Weihnachtsmusik
Eines gleich vorweg: Ich hasse Weihnachten. Für mich ist es die schlimmste Zeit des Jahres. Kälte, dem Wahnsinn nahe, konsumierende Menschenmassen in Straßenbahn und an den Kassen, Glühwein- und Punschstände ( mir ist bis zum heutigen Tag unklar, wieso jemand freiwillig in der Kälte steht und dabei warmen, picksüßen Alkohol in sich schütten will) und ökologisch sinnbefreite Weihnachtsdekoration überall. Christkindl- bzw. Weihnachtsmärkte sind für mich eine der grausamsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte, vielleicht noch getoppt von Wham‘s ‚Last Christmas‚. Womit wir auch schon beim Thema wären: Weihnachtsmusik.
Seit einigen Jahren führe ich einen mir selbst auferlegten Kampf gegen dieses eine, grauenhafte „Lied“, an einen Sieg kann ich mich nicht erinnern. Die jährliche Challenge: Schaffe ich es bis zum heiligen Abend ohne es nur einmal zu hören. So nah ich im vergangenen Jahr am Ziel vorbeischrammte (23. Dezember, Hell Yeah), so jäh wurde mein Versuch heuer gestoppt (30. November, Danke Ö3). Aber allem Übel wohnt auch Gutes inne, so auch hier: die von Wham unbeeinträchtigte Beschäftigung mit weihnachtlicher Musik. Und da entpuppt sich 2013 als Glücksfall, was kann es den für ein schöneres Geschenk unter dem verwünschten Baum geben als Bad Religion, die sich auf ‚Christmas Songs‚ unverhohlen ironisch durch Weihnachtssongs covern. Da wird sogar ‚White Christmas‚ zu einer unterhaltsamen, von 77’s Punkgrößen inspirierten Punkrocknummer erster Klasse. Und ganz ehrlich; wer wollte nicht schon immer den atheistischen Vorzeige Punkrock-Uni-Professor beim verschmitzten „Gott-wir-preisen-dich“ zuhören. Außerdem, wer außer Bad Religion ist besser dafür geeignet hier keine falsche Intention aufkommen zu lassen?
Nicht nur aus posthumer Gefälligkeit für den ( leider ) zu früh verstorbenen Tony Sly muss hier ein Song erwähnt werden, der eigentlich auf keiner dieser Listen bzw. Aufstellungen fehlen darf. ‚Fairytale of New York‚, im Original von den Pogues und Kirsty McColl, hat auch in der Melodic Punk Coverversion von Tony Slys No Use for a Name für Punkrock Fans einen gewissen Reiz, wenn gleich es natürlich hinter dem Original zurückbleit. Aber die Geschichte ist ebenso großartig wie tragisch: Eine betrunkener irischer Migrant erinnert sich am Weihnachtsabend im Sufftraum an eine ehemalige Bekannte und an die gemeinsamen Träume, die durch Alkohol und Drogenexzesse ein jähes Ende fanden. Der Weihnachtsabend bildet hier aber lediglich die Rahmenhandlung einer Begebenheit, die ebenso an jedem anderen Abend hätte stattfinden können. Nicht umsonst gilt ‚Fairytale of New York‚ als einer der besten Weihnachtssongs aller Zeiten.
Eine weitere, aus Kindheitserinnerungen herrührende Weihnachtsneurose löst der Soundtrack von Tim Burtons „Nightmare before Christmas“ aus. ‚Making Christmas‚ ist schon im Original ein reißender Hadern, aber als Hardcore-Coverversion aus dem Hause Rise Against erfährt dieser erst sein wahres Potential. Tim McIllrath beim „Making Christmas„– schreien zu hören, vereint in meinen Ohren Kindheit und Jugend auf perfide Art und Weise.
