Various Artists – Day of the Dead

von am 9. Juni 2016 in Compilation

Various Artists – Day of the Dead

Ein adäquater Tribut an die Jamrock-Legende um John Garcia schreit förmlich nach weit streunenden Songs, nach Länge und einer generell ausufernden Verneigung. Wie erschöpfend die Dessner-Brüder nun aber ihre seit Jahren angekündigte Grateful Dead-Songsammlung vollenden, sprengt dann doch – willkommernerweise – jeden Rahmen.

Bereits [amazon_link id=“B001KVW574″ target=“_blank“ ]Dark Was The Night[/amazon_link], die erste von den The National-Zwillingen zusammengestellte Compilation für die Red Hot Organization ließ sich nicht lumpen, was die Tragweite aus Quantität und Qualität anging. Dennoch stemmt Day of The Dead diese beachtliche Vorgabe praktisch mühelos: Über 4 Jahre hinweg haben Aaron und Bryce Dessner über 60 Musiker entlang 59 Interpretationen zahlreicher Kompositionen aus dem näheren Grateful Dead-Umfeld kuratiert, produziert und zusammengetragen oder gleich mit der hauseigenen Kombo um Scott und Bryan Devendorf, Josh Kaufman, Conrad Doucette Sam Cohen und Walter Martin eingespielt. Was nun in knappen 6 Stunden an formidabler Musik gipfelt, aufgeteilt in drei thematische Blöcke auf 5 CDs, die defacto das Who is Who der zeitgenössischen Indieszene hofieren und in Sachen Namedropping-Power wohl beispiellos die Muskeln spielen lässt: Von Lucinda Williams über Jim James, Real Estate und Local Natives bis hin zu den natürlich mehrmals vertretenen The National beschert alleine die Ansicht der Trackliste ein feuchtes Höschen. Dass die 25. Compilation zu Gunsten der Aids-Forschung inhaltlich nicht hinter dieser schier überwältigenden Teilnehmerliste einknickt und die immensen Erwartungshaltungen tatsächlich weitestgehend stemmen kann, ist dann freilich nur noch erfreulicher.

Man kann sich dabei vor allem auf die ersten Durchgänge durchaus in feinen Songfluss und die entspannte Dynamik von Day of the Dead verlieren, da die Compilation auch zahlreiche weniger aufregende Interpretationen in ein nahtloses Gesamtwerk ordnet, und in Summe nur selten einen exzessiven Zugang zu den Originalen wählt. Harm- oder zahnlos ist Day of the Dead deswegen keineswegs, eher stark ausgewogen in seiner Spannweite aus experimenteller Exaltiertheit und versöhnlich griffigen Melodien. Zudem ist es die Vielzahl an impliziten Hochphasen, die diesen Reigen der Indie-Sonderklasse mit beachtlicher Stärke über die Etappen Thunder, Lightning und Sunshine wandern lässt.
The War on Drugs laufen mit dem eingängigen Touch of Grey relativ typisch zum Heartland-Americana. Sugaree wird von Phosphorescent, Jenny Lewis & Friends als beschwingte Countrynummer mit Orgelteppich inszeniert, während Perfume Genius, Sharon Van Etten & Friends To Lay Me Down zur Klavierballade umgestalten. New Speedway Boogie ist nun von der nebensächlichen, beiläufigen Coolness durchflutet, die Courtney Barnett all ihren Songs einschnoddert, bevor Anohni & yMusic Black Peter mit orchestraler Breite flirten und Angel Olsen Attics of My Life sakral ausstaffiert.
Für die Highlights der ersten Phase sorgen jedoch vor allem der Zusammenschluss von Bruce Hornsby und den kurzzeitig wiedervereinten Justin Vernon-Kumpels von DeYarmond Edison (Black Muddy River), die mit viel Lässigkeit gniddelnde Kooperation von Kurt Vile und seine Violators samt Gast-Grantler J Mascis (Box of Rain), der den vorherrschenden Sound mit Synthiepop aufbrechende Uncle John’s Band von Lucius und die oszillierende Gitarrenfigur Garcia Counterpoint von Klassik-Fingerflitzer Bryce Dessner –  das 17 Minütige Terrapin Station (Suite) als psychedelische Odyssee mit Bond-Dramatik von der arrivierten Supergroup-Melange aus Gizzly Bear-Mitgliedern und The National sowieso.

