Wilco – Star Wars
Und plötzlich stand es mit seinem referentiellen Artwork und Titel praktisch aus dem Nichts kommend im Netz, das neunte Studioalbum von Jeff Tweedys Band – zum darüberstreuen sogar als Gratisdownload. Dass Wilco die Möglichkeiten des Web 2.0 ausgerechnet mit einem anachronistischen Rockalbum nutzen, ist durchaus stimmig: Eine weniger unmittelbare Veröffentlichung hätte dem ruppigen, ungeschliffenen Charakter von ‚Star Wars‚ kaum entsprochen.
„Warum ein Album auf diese Weise und völlig umsonst veröffentlichen? Der wichtigste Grund, und ich bin mir nicht sicher, ob man noch weitere braucht, ist, dass wir dachten, dass es Spaß machen könnte. Was macht mehr Spaß als eine Überraschung?“ begründet Tweedy die Überrumpelungstaktik eines Datenpakets, das sich auch in weiterer Folge bestens darin gefällt zu überraschen und aus dem Hinterhalt kommend die Erwartungshaltungen an die Band, die längst eine Institution ist, vor vollendete Tatsachen stellend zu untergraben.
Bei elf Songs in gerade einmal 34 Minuten sowie fehlendem physischem Trägermedium und Entlohnungsforderung für die Musik an sich kokettieren Wilco dabei natürlich auch von vornherein mit dem offenbar vielerorts evozierten Gefühl es hier nicht mit dem „richtigen“ neunten Studioalbum zu tun zu haben. Tatsächlich wirkt ‚Star Wars‚ trotz der vorangegangen 4 Jahren Studiopause dann auf den Erstkontakt hin auch wirklich eher nach einem spröden und ungeschliffen hingeworfenen Karriereschnellschuss, zumal sich auch nach mehreren Durchgängen keine neuen Klassiker oder unsterblichen Evergreens ausmachen lassen.
Stattdessen ist ‚Star Wars‚ nun ein Album geworden, dass als wilde, rohdiamantene Gitarrenmusikdeklination nach und nach seinen tiefschürfenden Glanz freigibt, sich insofern auch leisten kann mit ‚EKG‚ zu starten, einem diffusen Sammelsurium aus wirren Saitenkniffen, launigen Breaks und stolpernden Rhythmuskarambolagen, dass sich als windschief harmonisierendes Intro erst zahnradgenau dort einpendeln muss, wo wohl auch alte Querköpfe wie Primus oder Captain Beefheart ihre dissonanten Ideen abschöpfen, nur um in weitere Folge so demonstrativ kein weiteres Wilco-Meisterwerk sein zu wollen, sondern eine kurzweilige, spontan aus der Hüfte geschossene Lockerübung, die die phasenweise vorhersehbare Bequemlichkeit von dem 2011er Werk ‚The Whole Love‚ und vor allem ‚Wilco (The Album)‘ mit einer herrlich unspektakulären Kauzigkeit und altersweise ausgeführten, jugendlichen Lässigkeit durchlüftet.
Das Tweedy und Co. zum runden Geburtstag 2014 mit ‚What’s Your 20?‚-Best-of und der Raritätensammlung ‚Alpha Mike Foxtrot: Rare Tracks 1994 – 2014‚ eine Zwischenbilanz gezogen haben macht insofern rückblickend nur noch mehr Sinn. Münzt die Band das vorangegangene, vitalisierende Reinemachen nun doch ohne ein Gramm Fett auf den Rippen in ihre bisher kompakteste und entschlackteste Veröffentlichung entlang der immer wieder aufflackernden, aber eben nicht herausgearbeiteten Genieblitzen im Songwriting als potente Frischzellenkur um, die sich stilistisch weniger an den eigenen Großtaten orientiert (auch wenn etwa ‚King Of You‚ wie eine abgehackte Fortsetzung zu ‚I’m the Man Who Loves You‚ klingt oder ‚Taste the Ceiling‚ eine schlichtweg traumhafte Popreferenz an ‚Summerteeth‚ darstellt), sondern als eine wilde Tour durch die letzten 40 Jahre der Rockmusik des 20. Jahrhunderts assimiliert, das Hauptaugenmerk stets auf dem furios breit aufgestellten Spiel der Guitarmy Nels Cline, Pat Sansone und Tweedy in all ihren Schattierungen und Variationen richtet.
Die butterweich fließende Orgelweichzeichnung ‚Magnetized‚ schmiegt sich also in den Windschatten der Beatles, das stacksende ‚More…‚ knarzt und jault gar wie die Queens of the Stone Age, hangelt sich dann umständlich zum ersten versöhnlich aufmachenden Ohrwurm-Refrain der Platte, der klarmacht wieviel Gespür für Melodien Tweedy da insgeheim wieder aus der Hüfte schüttelt, nur um dann doch im Feedbackrauschen unterzugehen. Im grandios wundgerieben aufgebauschten ‚You Satellite‚ steigern sich Wilco in ihre Liebe zu Sonic Youth und Pavement, das krautige ‚Cold Slope‚ ist psychedelisch angehauchter Heavy-Hardrock aus Thurston Moore-Sicht. Im abenteuerlustigen ‚Pickled Ginger‚ klopft sich die Band dafür aufgeregt Richtung Extase und ‚Where Do I Begin‚ findet von der betörenden Tweedy-Soloballade zum Classic Rock von T.Rex. Und wo das zwischen Bowie-Glampop und Dylan-Schnoddrigkeit ‚The Joke Eyplained‚ seinen launigen Groove in spelunkenfeiner Geschmeidigkeit auflöst, seine Akustische rostig und scheppernd schmetternd bratzen lässt, da rumpelt ‚Random Name Generator‚ durch das Œuvre des auf ‚Star Wars‚ allgegenwärtigen Lou Reed und die New York-Wahrhaftigkeit von Television: Wilco lieben es 2015 vordergründig simpel, zelebrieren dahinter aber einen sorgsam und kunstvoll konstruierte Intuition; fuzzy, kratzig, schmutzig und direkt.
„I change my name every once in a while/ A miracle every once in a while“ singt Tweedy. Und selbst wenn ‚Star Wars‚ an sich kein wahrhaftiges Wunder darstellt, ringt es Wilco doch mit einem wunderbar überschwänglichen Tatendrang als Rückenwind abermals neue Facetten ab, ersetzt breite Arrangements durch knackige Session-Jam-Ausstrahlung, Sentimentalitäten durch aufgekrempelte Ärmel, Holzfällerhemden durch Lederjacken und das Lagerfreuer durch die Garage – hält die Sache für alle Beteiligten kurzum nach über zwei jahrzehnten spannend. Mit einer den Hörer nur zu leicht auf dem falschen Fuß erwischenden Übergangsplatte, mehr noch aber einem Befreiungsschlag aus der erschaffenen Wohlfühlzone, bei der man den Ausgelassenheit, den die vielleicht eingeschworer denn je agierende Einheit Wilco dabei hat aus jeder Pore schwitzen, schlichtweg hört. Insofern gibt sich Tweedy die Antwort auf seine Frage also eigentlich gleich selbst: Was mehr Spaß macht als eine Überraschung? Eine Überraschung, die Spaß macht!
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