Aber natürlich müssen es nicht immer nur Cover-Songs sein, das weite Feld des Punkrock bietet auch durchaus Erbauliches zum Thema Weihnachten. Obwohl ich kein großer Blink182 Fan bin und auch nie war, so sehr sprechen sie mir doch manchmal aus der Seele. „Outside the carolers start to sing/ I can’t describe the joy they bring/ Cause joy is something they don’t bring me“ oder “Oh god I hate these Satan’s helpers/ And then I guess I must’ve snaped/ Because I grabbed a baseball bat and made them all run for shelter” (so wollte ich in Sturm und Drang Jahren einmal in bester Ebenezer Scrooge Manier die heiligen drei Könige vertreiben, unbeschwerte Jahre waren das…) sind nur zwei ausgewählte Beispiele, die verdeutlichen was phasenweise meine Gefühle bezüglich Weihnachten darstellen.
Aber auch die, dem klassischen Weihnachtsfest nicht wirklich nahen, israelischen Punkrocker Useless I.D., haben ihre Sorgen zur „schönsten“ Zeit im Jahr treffend verpackt. ‚The Worst Holiday I Ever Had‚ ist ein Abrechnung mit einem der ungutesten Gefühle ever, der Trennung in den Feiertagen. Dass die Anzahl der Scheidungen und der Fälle häuslicher Gewalt um die friedliche, besinnliche Zeit zunehmen, ist mittlerweile nicht nur dem Statistikfreak und bekennendem Grinch bekannt. Schon der alte Goethe wusste, dass nichts schwerer zu ertragen sei als eine Reihe von freien Tagen.
Aber wie wäre es den wenn es plötzlich kein Weihnachten mehr gäbe? Wenn dieses Fest mit allen positiven und negativen Aspekten aus unserer Kultur, aus welchen Gründen auch immer, schwinden würde? Wenn es nur noch in den Erzählungen der Alten und Weisen existieren würde? Und sich dann die Fragen stellte: „ Wie woa Weihnachten?”. Einer der Großen der österreichischen Musikszene, Georg Danzer, versucht uns diese Frage zu beantworten, indem er einen alten Mann von dem langvergessen Weihnachtsfest erzählen lässt. Einem Fest, das einem gewaltigen Krieg, der die Menschen unter die Erde zwang, zum Opfer fiel. Dabei bedient er sich der selben Melancholie und dem Hang zum Morbiden, der auch andere Liedermacherkollegen wie beispielsweise Ludwig Hirsch (unvergessen, nicht nur für einsame Momente zur stillen Zeit, seine „verdammte Weihnachtstraurigkeit“) auszeichnet.
Und dennoch keimt genau hier ein kleiner Spross weihnachtlicher Freude. Es gibt doch etwas, dass ich an Weihnachten mag und sehr schätze. Und auch das hat mit Musik zu tun: Der heilige Abend im Kreise der Familie. Man sitzt und trinkt zusammen, beschenkt sich gegenseitig (diskutiert im Idealfall stundenlang über den Sinn und Unsinn von Religion) und singt (eher schlecht als recht, aber egal) im Zuge der Bescherung ein oder zwei klassische Weihnachtslieder. Daher werden ‚Stille Nacht, Heilige Nacht‚ , ‚Leise rieselt der Schnee‚ und ‚Es wird schon glei dumper‚ in meinen Augen immer einen schönen, weil vertraut-familiären Anstrich haben. Abgesehen von der wohltuenden Einfachheit und Schlichtheit, die ihnen innewohnt.
Und es hat ja doch auch sein Gutes, Weihnachten 364 Tage im Jahr zu verdammen, zu ignorieren und alles, was damit zu tun hat zum Teufel zu wünschen. So genießt man wenigstens den einen Tag und die dazugehörenden, ausgewählten Songs als das, was sie eigentlich sein sollen: Schöne Lieder für einen gemeinsamen Abend im Kreis der Familie.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass ‚Last Christmas‚ der thermonukleare Krieg erklärt werden muss.
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