Generell wird Day of the Dead mit Fortdauer mutiger, was die Aufbereitung angeht: Charles Bradley and Menahan Street Band verleihen dem Cumberland Blues ein abgehangenes Bar-Flair und Bonnie ‚Prince‘ Billy & Friends dem Bird Song einen funky Ansatz, wo sich auch für den Tallest Man on Earth mit Ship of Fools neue Perspektiven auftun. Truckin‚ von Marijuana Deathsquads fällt dann als minimalistische Elektronik-Baustelle mit Jazz-trompeten und wirren Effekten ohnedies herrlich interessant und unkonventionell aus der restlichen Schiene und empfiehlt sich als Black Mountain-Variation in abgedreht. Die Supergroup Nightfall of Diamonds begeht den Song gleichen Namens dann als faszinierende Soundexkursion in die Feedback-Transzendenz, auch Tunde Adebimpe, Lee Ranaldo & Friends atmen bei Playing in the Band den puren Geist von Grateful Dead, indem sie knapp 10 Minuten lang driften, ohne agressiv zu werden. Tim Hecker wiederum zerlegt Transitive Refraction Axis for John Oswald als Gitarrenminiatur in Einzelteile und schraubt sie atmosphärisch zusammen, bevor Day of the Dead stilistisch in alle Richtungen wuchert: Tal National sorgen mit Eyes of the World für Afrobeat-Lockerheit, Béla Fleck serviert die Bluegrass-Banjo-Meisterleistung Help on the Way und Orchestra Baobab stürzen sich in tropische Partylaune, bevor Richard Reed Parry with Caroline Shaw & Little Scream (feat. Garth Hudson) opulente Musical-Größe skizzieren. Wie schmerzlich man dagegen die handfeste Romantik von The Walkmen vermisst, führt dann Ripple mit gebrochenem Herzen vor.
Unknown Mortal Orchestra vereinnahmen später das zum fetzigen Psychedelc-Funk umgeformte Shakedown Street ebenso nahtlos wie Daniel Rossen und Christopher Bear sich  High Time zu Eigen machen. Stephen Malkmus ist sowieso ein Meister im covern: China Cat Sunflower -> I Know You Rider gerät zum entspannten 12 minütigen Triumphzug. Dagegen haben das folkig gepfiffene Jack-A-Roe (This Is The Kit) und der Synthie-Softrock von Althea (Winston Marshall & Kodiak Blue and Shura) zwangsläufig das Nachsehen – was die Nummern per se aber dennoch nicht unbedingt schwächer macht. Doch die Stimmung der Songsammlung kippt im letzten Drittel immer weiter in tranceartig verschwommene Konturen, der Sonnenschein sorgt keineswegs für klare Sicht: Day of the Dead wird mutiger, unkonventioneller.

Bill Callahan beschwört deswegen den Easy Wind, einen nebulöser Americana auf Halluzinogenen und Ira Kaplan döst im unwirklichen Wharf Rat in einer behutsamen 10-Minuten-Schönheit, die so auch von Yo La Tengo hätte kommen können. Terry Riley und sein Sohn Gyan lösen den Fokus von Estimated Prophet schamanenhaft auf, Man Forever & Sō Percussion and Oneida zirkeln Drums -> Space als jazziges Experimentalfeld. Noch weiter draußen: Fucked Up, die Punk mittels Cream Puff War nur noch aus dem fahrigen Orbit und mit einigen Längen betrachten; The Flaming Lips, die den Dark Star herrlich ziellos zerschießen; der Weltenbeschwörende Bläser-Weltraum-Score, den s t a r g a z e aus What’s Become of the Baby machen; die einnehmende Klavier-Auffassung King Solomon’s Marbles von Komponist Vijay Iyer; und die ganz wunderbare Folk-Zurückgenommenheit And We Bid You Goodnight von Sam Amidon. In der Detailansicht gibt es hier so viele Kleinode und Schmankerl zu entdecken – ganz ungeachtet davon, ob man die Originale nun überhaupt kennt (wobei übrigens diese Playliste ganz hervorragend Abhilfe schaffen kann!).
Die finalen Minuten gehören dann The National (die zuvor bereits mit dem behutsam pumpenden Peggy-O und dem mystisch polternden Traditional Morning Dew begeistern) und The Dead-Gründungsmitglied Bob Weir selbst, der sich auch bereits bei Wilco’s St. Stephen auf die Bühne gesellt hatte: der zügellos anmutende, meisterhaft-improvisierende Jam-Spirit der Compilation wird hier ein letztes Mal imposant destilliert. Und vervollständigt mit adelnder Anwesenheit eine reichhaltiges Schaulaufen, das vielleicht nicht ohne einige weniger zwingende Darbietungen auskommt, in Summe aber nicht nur angesichts seiner Vielfältigkeit eine erstaunlich runde, furchtbar angenehm durchlaufende Angelegenheit geworden ist. Um es noch klarer auszudrücken: sogar Mumford & Sons liefern ab!
Selbst wenn hier alleine der wohltätige Zweck also die Mittel geheiligt hätte: Die Wartezeit hierauf hat sich alleine musikalisch mehr als nur gelohnt.

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