Viva Belgrado – Bellavista
Mit ihren ersten beiden Studioalben haben Viva Belgrado sich als himmelstürmende Kraft im modernen Screamo etabliert. Bellavista zeigt nun aber, dass das alleine den Spaniern (vorerst: leider) nicht genug zu sein scheint.
Zumindest verlässt das Quartett die mittels Flores, Carne und Ulises angestammte Kampfzone diesmal immer wieder, verfällt über eine ganze Stafette an ambivalenten Wachstumsschmerzen in einen schonungslos referentiellen, in Summe dann doch einfach viel zu offensichtlich ausgelegten Eklektizismus, der Bellavista zu einem unausgegorenen Werk macht, da Viva Belgrado oftmals Probleme haben, einen eigenen Charakter in all den forcierten Assoziationen zu konservieren.
Gleich Una Soga bemüht so überdeutlich die Trademarks von La Dispute, da der kontemplativ brodelnde Post Hardcore mit ruhigen Gitarren und hibbeliger Drums die rezitierenden Vocals am liebsten sofort durch die Rooms of the House schicken würde, auch wenn Cándido Gálvez später schreit, als würde er die frühen Pianos Become the Teeth den aktuellen vorziehen. Der Titelsong agiert ähnlich, doch bekommt die Band noch weniger zwingenden Zugriff: die Dringlichkeit der Vocals wirkt forciert und läuft separat von der Melodie und einer gewissen Nostalgie. Das Doppel aus Vicios und Shibari Emocional sowie Lindavista bedienen sich schamlos am Repertoire von Touché Amore und Amapolita Blues liebäugelt dazwischen mit einer Imitation von Birds in Row: Die eigene Handschrift der Spanier beschränkt sich auf Bellavista leider zu oft auf das gefühlt reine Nachahmen.
Geht die Band dagegen mehr Risiken ein und würzt den Aufguss mit mehr kreativen Reibungspunkten, führt dies zwar auch zu ambivalenteren Ergebnissen, sicher aber spannenderen.
Das tolle Cerecita Blues ist so etwa eine postrockige Nostalgie über einem flotten, entfernt auf den Wave der 80er gespeisten Schwung, der vor allem dann aufzeigt, wenn Viva Belgrado ohne Anstrengung eine gewisse Lockerheit herrschen lassen, und ein (hinten raus weite Strecken instrumental wandernder) Song einfach loslassen darf. Das krude Más Triste Que Shinji Ikari inhaliert dagegen mit unaufgeregtem Groove den Pop, Chill Hop und Rap, die erste von einigen Nummern mit japanophiler Referenz im Titel ist jedoch die einzige, die auch mit entsprechenden Shopping Center-Fahrstuhl-Musik irritiert. Un Collar zeigt im direkten Kontrast dazu ausnahmsweise eine unmittelbare Verbindung zu den ersten beiden Studioalben und ist damit vielleicht so konventionell wie typisch – doch diese Schiene beherrschen Viva Belgrado eben auch einfach. Den Flamenco-Zwischenpart muß man deswegen trotzdem nicht kommen sehen, bevor das flimmernde Finale eine starke Dynamik zeigt.
Im eiligen Ikebukuro Sunshine führt eine erhebende Harmonie enttäuschenderweise nur zu einem braven Indierock samt Call and Response-Einwurf, doch ausgerechnet das abschließende ¿Qué Hay Detrás de la Ventana? gerät als Shoegaze-Versuch zur besten Nummer einer Platte, die als Übergangswerk vieles ausprobiert und öfter an ihren Ambitionen scheitert, als diese kohärent indem effizient an ihr Ziel zu führen – die man aber alleine für diesen Expansionswillen jenseits der Komfortzone absolut respektiert. Abwarten, ob und inwiefern Viva Belgrado die Früchte von Bellavista ernten können werden.
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