Vennart – To Cure a Blizzard Upon a Plastic Sea

von am 28. September 2018 in Album

Vennart – To Cure a Blizzard Upon a Plastic Sea

Ohne absichernde Plattenfirma im Rücken tobt sich Mike Vennart drei Jahre nach The Demon Joke vogelfrei und ohne Angst vorm Risiko aus: To Cure a Blizzard Upon a Plastic Sea lässt nicht nur im kraftvollen Artwork Farben und Formen zum munter interagierenden Patchwork zusammenfinden.

Aus dem Rückhalt seines alles in Perspektive setzenden Brotjobs als Biffy Clyro-Tourgitarrist hat sich Mike Vennart zuletzt ja mit British Theatre auf Mastery in elektronischer geprägten und dennoch zutiefst vertrauten Gefilden ausgelebt, nachdem sein erstes Soloalbum als vergleichsweise enorm zugänglicher Schulterschluss euphorisierend an Bord holte: Mehr griffiger Pop und konventionell gestrickter Alternative Rock als hier gab es noch nicht einmal in den direktesten Szenen von Oceansize – man höre alleine die potentielle Stadiohymne Operate.
Seitens der Plattenfirma wollte man das vermarktbare Potential der 2015er-Schönheit allerdings nicht erkennen, weswegen Vennart für sein zweites Quasi-Soloalbum den Weg des nicht ungefährlichen Selbstvertriebs geht. „Ich kann nicht, nur damit die Plattenfirma damit arbeiten kann, meine Musik immer weiter abschleifen, Es ist wie es ist. Ich habe mir gesagt: ‚Fuck, bis hier hin und nicht weiter‘. Und ab da war es komplett egal, wie die Platte klingt. Das war noch mal ein ganz anderer Kick.“ erklärt Vennart, reißt Scheuklappen ab, zieht Ecken und Kanten auf – und nutzt die sich dadurch auftuenden Möglichkeiten folgerichtig für eine Platte, die ohne Einschränkungen zwischen den Stühlen turnt; sich komplex, absurd, traditionsbewusst, auch skurril humoristisch und auf abstrakte Art eingängig entfaltet, sich aus dem Fenster lehnt und doch wie ein alter Vertrauter klingen kann.

Dass Vennart – die Band – mittlerweile neben Dummer Denzel mit den alten Kumpels Gambler und Steve Durose aus drei Fünftel der Konkursmasse von Oceansize besteht, hört man To Cure a Blizzard Upon a Plastic Sea dabei übrigens stets stets an. Explizit etwa gleich beim Opener Binary, der so auch auf [amazon_link id=“B000AGL1CU“ target=“_blank“ ]Everyone Into Position[/amazon_link] stattfinden hätte können, wenn die vertrackte Rhythmik ohne Eile, aber viel Atmosphäre, ruhig anschwillt, Vennart all die Fäden zusammenführt, den Song aufgehen und packen und trotzdem noch so viele Überraschungen folgen lässt; oder im nicht weniger brillanten Diamond Ballgag – ein potentielles Stück [amazon_link id=“B003UTUQ48″ target=“_blank“ ]Self Preserved While the Bodies Float Up[/amazon_link]-Revisited aus heutiger Sicht, in dem Vennart besser und facettenreicher denn je singt, legt sich mit Leidenschaft in einen mitunter maritim perlenden und dann wieder kratzbürstig wütenden Song legt, seine Stimme über einem komplizierten Rock-Brett sondergleichen intensiv vibriert, bis auch das Faible für Iron Maiden durchscheint.
Welch fiebriger Anhänger der Engländer wiederum von seinem Landsmann Tim Smith und den Cardiacs ist, schimmerte vielleicht noch auf keiner Platte von Vennart derart durch, wie hier. Dafür sorgen primär die beiden Destillate Sentiena (mit kloppenden Drums, 80er-Patina und hibbeligem Over the Top-Gestus macht Vennart synthetisch ausgelassenes Tempo samt größenwahnsinniger Theater-Overtüre und ordentlich Energie unter der Haube) sowie Immortal Soldiers, das eine herrlich subversiv-pathetische Theatralik pflegt und einen fast schon hippiesken 60-Melodiebogen über seinen Spacerock streichelt, bevor sich die Nummer zu immer epischeren Auswüchsen steigert.

