Van Morrison [08.06.2015: Stadthalle, Wien]
Der Mann zieht sein Ding kompromisslos durch: Eine Setlist, die es in erster Linie der Legende aus Nordirland selbst Recht macht. Dargebracht von einer grandiosen Backingband, die sich nach der Pfeife des Meisters ins Zeug zu legen hat. Vor einem Publikum, das als tolerierte Beobachter dem mit Klasse dargebrachten Querschnitt durch das Œuvre des 69 Jährigen beiwohnen darf. Van Morrison Konzerte sind ein launiges, herrlich unangepasstes Roulette.
Die Art und Weise, wie Van Morrison nach eineinhalb Stunden Spielzeit um 21.15 Uhr die Bühne der Stadthalle verlässt, ist durchaus symptomatisch für den Abend: seine fünfköpfige Band (plus Backgroundsängerin Dana Masters) steigert sich gerade in die Ausläufer von ‚Gloria‚ hinein, das Publikum hält es nicht mehr auf den Sitzen und versammelt sich vor der Bühne, von antiquierter Nostalgie oder hüftsteifen Ambiente ist keine Spur. Und während die versierten Erfüllungsgehilfen da an ihren Instrumenten mit abschließenden Soloeinlagen glänzen dürfen und den Abend beendet, die Menge applaudiert und der Funke letztendlich doch übergesprungen ist, ist der Mann aus Belfast mit einem knappen „Thank You“ längst von der Bühne verschwunden – und wird auch nicht wieder zurückkommen.
Die allgemeine Begeisterung, so scheint es, interessiert ihn nicht, er spielt nicht für Applaus, auf Zugaben hat er heute keinen Bock, auf die gängigen Konventionen der Unterhaltungsindustrie pfeift er ohnedies die gesamte Show über: Es gibt keine Ansagen oder irgendwelche Interaktion mit einem langsam aber doch aus der Ehrfurcht auftauenden Publikum, das im tiefen Dunkel der Halle sitzt und eine nur spärlich ausgeleuchtete Bühne sieht, eine extrem minimalistische Licht“show“ und eine für die an sich vorhandenen Dimensionen der Stadthalle irritierend zusammengedrängt auf der großen Bühne stehende Tourband.
Das lädt freilich zu Mutmaßungen ein. Wäre eine andere Location, ein intimerer Rahmen hierfür nicht deutlich besser geeignet gewesen? Fakt ist: der klare Sound ist bis auf ein störendes Krachen während der ersten Songs bei einem der Drummikros durchwegs in Ordnung (auch, wenn man die Gesangsbeiträge von Gitarrist Dave Keary stellenweise nicht hört), die Kapazität der Stadthalle aber nur erstaunlich bescheiden ausgefüllt. Die oberen Etagen sind gänzlich hinter schwarzen Vorhängen verborgen, das Parkett und die Tribünen keinesfalls bis zum letzten Stuhl gefüllt, Karten für den Auftritt waren bis zum verspäteten Beginn um 19.45 Uhr noch problemlos in allen Kategorien erhältlich.
Dass die Stadthalle bei einem Konzert dieser Größenordnung gefühltermaßen noch nie derart spärlich besucht war, könnte da natürlich mit den abschreckend hohen Preisen zu tun gehabt haben, die sich in der Nähe des dreistelligen Bereichs einpendelten. Aber auch damit, dass sich in Wien bereits herumgesprochen zu haben scheint, dass Van Morrison bei seinen letzten Gastspielen wenig Rücksicht auf die Präferenzen des zahlenden Publikums nahm, die Tagesform des ehemaligen Them-Frontmannes nur zu gerne launig variiert.
Der Belfast Cowboy ist eben kein Tanzbär für die Massen – und auch an diesem Abend steht selektierte Qualität (mit einem Schuss Gewohnheit) vor Quantität, was natürlich relativ zu sehen ist: satte 21 Songs lassen bei einigen Besuchern wohl auch deswegen ein unbefriedigendes Gefühl zurück, weil diese in dem unterbrechungsfreien Rausch in Windeseile verfliegen, Zugaben eigentlich/leider als Selbstverständlichkeit gesehen werden und Van Morrison sich zudem die Freiheit nimmt, nicht mit einem Feuerwerk seiner größten Hits zu unterhalten, sondern diese bei einem Streifzug durch alle Schaffensphasen deiner Karriere höchstens sporadisch mitzunehmen.
