殞煞 Vengeful Spectre – Vengeful Spectre

von am 3. Februar 2020 in Album

殞煞 Vengeful Spectre – Vengeful Spectre

Dass sich Metal aus China in den allgemeinen Aufmerksamkeitsfokus der (Melodic Black/Death-) Szene drängen kann, passiert nicht häufig. Dass 殞煞 alias Vengeful Spectre dies auch noch mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum schaffen, macht die Sache noch spektakulär.

Viel ist dabei nicht über die offenbar erst im Frühling 2019 gegründete Band aus der Guangdong Provinz bekannt. Die sparsamen Informationen, die sich etwa via Bandcamp über die selbst ernannten „Eastern Folk Black Metal Swordsmen“ zusammentragen lassen, geben nicht einmal Aufschluss über die personelle Besetzung oder Mitgliederanzahl (obgleich die Beteiligung von Frozen Moon-Sänger Fan Bo mittlerweile bestätigt zu sein scheint).
Letztendlich spielen etwaige realexistente Hintergründe aber ohnedies keine notwendige Rolle, um sich in die konzeptuelle Welt zu verlieren, die die Asiaten mit ihrem Debütalbum mitten auf einem mystischen Schlachtfeld kreieren: „The consecutive six chapters describe a story of eastern swordsmen concerning war, conspiracy, betrayal and revenge“ reicht da als weiterführende Erklärung, auch das Artwork zeichnet selbst ohne Verständnis der Texte ein imaginatives Bild des Geschehens.

Zumal die 36 Minuten der Platte als fettes, ungewöhnlich sauber produziertes Gemetzel irgendwo zwischen den extrem melodischen Polen des Black und Death-Metal ohnedies für sich sprechen, wenn Vengeful Spectre ihren Sound nicht nur durch den Einsatz chinesischer Folklore und traditioneller Instrumente wie Dizi oder Guzheng zusätzlich definieren, sondern ihn auch mit allgegenwärtigen atmosphärischen Interludes anreichern.
Diese Prägung funktioniert niemals als Gimmick, auch wenn die Stimmungsbilder phasenweise überhand zu nehmen scheinen, und das fernöstliche Repertoire in seltenen Fällen pflichtbewusst wie Verzierungen anstelle essentieller Bestandteile der Nummern wirken kann – und dann durch die sofort griffige Funktionsweise trotz einer theoretischen Distanz von der Harmonielehre in den ansatzlos faszinierenden, vertrauten Bann ziehend wie eine westliche Touristen-Perspektive auf Asien anzumuten scheint – ein Trugschluss, wie der Gitarrist der Band übrigens gerne in einschlägigen Portalen aufklärt.
Sei es, wie es sei: Auch wenn die Folk-Segmente das letzte Quäntchen an Originalität darstellen, das die Band praktisch aus dem Stand und Nichts kommend in die erste Liga des Genres katapultiert, wären Vengeful Spectre notfalls auch ohne diesen Exotenbonus grandios, weil das Songwriting stark genug ist, um Anhänger von Emperor und Black Dahlia Murder über Kvelertak bis Darkest Hour in Extase versetzen zu können.

破軍 The Expendables kommt da über sagenumwobene Landschaften aus dem Nebel, und bevor man realisiert, was da auf einen zu galoppiert, explodiert der Angriff auch schon: Vengeful Spectre keifen mächtig, ballern und tackert und hämmert zu Riffsalven, bauen auch über die bedächtiger aufmachende Bridge Atmosphäre auf, packen dann das thrashiges Riffing auf dramatische Spannungsbögen und ein episch ausholendes Solo. Schon der Opener verpasst sich stets aufs Neue eine kompositorische Frischzellenkur, bevor die Reiterhorde als martialische Stampede zu neuen Kriegsszenen weiterzieht.
殞殤 Desperate War gibt sich danach sogar noch böser und druckvoller, die Band steht extrem dicht unter einer cinematographischen Dunstglocke. Der Umbruch zum ambienten Zwischenspiel mag da vielleicht zu abrupt passieren, dafür eskaliert die Band danach wie Artificial Brain mit hirnwütigem Händchen für eine schräge Catchyness, die man notfalls auch im Suff mitgröhlen kann, ohne zu wissen, was da eigentlich genau passiert. Während die Band den Song mit irrem Tempo und Aggressivität nach vorne schleift, heult hat die hymnische Doppel-Lead. Verdammt, macht das Bock!

慟嘯 Wailing Wrath nimmt sich lange Zeit und drosselt das Tempo, bringt das Traditionelle und den Metal in enorm sehnsüchtiger Symbiose am Doom zusammen. Das chinesische Hackbrett ist wie geschaffen für den Sound, die entsprechenden Flöten verleihen den Texturen eine noch sphärischere Tiefe. Gerade im Kontext funktioniert das überragende Herzstück grandios, weil der Albumfluß mit viel Sorgfalt gezirkelt wird: Vengeful Spectre bleibt gerade über die kompakte Spielzeit stets hungrig, hält die Intensität über einen kontrastreiche Dynamik immer hoch.
Dennoch gönnt sich die Platte danach erst einmal eine Atempause im Narrativ. Die Nacht lichtet sich im Interlude 歸隱 Hermit jedoch nur vermeintlich, Vögel zwitschern und die Pferde kommen an der Lichtung zur die Tränke, eine trügerische Fantasy Field- Recording-Oase.
肅弒 Rainy Night Carnage eröffnet sich eine neue Szene, die Stimmung kündigt mit Suspence und Krähen unheilvolles an, kotzt sich dann aber auf einer messerscharf und massiven Welle aus: Plötzlich ist da ein Orkan, der wie fernöstliche Mr. Bungle eskaliert, mehr mehr oder eher minder, tanzt im manischen Rausch zu Blastbeats und insektoiden Schattierungen. Irgendwann bremst sich die Nummer komplett aus und startet den rasenden Irrsinn von neuen, wie von der Tarantel gestochen. Der Klimax ist kurz vor seinem Höhepunkt, das Finale um 哀忿 Despair and Resentment taucht das Geschehen eher noch einmal episch an, bevor die Instrumente ein letztes Mal hyperventilieren dürfen, obgleich der Schlusspunkt leider ein bisschen zurückhaltender als der Rest der Platte bleibt und die Dinge eher abkühlen lässt, aber keine Diskussion aufkommen lässt: Dieser Einstand fühlt sich wie der Prolog zu einer potentiell großen Karriere an.

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1 Trackback

  • Ibaraki - Rashomon - HeavyPop.at - […] mit Blastbeats auf dem Weg zu Heafys Stammband an den folkloristischen Texturen von Vengeful Spectre reibt, den pathetischen Klargesang…

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