Whirr – Raw Blue
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Heimlich, still und leise haben Whirr mit dem selbstreferentiellen Raw Blue auf den allerletzten Metern von 2024 noch eines der besten Shoegaze-Album des vergangenen Jahres veröffentlicht. Mindestens.
Mitbekommen haben davon bisher aber wohl zu wenige Menschen: Raw Blue ist (oder justament pünktlich zum Online-Stellen dieser Zeilen: war) vorerst nur via Bandcamp und nicht auf etwaigen Streaming-Plattformen erschienen, die noch ohne Vertriebspartner von The Funeral Party veröffentlichte physische Version war in der Deluxe Edition rasch ausverkauft und kommt in der noch erhältlichen regulären Variante nicht ohne verheerende Versandkosten aus Amerika. (Und damit trotzdem noch einfacher / günstiger zu bekommen ist, als das Bundle aus Live in Los Angeles und Muta / Blue Sugar).
Das freut zumindest das Phrasenschwein, weil der fünf Jahre auf sich warten habende Nachfolger von Feels Like You etwaige Mehrkosten und Mühen in der Beschaffung mittels seiner Qualität schon bis zu einem gewissen Maß (zumindest für den bereits loyalen Fan) rechtfertigt.
Durch sein unerwartetes Erscheinen am Christmas Day hat Raw Blue zwar nahezu alle Best of-Listen von 2024 untertaucht, doch hält das vierte Studioalbum der Band von Nick Bassett das Niveau der Diskografie ganz ohne Überraschungen (zudem zumindest auf Augenhöhe mit anderen Klassenbesten wie Burrrn, Velvet oder DIIV agierend ) und ist im Kern ein absoluter Fan-Pleaser – als in Aufbruchstimmung zu Lean befindliche Fortsetzung zu Feels Like You, der so typisch und vertraut melancholisch bittersüß in die Signature-Atmosphäre gebettet vergleichsweise griffigeres Songwriting zu einem runden, kohärenten und ausfallfreien Ganzen im ausgewogenen Fluss verbindet.
Vor allem die Klammer der Platte besticht dabei. Mit dem verwaschen getragenen, seine catchy Gitarren führen lassenden Opener und Titelstück sowie dem starken, sich windenden Collect Sadness auf der einen Seite; und dem schwelgend schönen Doppel aus Walk Through Space sowie dem verträumt-friedlichen Singalong Enjoy Everything samt seinem unheimlich geschmackvollen Saxofon-Abschied auf der anderen.
Aber auch das Dazwischen ist alles, was man sich von der düsteren, diesmal aber (mit Ausnahme solcher Schönheiten wie dem bekümmert schwelgenden Everyday is the Same) gar nicht so extrem niedergeschlagen agierenden Band aus Modesto in Kalifornien erwartet. Nur Worries Bloom fällt etwas ab, weil der Song im Prinzip den selben MO nutzt wie All Mine (also die Amplituden von Laut und Leise kontrastierend), seine scharfe Kante jedoch nicht so prägnant ausarbeitet wie der einen fauchenden Dämon im Nacken sitzen habende Tracklist-Vorgänger und deswegen redundanter erscheint.
Wie Swing Me seine schummernde My Bloody Valentine-Patina auf ein rockig bratendes Rückgrad setzt, das reduziert und zart zurückhaltende Crush Tones eine auf intime Weise behutsame (und ansatzweise konventionelle) Form des Dreampop erforscht, bevor Days I Wanna Fade Away eine catchy Hook antreibt, ist Anwärter-Material für die Liste der bandeigenen Lieblingslieder und außerdem repräsentativ für das Wesen eines Albums, das die Whirr-Formel pflichtbewusst mit unverbrauchter Attitüde interpretiert. Auch wenn die wirklichen Über-Songs der Marke Drain sowie das gewisse, leicht magisch-reizvolle Etwas fehlen gilt insofern: Wäre der Grower Raw Blue eine Woche früher erschienen, hätten wir ihn in den hiesigen Jahrescharts von 2024 angetroffen.
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