Neben ‚Gloria‚ gibt es deswegen bloß den in die Lounge swingenden, gutgelaunt daherkommenden Alltime-Klassiker ‚Brown Eyed Girl‚ sowie ein herrlich ausfransendes ‚Moondance‚ aus der Evergreen-Lade. [Gerade bei letzterem fällt in dem rein bestuhlten Rahmen übrigens der allgemeine Wahn Handyvideos drehen zu müssen besonders unangenehm auf, als sich ein Hobbyfilmer dazu bemüßigt fühlt das halbe Parkett die gesamte Songdauer über mit seinem Blitzlicht auszuleuchten. Dass die erwähnenswert freundlichen Platzanweiser dazu stets gefordert sind Smartphone-zückende Menschen vor der Bühne zu vertreiben, ist dann ein Zeichen des Zeitgeistes – dem Van Morrison mit seiner eigenwilligen, kauzigen und anachronistischen Performance irgendwo durchaus entgegenarbeitet].
Die Setlist wird dabei leidlich spontan vom Bandleader aus dem für diese Tour abgesteckten Pool an Songs gegriffen. Impulsiv diktiert der stoisch mit Hut, Anzug und Sonnebrille über Bühne schleichende Morrison (mehr Show gibt es von ihm nicht) in welche Richtung sich der Abend entwickeln wird, gibt Anweisungen und Befehle. Seine Begleiter müssen stets damit rechnen sich in Solo-Improvisationen stürzen zu müssen, erweisen sich hierbei allerdings souverän als wohlgewählte Virtuosen ihres Fachs, die sich soundtechnisch angenehm zurücknehmen und im Dienste der Songs stets die Ausdruckskraft und Imposanz der Stimme des Nordiren unterstreichen. Und ja: Dieses Organ ist immer noch zum Niederknien. Magisch eindringlich bisweilen.
Wenn sich Morrison wie beim instrumentalen Opener ‚Celtics Swing‚ oder dem smoothen ‚Close Enough for Jazz‚ als Saxofonist gelegentlich in versöhnliche Jazzgefilde begibt, ist der Applaus deswegen vor allem höflicher Natur. Ehrlicher Enthusiasmus entsteht aber immer dann, wenn er eindrucksvoll demonstriert, warum er zu den größten Sängern aller Zeiten gehört.
Da strahlen gerade jene Momente nachdrücklich, in denen Van Morrison den unsterblichen Celtic-Soulmagier gibt oder die Zügel seines R&B-schwangeren, folkbasierten Bluesrock enger zieht, insbesondere das letzte Drittel der Setliste gerät so nach dem noch etwas verhaltenen Beginn zu einem einzigen fesselnden Rausch: das anmutig strahlende ‚Carrying the Torch‚ wärmt von innen, ‚Here Comes the Night‚ ist ein quicklebendiger Tribut an die Vergangenheit, die Gospelgroßtat ‚Whenever God Shines a Light‚ erzeugt eine flächendeckend ansteckende Spannung im Publikum und das herausragenden Medley ‚In The Afternoon/ Ancient Highway/ Raincheck/ Burn Baby Burn‚ ist als furioser Husarenritt mit einem ekstatisch unter Strom stehenden Van Morrison der atemlose Höhepunkt des Abends.
Irgendwann stellt sich da in dem wohltemperierten Spannungsfeld aus beeindruckender Routine und einer unter die Haut gehenden Erhabenheit bei wohl nicht wenigen der Anwesenden auch die zufriedenstellende Erkenntnis ein: Mag das auch nicht das sein, was man sich am Allgemeinen erwartet oder erhofft hat, so ist es doch eine nachwirkende Demonstration davon, warum Van Morrison abseits der breiten Öffentlichkeit absoluten Legendenstatus genießt.
Setlist:
1. Celtics Swing
2. Close Enough for Jazz
3. By His Grace
4. Carrying the Torche
5. Baby, Please Don’t Go/Parchman Farm/ Don’t Start Crying Now
6. Here Comes The Night
7. Moondance
8. Days Like This
9. Precious Time
10. Enlightenment
11. Magic Time
12. Retreat and View
13. Open the Door (To your Heart)
14. Tore Down A La Rimbaud
15. Wild Night
16. Brown Eyed Girl
17. Did Ye Get Healed?
18. In The Afternoon/ Ancient Highway/ Raincheck/ Burn Baby Burn
19. Whenever God Shines His Light On Me
20. Help Me
21. Gloria
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