Weyes Blood – Titanic Rising
Kosmischer Baroque Pop, der psychedelisch verwaschen über die Vergänglichkeit des Augenblicks sinniert und verträumt in der Vergangenheit schwelgt: Weyes Blood entfaltet mit Titanic Rising endlich ihr zauberhaftes Potential.
Wenn Natalie Mering sich zu wärmen Pianotönen immer reichhaltiger in eine progressiv strukturierte, klassisch mit Streichern anwachsende Ballade legt und Zeilen wie „If I could go back to a time before now/ …/ Born in a Century lost to Memory“ in eine zutiefst melancholische Nostalgie haucht, dann klingt gleich der Opener A Lot’s Gonna Change, wie eine Übersetzung von Julia Holters Art-Ader in die schüchterne Schönheit der Carpenters.
Später wirken dagegen etwa der getragen in die Gehörgänge streichelnden Hit Andromeda oder das beschwörend in den Himmel wachsenden Something to Believe, als hätte Aimee Mann mit Midlake als Backingband eine Hommage an Joni Mitchell aufgenommen. Dann wieder zeigt das subversiv-beschwingt seine Ausgelassenheit feiernde Everyday eine Fantasie Joanna Newsoms von Carole King, während Titanic Rising ohnedies zu gleichen Teilen die elegische Unwirklichkeit von Beach House über vergessenen Schätzen der späten 60er und frühen 70er formuliert.
Doch um den kurzweiligen 42 Minuten über all ihren klaren Referenzen und all den niemals gänzlich greifbar werdenden Assoziationen nicht Unrecht zu tun, noch einmal von vorne: Mering hat unter dem Weyes Blood-Banner im vierten Anlauf ein zeitloses Stück Pop zwischen Alt und Neu aufgenommen, das wie das Artwork als farbenfroh seine Konturen aufgebendes Stück Polaroid einen eigenen imaginativen Kosmos auftut, entschleunigt unter Wasser schwebt. Als eklektischer Anachronismus löst Titanic Rising praktisch alle Versprechen mit einer reichhaltigen Selbstverständlichkeit kulminierend ein, wie es die Vorgänger The Outside Room, The Innocents sowie (das schon tolle, im direkten Vergleich zu seinem Nachfolger aber weniger pointiert agierende) Front Row Seat to Earth nur ansatzweise konnten.
In einer schier fabelhaften, vor Details und Nuancen nur so strotzende Produktion, die Foxygen-Hälfte Jonathan Rado voller subtiler Ideen und überschwänglicher Arrangements meisterhaft ausgeleuchtet hat, zelebriert Mering schließlich einen mit sich selbst im Einklang stehenden, friedlichen Wellengang aus anschmiegsamen Hooks und Melodien, der schon beim ersten Durchgang wie ein alter Vertrauter anmutet und dennoch lange Zeit durch die Finger zu rinnen scheint, mit jedem neugierigen Mal an Tiefe und Substanz gewinnt.
Diese musikalisch komplette Reife ist es auch, die diesmal nahezu kompensiert, dass Merings Gesang weiterhin nicht ganz den emotionalen Impact hat, wie jene Musikerinnen ihn ausüben, an die ihre sicherlich nicht unverwechselbare Stimme erinnert. Dafür funktioniert diese als leitendes Element im Kontext umso erhebender, wenn etwa Movies eine bedächtige Kontemplation darstellt, von der Matthew Bellamy wohl immer fantasiert, für die ihm aber mittlerweile die Zurückhaltung fehlt, bevor Mering ohne Pathos flimmernde Streicher mit pulsierenden Beats verbindet. Mirror Forever schnipst sich dagegen mit optimistischer Grundhaltung und Wild Time klimpert am Softrock entlang märchenhaft zu seiner eigenen Wahrheit: „Turn around it’s time for you to slowly/ Let these changes make you more holy and true/ Otherwise, it just made it complicated for nothing“.
Wenn die Vintage-Grazie Picture Me Better dann sogar anmutet, als würde ein Schwarz/Weiß-Abspann mit aller romantischer Sorgfalt in kräftiges Technicolor getaucht werden, dann kommt Weyes Blood erstmals einer eigenwilligen Magie nahe und trägt ein majestätisch in sich geschlossenes (im Gegensatz zu etwa artverwandten Platten wie Aviary ohne Längen auskommendes) Gesamtkunstwerk vielleicht sogar ein Stück weit in die Ewigkeit.
1 Trackback