Wilco – Ode to Joy
War Schmilco der Einstieg in die (reaktivierte) Solodiskografie von Jeff Tweedy, ist Ode to Joy nun das gemächliche Erwachen zurück zur vollwertigen Bandgeschichte von Wilco. Vor allem ist das elfte Studioalbum der Institution aber ein befriedigender Grower.
Zumindest auf Umwegen war das bei der Ausnahmekombo ja immer der Fall, doch auf den Erstkontakt kann Ode to Joy stärker als seine Vorgänger als vermeintliche Enttäuschung vorstellig werden. Immerhin hatten Wilco über Star Wars (2015) und Schmilco (2016) polarisierende Kleinode abgeliefert, die die Routine von Wilco (The Album) aus dem Jahr 2009 und The Whole Love (2011) durch ein archaischeres Soundgewand interessant aufgebrochen hatten, bevor Tweedy im Alleingang mit den Intimitäten Together at Last (2017), Warm (2018) und Warmer (2019) übernahm.
Insofern wirkt Ode to Joy nun in der Kennenlernphase zwischen diesen Phasen gefangen, ist in seiner zurückgenommenen Inszenierung noch sehr nahe bei Tweedy im (komplexeren) Alleingang und stellt über weite Strecken doch die Frage, ob all die anderen Virtuosen der Band (bis auf das allgegenwärtige, erstaunlich schwerfällig auftretende Schlagzeug von Glenn Kotche) sich hier über kurzweilige 43 Minuten nicht ein wenig langweilen. Gleichzeitig ist Ode to Joy aber auch wieder stärker verankert in der typischen Gruppen- Wohlfühlzone, die Wilco nun schon viele Jahre pflegen, ohne dnach der langen Auszeit das erwartete Gefühl von Euphorie oder frischem Wind zu erzwingen-
Und sicher muß man sich, um dieses Quasi-Comeback wirklich wertschätzen zu können, wohl längst von der Erwartung freigemacht haben, dass Wilco nach dem makellosen Lauf hin zu Sky Blue Sky (2007) noch einmal für ein essentielles Meisterwerk gut wären, sich selbst und die Hörerschaft mit experimentellen Ambitionen aus dem Komfort herausfordern könnten. Letztendlich gewinnt aber mit der nötigen Geduld und zuversichtlichen Zuwendung ohnedies die elegante, fein nuancierte Klasse, für die Tweedy und Co. zuverlässig bürgen – und über dann doch irgendwann ziemlich wunderbare, eben einfach unscheinbar aus der Routine heraus geboren wordene Songjuwelen, beginnt sich nach und nach ein weiteres substantielles, nachhaltiges und detailliertes Wilco-Gesamtwerk herauszukristallisieren.
Als am direktesten zündende Auftrittsflächen fungieren dabei etwa Before Us, als schellenbehafteter, winterlich-schwerer Folk, der über seine markante Gitarre und den in Zeitlupe stampfenden Refrain andächtig-feierlich hängen bleibt. Oder die Parade-Single Everyone Hides als flotter Popsong, der so beschwingt und catchy wie angenehm locker und zügig sein Instrumentarium subtil anwachsen lässt, aber den Fokus insgeheim doch auf seine Hittauglichkeit legt. Citizens packt als bescheiden schunkelnder Walzer eine griffige Hook aus und Love Is Everywhere (Beware) lässt als Americana-Übung die Sonne im Herzen aufgeben, bevor Hold Me Anyway am Lagerfeuer einen kunterbunt in die Classic-Parade tänzelnden Singalong-Refrain auspackt.
Im grandios vielschichtig texturiert ausproduzierten Raum dazwischen spielen Wilco ihre Karten als softrockende Elder Statesmen des weiteren Alternative-Schauraumes kaum aufbrausend aus, zeigen keine schroffen Kanten, um sich erst über die Seitentür der Gefälligkeit tiefgründig zu entfalten und Ode to Joy entschlackt und zurückgelehnt nebenher durch den Hintergrund plätschern zu lassen, nur gelegentlich an Tempo aufzunehmen, sich jedoch weitestgehend heimlich, still und leise als Seelenbalsam abzusetzen: relaxt, verträumt, warm, klug und introspektiv – mit Komposionen, die niemandem etwas beweisen müssen und auch gerade deswegen in ihren Bann ziehen und die altbekannte Erkenntnis nicht aufs Aug drücken, dass Wilco einfach keine schwachen Alben aufnehmen.
Bright Leaves eröffnet bedacht entschleunigt stacksend, verlässt sich vordergründig auf seine Rhythmusateilung und Tweedys typisches Melodiegespür, verziert drumherum nur mit vagen Facetten, die immer erkennbarer ins Spektrum fließen. Es ist einfach wunderbar, wie die leicht dissonanten Gitarren zueinanderfinden, all die anderen Details im Sound auszumachen, die die kontemplativ wie in Trance schreitende Nummer immer greifbarer werden lassen.
One & a Half Stars schleicht schmeichelweich als auf Akustikgitarre, leisem Piano und polterndem Schlagzeug basierende Melancholie, die dann optimistisch nach vorne geht und hinten raus sogar eine gewisse Ausgelassenheit bekommt, während Quiet Amplifier als symtomatischer Vertreter für die in sich geschlossene Nabelschau Ode to Joy steht, wie das subversiv-pulsierende Anspannen des unbeirrbar verdichteten Sturms vor der orchestralen Entladung arbeitet, und die Gitarren im opulent anschwellenden Sound dängeln, aber von der stattlichen Haltung der Nummer stets unter Kontrolle gehalten werden, die keinen offensichtlichen Klimax zulässt – Nels Cline darf zumindest Ansätze eines Solos dekonstruieren, damit das Ergebnis wie eine vom Leben abgeklärte Fleet Foxes-Nummer anmutet, mit sehnsüchtigem Lächeln ausgeschmückt impulsiv kontrolliert.
Das legere White Wooden Cross ist ein nonchalanter Sonnenaufgangs-Soundtrack und An Empty Corner legt sich als finale Sehnsucht in ein weiches, romantisches Bett. Aufregend ist das alles natürlich nicht wirklich. Denn nur We Were Lucky schleppt sich als Chain Gang-Blues an bratzenden Verstärkern entlang, ohne seine zarte Liebenswürdigkeit zu verlieren. Und kratzbürstiger als hier wird die keineswegs kratzbürstige Band wohl auf absehbare Zeit dennoch nicht mehr werden. Was aber eben mit ein bisschen Zeit und verdienter Rotation absolut in Ordnung ist. Wilco haben hier schließlich eine Platte aufgenommen, die selbst langjährige Fans nicht im Sturm nehmen will, um von innen heraus eine zutiefst befriedigend nachhallende Verbundenheit zu erzeugen; die keine überragenden Ausnahmesongs braucht, um einige neue kleine Geheimfavoriten abzuliefern; die keine Genieblitze provozieren muß, um nichtsdestotrotz in ihrer eigenen Liga zu überzeugen. Also eine Ode, die nicht überwältigt, aber sicherlich lange Freude bereiten wird.
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