Eine der Stärken von To Cure a Blizzard Upon a Plastic Sea zeigt sich in der Spannweite dieser Momente, da die Platte trotz ihrer abenteuerlustigen Heterogenität kein zerfahrener Clusterfuck ist, sondern ein weitestgehend angenehm unkonventionell aufeinander abgestimmtes, auch harte Harmoniebrüche zulassendes Ganzes, dessen Mittelteil allerdings doch an seine Grenzen geht.
Friends Don’t Owe schält den grummelnden Bass unter den wehmütigen Radiohead-Gitarren hervor, irritiert mit seiner neben der Spur liegenden, nur vermeintlich übersättigenden Geradlinigkeit, und hat soviel Spaß, dass Vennart im zweiten Refrain beinahe zu lachen beginnt. Doch reißt der Fluss der Platte über diesen krudeen Ohrwurm mit seiner kaputten Penetranz auch ein wenig ein, während die Komposition unausgegoren zusammengehalten mäandert. Das dramatisch stampfende  Spider Bones geht dann sogar noch weiter, Richtung Madchester und New Order pulsierend, pflegt den eigenen stacksenden Remix auf einer entschleunigten Tanzfläche, bevor der Song doch noch den Raum vor der Bühne ankurbelt und letztendlich anmutet, als könnte er Maynard James Keenan und die Manic Street Preachers unter einen Hut bringen.
Diese durchaus ambivalente Phase ist es dann auch, die To Cure a Blizzard Upon a Plastic Sea nicht gänzlich zu The Demon Joke aufschließen lässt, da Vennart hier interessante Charakteristiken über das emotionale Momentum stellt, seine Komfortzone zu gewöhnungsbedürftig erweitert. Weswegen ein Wechselspiel mit dem Material der Copeland EP hier eventuell tatsächlich eine Option gewesen wäre – gerade Terrors anstelle dieser schräg ausholenden Wagnisse hätte ein zumindest befriedigenderes, vor allem aber runderes Album erzeugen können.

Es ist jedoch gerade auch Tugenden wie diese überbordende Courage sowie der vitale Spieltrieb, hinter dem expandierenden Mut auch scheitern zu können, letztendlich jedoch die Kurve zum Triumph zu kriegen, die To Cure a Blizzard Upon a Plastic Sea in seiner niemals sesshaft forschenden Hemmungslosigkeit auszeichnet.
Mit unzähligen gekrümmten Taktwechsel und griffigen Melodien, progressiven Strukturen und catchy Hooks, kombiniert und jongliert Vennart im Verlauf der Platte schließlich wie selbstverständlich faszinierende Ideen und irritierender Spinnereien, stellt eine (phasenweise gerade für das aufgefahrene Songwriting etwas zu brav produzierte, aber) grandios klingende Platte über 54 kurzweilige Minuten vor lohnenswerte, detaillierte Herausforderungen – und zirkelt damit vor allem gerade in der überragenden Anfangs- und Endphase eine technisch virtuose Stafette neuer Lieblingssongs und mitreißender Gänsehautmomente.
Donkey Kong etwa könnte mindestens ein Alternative Rock-Hit sein, doch stattdessen geht der Leviathan lieber Umwege und nimmt immer wieder neue Abzweigungen, die über den potentielle Killer-Refrain bei einem emotional explodierenden Schlachtruf enden und die Nummer wie eine Foals-Abfahrt auf die Achterbahn schickt. Der Beinahe-Dream Pop von Into the Wave findet hinter seinem ätherischen Ambient-Überbau dagegen ein schimmernden U2-Finale und das wunderschöne That’s Not Entertainment streichelt seine Nostalgie in einer getragenen Feierlichkeit, die sich so erhebend wie melancholisch in Bläserarrangements bettet, die so auch Elbow stolz machen würden. Robots In Disguise schraubt sich über knapp sieben Minuten mit orchestraler Opulenz in immer hymnischere Prog-Sphären, bäumt sich zwischen epischem Wohlklang und beschwörender Melodramatik auf und evoziert am Ende eine geradezu megalomanisch-Muse’sche Geste, die den Kraftakt einer Platte auf die Spitze treibt, die jedes Risiko wert war. „Sonic honesty„, fürwahr!

[To Cure a Blizzard Upon a Plastic Sea liegt Ausgabe Nr. 307 des Visions-Magazins bei.]

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