden ist.
Schließlich liefert die Spätphase der lebenden Legende ohnedies auf einem absolut bemerkenswert hohen Niveau so konstant ab. A Beautiful Time macht da nun eben keine Ausnahme, ist durch die Bank ein weiteres fantastisches, weil so durch und durch hochklassig-solide gewordenes Album, das sich allerhöchstens den Vorwurf gefallen lassen muss, mit 50 Minuten vielleicht eine kleine Spur zu lang ausgefallen zu sein – ohne dabei aber Füllmaterial oder gar einen Ausfall zu bieten.
Richtiger ist insofern auch eher die Sichtweise, dass A Beautiful Time sogar das Quäntchen besser ist, als viele seiner tollen Vorgängerwerke aus den vergangenen Jahren: auf emotionaler (und ja, sicher auch sentimentaler) Ebene ist der Eindruck, den die 14 Songs hinterlassen einfach stark, auf subversive Weise sogar regelrecht ergreifend. Hätten wir es hier bereits mit einem Abschiedswerk zu tun, es wäre ein rundum würdiges, für eine Ausnahmekarriere wie jene, auf die Nelson zurückblicken kann.
Ohne Überraschungen oder Spektakel bündeln Nelson und Produzent/Co-Songwriter Buddy Canon fünf gemeinsame neue Originale (vom munter schunkelnden My Heart Was a Dancer über dasmelancholisch zurückgenommene, über der Harmonika mit fein nuancierten Gitarren in der Nachdenklichkeit sinnierenden Energy Follows Thought bis zum nur auf den ersten Blick anzüglich gemeinten Don’t Touch Me There) neben einer Stafette an Fremdkompositionen und Coversongs, die ungeachtet ihrer Ursprünge allesamt klingen, als wären sie für Nelson und Trigger maßgeschneidert (vor allem gilt das natürlich für die eröffnende Single I’ll Love You Till the Day I Die von Chris Stapleton und Rodney Crowell, die gemütlich mit Piano und Mundharmonika in die Romantik schippernd exemplarisch für die unaufgeregte Entspanntheit der Platte steht) – was bei ikonischen Vorlagen von Leonhard Cohen (Tower of Song) oder den Beatles (With a Little Help From my Friends) schon eine absolut imposante Leistung an sich ist.
Zeitlose Country-Qualitätsarbeit also, geschmackvoll inszeniert und bis auf das etwas flottere We’re Not Happy (Till You’re Not Happy) zumeist relativ entspannt ausgelegt, angenehm und gefühlvoll. Auf dieser Basis besticht A Beautiful Time aber zusätzlich noch auf inhaltlicher Ebene, ist auf anmutige Art und mit nonchalanter Leichtigkeit ein bisschen Weise; amüsant, ohne ins absurde zu kippen (wie Nelson das ja gerne mal tut); selbstreflektiv und intim mit einem genügsamen Lächeln in der schwofenden Nostalgie schwelgend, der eigenen Vergänglichkeit bewusst. Nelsons Stimme hat dabei nicht mehr die Kraft von einst, aber tänzelt mit geschmeidiger Trittsicherheit um die Brüchigkeit, und erzeugt so eine fragile Distanzlosigkeit, die etwas unbedingt warmes, vertrautes in sich trägt. Ein bisschen wie nach Hause zu kommen. Mit dem unausweichlichen Ende vor Augen, irgendwann.
Das geht so weit, dass einem schon auch manchmal ein Klos im Hals stecken bleiben kann. „I don’t go to funerals, I won’t be at mine/I’ll be somewhere lookin‘ back at loved ones left behind/ My life has been a wonder and I found my place in time/ But I don’t go to funerals, I won’t be at mine/…/ I’ll be somewhere singin‘ songs with all those friends of mine/ Life is great, but I can’t wait to make our memories rhyme/ Now those who’ve gone before me will save my place in line/ …/ There’ll be a big ol‘ pickin‘ party whеn it comes my time/ Me and Waylon, John and Chris and our sweetheart Patsy Cline/ Merle and Grady and Freddy Powers, all those pals of mine/ …/ Sayin‘ how it won’t be long ‚til time to fly again/ Life is sweet and love is good and we have had a good time/ No, I don’t go to funerals, I sure won’t be at mine„.
„Live every day like it was your last one/ And one day you’re gonna be right/ Treat every one like you wanna be treated/ See how that changes your life/ …/ Yesterday is dead and tomorrow is blind/ And the future is way out of sight“ heißt es anderswo, und doch ist A Beautiful Time keine Platte, die nur den Augenblick einfängt, sondern immer wieder dezitiert in die Vergangenheit blickt und sich fragt, wieviel Zukunft noch bleibt. Ohne jeden Kitsch oder tranige Rührseligkeit ist es dabei einfach absolut bewegend, wenn Nelson mit einer egreifenden Bescheidenheit resümiert und mit Worten aus A Beautiful Time entlässt, die wie Politur auf einem Denkmal wirken: „Hope that I leave you with a smile“ singt er, und weiß wohl selbst, dass alleine diese Platte beizeiten dafür (und mehr) sorgen wird. Hoffentlich wird dieser Tag aber noch in weiter, weiter Ferne liegen.
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