Vince Staples – Big Fish Theory
“I understand that I come off like a deep motherfucker, but a lot of times depth is in simplistic things.” sagt Vince Staples. Big Fish Theory ist konsequenterweise vielleicht so etwas wie seine Partyplatte geworden, setzt die Daumenschrauben in den ungemütlichen Ecken des Clubs allerdings abermals malträtierend an.
Nach der akribisch ins Detail gehenden, dystopisch skelettierten und düster schweren Millieustudie, die Vince Staples Debüt-(Doppel)Album Summertime ’06 (2015) darstellte, kann Big Fish Theory nun über weite Strecken sogar wie eine direkter Gegenreaktion auf dessen allgegenwärtige Tiefe und Gedankenschwere anmuten.
Wohl eher bringt das Zweitwerk des Senkrechtstarters aus Long Beach aber die Entwicklung mit durchaus überraschender Radikalität zum vorläufigen Abschluss, die sich über die letztjährige Prima Donna-EP sowie dem Gorillaz-Track Ascension (ist Big Fish Theory vielleicht ohnedies das pointiertere Ideal zu Humanz?) abzeichnete: Staples bleibt ein schlauer Beobachter, hat jedoch als sezierender Analytiker endgültig die Party für sich entdeckt, und bespielt nun zu weiten Teilen kurzerhand den Dancefloor.
Grime, Uk-Jungle, Detroit Hip Hop, Elektronik, Industrial, House,… – Staples lässt die in Hochform agierenden Produzentenriege auf der Big Fish Theory die Subgenres zu einer eklektischen Melange vermengen; Tracks wie der Bouncer Big Fish („I was up late night ballin’/ Countin‘ up hundreds by the thousand“ markiert eine der Hooks des Jahres und lässt Staples ja doch gerne prassen) oder das smart pumpende Homage mit seinen zirkulierenden, fiependen und pluckernden Subbässe und Knöpfen, destillieren eine fast schon schwindelerregend techno-ide Clubtauglichkeit. Rain Come Down ginge in einer alternativen Realität eventuell gar als Kanye West-Influenza durchgehen, 745 vermisst die Spannweite von entschleunigtem G-Funk zum hysteriebefreiten Trap der Migos und das schnittige Party People lässt die Schaltkreise perkussiv zucken, bis die Hüften wackeln.
Da haben nicht nur Dizzee Rascal oder Danny Brown ihre Spuren hinterlassen, auch der Einfluss von elektronischen Vordenkern wie Flying Lotus, Boards of Canada oder Squarepusher ist allgegenwärtig spürbar – im Opener Crabs in a Bucket operiert Staples gar im Sog von Burials stolperndem Mitternachts-Dubstep, dem eine Twin Peaks-Future-Synthie-Ebene verpasst wurde, auf der die immer wieder für melodische Haken sorgen dürfende Kilo Kish das erste Mal tänzelt.
Staples Wut über sozialpolitische Missstände („Prison system broken, racial war commotion/ Until the president get ashy, Vincent won’t be votin’/ We need Tamikas and Shaniquas in that Oval Office/ Obama ain’t enough for me, we only getting started/ The next Bill Gates can be on Section 8 up in the projects/ So ‚til they love my dark skin/ Bitch I’m goin‘ all in„) kocht zwischen den Problemen des Alltags und Beziehungsproblemen immer wieder auf: „Move your body if you came here to party/ If not then pardon me/ How I’m supposed to have a good time/ When death and destruction’s all I see?/ Out of sight, I’m out of my mind/ The sound of sunshine is callin‘ me/ Good vibrations is all I need/ All I need, all I need„. Staples übersteigert die Absurdität der Realität, indem er sie zusätzlich befeuert, hat ein ungemütlicher Abgrund neben die Ausgelassenheit gerissen.
Abseits davon konterkariert Big Fish Theory die unbändig antreibende Rhythmuslastigleit allerdings ohnedies immer wieder mit regelrecht bedrohlich ausgebremsten Konzentrationen, die der Platte eine fast schon schmerzende Kehrseite einbrennen – Yeah Right zerbröselt sein maschinell-wummerndes Brodeln mit Call and Response-Hypnose plötzlich, um in dessen knisternde Sollbruchstelle Kendrick Lamar pressen zu lassen und vielleicht den Afro Futurism zu beschwören, von dem Staples immer wieder gesprochen hat; das klaustrophobische Samo zieht die Schrauben destruktiv und brachial sich selbst malträtierend an, entwickelt sich zu einer bedrohliche Angelegenheit mit A$AP Rocky.
