Vennart – Forgiveness & The Grain
Ist Forgiveness & the Grain in der Schnittmenge aus Hum und Boris die Umkehrschub-Reaktion auf das Empire State Bastard-Debüt Rivers of Heresy aus dem Vorjahr? Oder gar das Album, das knapp zwei Dekaden nach dem unsterblichen Music for a Nurse aus der Erinnerung an den schönsten Oceansize-Song heraus gewachsen ist?
Zumindest in der subjektiven Wahrnehmung platziert sich das vierte Studioalbum von Mike Vennart jedenfalls zwischen diesen Assoziationen und holt die Diskografie des Briten nach (dem an dieser Stelle vor vier Jahren doch zu wohlwollend wahrgenommenen, seinen Reiz nicht wirklich lange aufrecht erhalten gekonnt habenden und insofern ein wenig enttäuschenden Vorgänger) In the Dead, Dead Wood wieder auf den gewohnt überragenden Level zurück. Mehr noch: Forgiveness & the Grain gehört seiner Ganzheit sogar zum Besten, was der 48 jährige Musiker bisher – also über mittlerweile auch schon zwei Dekaden – erschaffen hat.
Und das, obwohl mit dem für sich genommen tollen Syllables ein Schönheitsfehler im Verlauf prangert. Vennart träumt da auf einer massiven Bass-Linie entschleunigt groovend dahin, schraubt seine Stimme zu dieser tiefen, hypnotischen Grundierung kontrastierend schlängelnd ins Falsett – findet jedoch trotz prolongierten „Hemiola-Trick“ nirgendwohin, verschleppt den ansonsten so homogenen Albumfluss mit dem definitiven, aber aus dem Nirgendwo kommenden Prog der Platte und bremst das grundlegend schlüssige Sequencing störend aus.
Chapter X : Whereupon I Immediately Did Nothing gibt die Gambler-Ouvertüre am Klavier, neugierig und hoffnungsvoll, lässt sich irgendwann zu einer vertrackten Rhythmen im schwelgenden Croonen treiben und erfleht sphärisch einen dramatischen Suspense. Das dröhnende, schiebende Luminous Target peitscht den flehend-attackierenden Space Rock so energisch nach vorne und löst sich in einer finalen jubilierenden Harmonie auf, die feierlich umarmt.
Danach verdichtet sich Forgiveness & the Grain noch mehr um alles, was man am Herzstück von Everyone Into Position von 2005 weg für immer lieben musste und löst gleichzeitig die Strukturen konventionellen Songwritings daran auf. Vennart findet so eine flächiger arbeitende Eindringlichkeit, die dem frontalen Wesen von Empire State Bastard beinahe diametral mit einem Mehr an Schönheit und Eleganz entgegen steht.
Das zurückgenommene (laut Eigenaussage von Lana Del Rey and Phoebe Bridgers inspirierte) R U The Future?? entwickelt ein extrem dichtes Geflecht aus Gitarren und rasselnder Rhythmik über ätherischen Synth-Texturen, die immer dominanter werden, wie eine Meditation, deren Anmut physisch wird. Auch, weil Vennart einmal mehr synonym mit einer überragenden Produktionsqualität steht: die Soundqualität der (Spotify traditionell außen vor lassenden) Platte ist einfach bestechend gut geraten.
Der nautisch flimmernde Weltraum Ambient des schlagzeugfreien Fractal kippt in eine Wall of Sound aus anschmiegsamen Drone Metal, wonach das ruhige Casino umso angenehmer und weicher in sich und seine psychedelischen Postrock-Vorlieben geht – aber „it’s intended to be opening up a big fucking starry, sparkly, smoky room„. The Japanese No transzendiert in der Ästhetik und gleitet über eine polternde Percussion in die Körperlichkeit zurück, bevor das majestätisch pulsierende Seventy Six alle Zeit der Welt bekommt, um zu verklingen. Vennart schwärmt dabei von den Swans und sagt über den Closer: „It’s this hypnotic, fucking black hole that just takes you somewhere else„. Stimmt so.
„Some people think it’s my most optimistic record… I don’t hear that at all. I don’t feel like a comfortable person any more. I’m just questioning absolutely everything. At no point do I feel that there’s a future that’s worth looking forward to. I feel fucking incredibly scared and fearful of whatever might come next in my life and on the global stage. There’s a lot of references in this record about just crying at the feet of passers-by and recognising that at any point any one of us is minutes away from being made homeless.“ erzählt Vennart.
Tatsächlich fühlt sich die Stasis Forgiveness & The Grain aber in jener Hinsicht wirklich ein wenig optimistisch an, indem das Album eine melancholische, aufbegehrende Ionosphäre über dem bisherigen Schaffen des Briten aufzieht, und mit seinem bisher stimmungsvollsten Album seine Form(offenheit) von einem „massive minimalism“ Horizonte dort erweitert, wo einem der Alltag die Luft abschnüren kann.
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