White Suns – Totem

von am 23. März 2014 in Album

White Suns – Totem

Mehr als auf den beiden bereits durchwegs imposanten Vorgängern führen White Suns mit ‚Totem‚ vor, wie absolut friedfertig und leichtverdaulich das Gros dessen ist, was in der weiten Welt des Noiserock ansonsten als kratzbürstig und fies verschrien ist: hiergegen sind Kombos wie The Jesus Lizard reinstes Easy Listening!

Wo die Masse der Genrebands über ihr im Rock fußendes Songwriting allerhand Distortion und Feebackschmutz kippen, gehen White Suns genau den entgegengesetzen Weg und formen ihre Songs von vornherein überhaupt erst aus dem Noise heraus. Reiben sich zwischen den Extremen auf und ersäufen jeden Ansatz von Eingängigkeit und unmittelbare Nachvollziehbarkeit in einem chaotisch austickenden, verstörenden Morast aus psychotisch zerrissenem Wahnsinn, scheren sich einen Dreck darum ‚Totem‚ an Konventionen zu orientieren und verdichten ihr drittes Studioalbum zu ihrem bisher konsequentest gegen den Strich gebürsteten Werk von klaustrophobischer Intensität. Erst nach und nach erschließt sich dieses Gewirr aus ohrenscheinlich willkürlich aneinandergereihter Lärmverschmutzung, übt aber vom ersten Moment die Faszination und abgründige Anziehungskraft eines besonders verstörenden Autounfall aus.

Priest In The Laboratory‘ malträtiert als rhythmische Splittergranate aus tackernden Blastbeats und scheppernden Beckenschlägen, rezitierte Textskandierungen mutieren vor in Rückkoppelungen zersetzten Gitarrenfiguren zu gequältem Geschrei: eine Lärmkaskade und Noisecolloge, brachialer Gehörgangterrorismus –  auf ‚Totem‚ ist der Opener trotzdem eines der handfestesteren Stücke. Über die folgenden 35 Minuten hangeln sich White Suns immer wieder zu derartigen Momenten die ein wenig Halt in diesem Durcheinander vorgaukeln: ‚Cathexis‚ klingt, als hätten The Paper Chase nach ‚Now You’re One of Us‚ nicht zu mehr Pop gefunden, sondern den Verstand verloren und mit Orthrelm den idealen Soundtrack eingespielt um sich Rattengift durch die Nase zu ziehen. ‚Carrion‚ behauptet ein Singlekandidat zu sein, endet als Field Recording und steigert sich als Blues-Wahnvorstellung zu einer sich selbst massakrierenden Kakophonie, die wie alles hier zufriedenstellende Auflösungen verweigert, jedes konkrete Antauchen in Richtung Rock gnadenlos totwürgt.
Am überragensten gerät der sich zuspitzende Höhepunkt mit ‚Clairvayant‚: White Suns rasen in hirnwütiger Rage los, prügeln Hardcore und Arthouse zusammen (wobei: ‚Totem‚ versprüht niemals die Intention eines expressionistischen Kunstanspruchs: das ist eher derart intuitive, explosive Wut, die zu ungestüm ist um sich in Strukturen formen zu lassen). Kevin Barry brüllt beängstigendes aus beklemmenden Momenten absoluter Stille hervor, „Bleed it out“ wird zum hasserfüllten Mantra, immer wieder, während der Song explodiert, ein Inferno entfesselt dass unter den Nägeln brennt und dem man keinesfalls beiwohnen möchte – Spaß macht ‚Totem‚ zu keinen Zeitpunkt.

Zwischen diesen sich sporadisch zuspitzenden Verdichtungen köcheln White Suns ihre Oden an das Unwohlbefinden losgelöst jedweder Struktur auf: anstelle des kraftvollen Würgegriffs verwendet das Trio aus Brooklyn gedämpftes Nervengift. ‚Prostrate‚ ist ein Schaben über angespannte Griffbretter, unheilvolle Radiatoren brummen wie abgedämpfte Presslufthämmer. ‚Disjecta Membra‚ klingt als würde die Nadel willkürlich zwischen alten Melt-Banana und Flying Luttenbachers Platten umherspringen und dabei pochend auf einen nicht existenten Climax zudröhnen – in Zwangsjacken gepackt könnte da durchaus von Jazz die Rede sein, in Silent Hill hingegen vom idealen Industrial um den Teufel auszutreiben.
Totem‚ ist avantgardistisch und experimentell – Swans oder Kayo Dot sind durchaus potente Referenzen! – arbeitet mal als hypnotische Drone-Ambienthölle (‚Fossil Record‚), dann beinahe als Master Musicians of Bukkake-artige Weltmusikannäherung. Leichte Melodieahnung wie etwa jene im Hintergrund wie ‚World-Lock‚ lassen nur so lange an die Labelkollegen von Have a Nice Life denken, bis der Song wie eine faulig riechende Eiterbeule aufplatzt und über eine Höllenversion des Speakers Corner galoppiert.

Immer wieder stoppen White Suns die krawallartigen Schwälle vollends ab, justieren nach, peitschen selbst mit dem Zuckerbrot tiefe Striemen in die Hörgewohnheiten. Wer Pharmakon zum Munterwerden konsumiert, wird auch auf ‚Totem‚ Entspannung finden.
Was konkret den Reiz dieser disharmonischen Odyssee ausmacht bleibt letztendlich schwer zu sagen: vielleicht ist es dieser schonungslose Extremismus, diese sich verselbstständigende Radikalität und Schonungslosigkeit, die intensive Spannung in der Rücksichtslosigkeit. ‚Totem‚ ist auslaugende Agonie, ein Geräuschkonstrukt, sicher nur für gewisse Momente – und auch in diesen ohne Glücksgefühl entlassend. Eine Anti-Platte durch und durch, der etwas mehr Entgegenkommen phasenweise eventuell sogar gut getan hätte um die drastische Ausrichtung einen expliziteren Kontrast zu bieten. Die einzige Erfüllung die White Suns anhand dieses gordischen Knotes letztendlich anbieten ist aber eben nicht die Auflösung desselben, sondern die schlichte Konsequenz damit in delirianter Hirnwut zu erschlagen.

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