Vennart – In The Dead, Dead Wood
Ohne lange Vorlaufzeit triumphiert der progressive Alternative Rock von In the Dead, Dead Wood gleichermaßen als impulsive Momentaufnahme mit raffinierter, Architektur, wie als Wurzelbesinnung ohne verklärenden Nostalgiefaktor.
Ein Spagat, der durch die knapp umrissene Biographie der Platte vorweggenommen wird – „Written quickly during lockdown 2020, with some forgotten bits exhumed and rescued from years ago.“ – aber auch zu kurz greift.
In ausführlicherer Betrachtung ist In the Dead, Dead Wood nämlich ein Album geworden, dass stilistisch einerseits abermals die Trademarks von Vennart in neue Lichter taucht – diesmal dunkler, drückender, rauer und auch deutlich härter als auf den freiheitsliebenden The Demon Joke (2015) und To Cure a Blizzard Upon a Plastic Sea (2018) -, dabei jedoch gefühlt auch so nahe an das Erbe von Oceansize herantritt, wie das die beiden Vorgänger eben nicht wollten.
Am deutlichsten wird dies vielleicht im grandiosen Finale der Platte, wenn Forc in the Road über knapp zehn Minuten eine ätherisch im Ethereal Wave aufgelöste Innenansicht ist, behutsam und wunderschön. Klavier und Gitarre schippern über einem elegischen Meer zu assoziativen hauseigenen Klassikern wie Savant, das Schlagzeug ist Taktgeber mit geschlossenen Augen, der Postrock geht am Horizont auf, und die hypnotische Trance wird zur somnambulen Liebeserklärung an Kate Bush: Mike Vennart kann Atmosphäre einfach erhebend und fesselnd.
Dass es den daran hängenden Hidden Track Concierge als betont friedlich gelösten 8-Bit-Optimismus mit seinen Harfen als Epilog-Tribut an die Arctic Monkeys deswegen nicht gebraucht hätte, ist dann aber ebenso ein Symptom des spontanen Albumhintergrundes.
Denn ab der Titelnummer, einem neondunklen Synth-Instrumental, das ätherisch flimmernd einen pastoralen Chor aus den Tiefen emporzieht und immer astraler scheint (womit das Stück in seiner straighten Entwicklung nur im Kontext funktioniert, aber auch spielzeitmäßig zu viel Gewicht verlangt, um „nur“ eine Interlude zu sein), wird In the Dead, Dead Wood vom Album mit kohärenten Spannungsbogen und nahtlosen Fluss zu einer Sammlung von ausnahmslos starken Einzelsongs. Weight in Gold sucht im Midtempo hallend und fauchend gegen die Gitarren gestemmt die Hymnik, verpackt seine straighte Ausrichtung aber in keine Extase, bleibt inszenatorisch einfach zu gleichförmig konstruiert; Mourning on the Range ist dagegen kontemplativ treibender, bimmelt entspannt und plätschert im besten Sinne, bis der Refrain die eckiger gegen den Strich gebürstete, schleppende Zeitlupen-Abfahrt wählt, sich in eine lethargische Resignation stürzt, die zu guter Letzt doch noch Aufbruchstimmung inhaliert – bis eben das Finale mit Forc in the Road dem Schatten der Vergangenheit standhält und es weitestgehend egalisiert, dass der Spannungsbogen der Platte eine unrunde Orientierungslosigkeit, zumindest aber zerfahrene Anordnung mit überhastet scheinendem zweiten Akt bekommen hat.
Ein Umstand, der durch die kompakte Spielzeit von 46 Minuten betont wird, undankbarerweise aber gerade deswegen schwerer wiegt, weil Vennart und seine Kumpels neben einer generell bestechenden Substanz in der ersten Hälfte der Platte hinsichtlich der übergreifenden Dynamik praktisch gar nichts falsch machen.
Silhouette – spätestens nach dem zweiten Durchgang ein Instant-Hit – schraubt seine drückenden Riffs zu einem epischen Refrain, Vennart hat sogar wieder Bock zu brüllen. Die Synthies lauern unterschwellig, die Zügel sitzen enger, die Melodie brädt zwingend, konzentriert und weitschweifenden, verdichtet und sehnsüchtig. Super Sleuth groovt danach stacksend, der trockene Bass und das Schlagzeug lenken eine eigentlich überschwängliche Nummer präzise. Ein erstes Solo deutet an, eine flapsig klimpernde Bridge macht klar: dieser Song hätte auch leichtfüßig tanzbar sein können, entscheidet sich aber lieber für die malmende Gangart, die hinten raus mit gefletschten Zähnen rumort. Elemental lockert das Ambiente über einem verträumten Piano doch noch, treibt melancholisch und entschleunigt, der Chorus steht unter Strom und sinniert später im Ansatz solierend. Vennarts Stimme vibriert als Iron Maiden-Fan, zeigt eine weitere Facette seiner wohl bisher variabelsten, auch selbstverständlichsten Gesangsleistung. So könnten zudem, nichts für ungut Halbballaden von Biffy Clyro heute ohne Kirsch, aber reibenden Punch klingen: Nicht nur der Appendix ist eigentlich so konsentauglich und nach grundlegend konventionellen Ansätzen gedacht, dann aber doch so vertrackt und eigenwillig gebaut, dass man sich über einzelne Segmente zum ganzen vorarbeiten muß.
Lancelot perlt dort romantisch mit seltsam billiger 80er-Keyboard-Grundierung (eine bewusste Entscheidung allerdings, die auch nicht aus dem kohärenten Sound fällt) und Streicher-Ahnungen. Das kann erst ziellos anmuten, verknüpft dann aber alle Fäden zu einem erhebenden Plateau mit offener Perspektive. Eben ein bisschen so, als wären die Tugenden von Oceansize mit einer über die vergangenen Solo-Jahre gewonnenen Kompaktheit vertieft worden. Dass dieser (freilich wieder sensationell gemixt und produzierten) Überraschung-Coup ein paar zusätzliche Stunden im Brutkasten gut getan hätten, wiegt insofern also weitaus weniger schwer als die Euphorie des Augenblicks – und die Aussicht, dass der Nachfolger bereits in der Pipeline lauert.
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