Big Fish Theory fächert sein Portfolio in diesem Spannungsfeld mit der Riege an veritablen Studiobastler (GTA, Flume, Christian Rich,… – sogar Justin Vernon sackt Credits ein!) samt genrefremden Größen auf der Gästeliste (Damon Albarn kann beinahe übersehen werden, Ty Dolla Sign oder Juicy J liefern prägnant ab) variable auf, verleibt sich auch scheinbare Brüche wie die halluzinogene Soul-Ambient-Skizze Alyssa Interlude (Amy Winehouse-Gesprächsfetzen treffen auf die Temptations) in seinen kurzweiligen Fluss, auch wenn die Dynamik dabei ein wenig ausgebremst wird.
Ohnedies kommt Staples‘ Zweitwerk nicht gänzlich ohne Schönheitsfehler aus. Big Fish Theory shiftet seinen Fokus mit spektakulärer, mal exzessiver, mal dunkel brodelnder Energie, entwickelt jedoch auch Szenarien, in denen ein zwischen Lethargie und Hochform pendelnder Staples sich phasenweise nur wie ein ruheloser Passagier in seinen eigenen Songs anfühlt. Das großartige Love Can Be… pumpt beispielsweise mit entrückten Beats, wirkt allerdings auch so, als müsste Staples immer erst warten, bis zwischen den Passagen ein Platz im Song für ihn geräumt wird – bevor der Track plötzlich den Stecker zieht, ohne einen wirklichen Climax gehabt zu haben. Wo der Style immer wieder auch den Inhalt zu bestimmen scheint, muss man insgeheim zugeben: Nicht nur hier flasht der Sound und die unverbrauchte Energie der Platte tatsächlich mehr, als es die eigentliche Performance des nominellen Hauptprotagonisten tut.
Vielleicht funktioniert hier alles aber auch einfach nur im Dienst der Sache, fügt sich jedes Element kongenial und zweckdienlich in das übersprudelnd kreative Korsett der Produktionen ein. Big Fish Theory ist unbändig und aufgedreht. Im Grunde nicht weniger karg als Staples das auf seiner bisher favorisierten Schiene zelebrierte, aber eben doch deutlich lebendiger, infektiöser, optimistischer und mitreißender. Über einer enorm vitalen Inszenierung haben so harte wie geschmeidige und prägnante Beats einen entwaffnenden Flow, funktionieren aufgeräumt, verspielt und zwingend auf den Punkt geschraubt, schaffen zudem einen interessanten Spagat: Big Fish Theory wirkt gleichzeitig, futuristisch und unkonventionell originär, wie es Staples Bewegungsradius eigentlich in eine zutiefst massentaugliche Breitenwirksamkeit katapultiert – ein empfundener Hybrid aus anfixendem Underground und experimentellen Mainstream quasi, der Staples‘ Karriere in neue Sphären hieven sollte.
Fällt der Zugang zu dieser Endorphinschleuder doch gerade im direkteren Vergleich und im Gegensatz zu Summertime ’06 enorm leicht. Staples funktioniert nicht mehr primär über die Kopfebene, sondern geht schonmal direkt in Bauch in Beine, heizt ein und treibt. Big Fish Theory fühlt sich damit noch kürzer an, als es in seiner vielseitigen Kompaktheit von (vielleicht zu kurzen) 37 Minuten nicht ohnedies bereits ausgefallen ist, und zündet ohne eindimensional zu werden tatsächlich auf eine relativ simple Art und Weise: Diese Platte macht einfach ordentlich Bock. Immer wieder. Und versetzt die Erwartungshaltungen damit auf gleich zweierlei Weise – allerdings eben auch, wenn man sich insgeheim eine Platte von Staples erhofft hätte, die die Balance zwischen Unterhaltungswert und Substanz noch ausgewogener gefunden hätte, eben doch ein wenig erschöpfender ausgefallen wäre oder schlichtweg deeper daherkäme als Big Fish Theory es in Summe ist. Jammern auf dem mitunter höchsten Genre-Niveau des Jahres.
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