Urban Art Forms Festival [04.-06.07.2013 SFZ, Unterpremstätten]
Es wird wieder elektrisch am Schwarzl: Wieder ist ein Jahr vergangen, wieder pilgert das Festivalvolk in das gleichnamige Freizeitzentrum zum Urban Art Forms Festival. Dieses Jahr hat man sich bemüht, noch mehr zu bieten, bespielt die Main Stage schon am Donnerstag – ohne allzu große Überraschungen im Lineup, aber mit ordentlich Remmidemmi.
Dieses Jahr kann der Donnerstag dank einer bespielten Main Stage als „vollwertiger“ Festivaltag angesehen werden. Somit nähert sich das Urban Art Forms in der Größe seinen zwei großen Schwestern, Novarock und Frequency an, mit einem Unterschied: mögen die Dimensionen auch ein Stück weit größer sein als 2012 – der über weite Strecken entspannten Stimmung tut das auch dieses Jahr keinen Abbruch. Der erste Tag beginnt also recht geschmeidig mit 17th Boulevard, die sich als Opener redlich schlagen, obwohl ein Großteil der Besucher jetzt noch eher damit beschäftigt ist, sich auf dem Gelände zu orientieren, sprich: Alkoholisches zu konsumieren. Mit Dub FX wird‘s eine Kategorie beschwingter, doch erst bei Wankelmut ist das Festivalvolk halbwegs warmgetanzt. Eine schwarze Gewitterwand tut ihr Übriges und sorgt für beste Weltuntergangsstimmung, während vor allem der gut gefüllte Wavebreaker zu feinsten Beats durch den Abend wabert. Unbestreitbarer Höhepunkt ist das aktuelle ‚My Head Is a Jungle‚, das der Berliner souverän über die Menge breitet.
Kurz vor Gus Gus setzt schließlich der Regen ein, was eine kleine Völkerwanderung in Richtung Daviscuphalle in Bewegung setzt, in der die Beatthroat Stage (aka 2nd Stage) untergebracht ist. Wer nicht gleich flieht, wird von den Isländern aber dennoch mit fast schon feingeistigem Techno belohnt. Trotzdem spielt der Wetterumbruch ETEPETETE in die Hände, die sich derweil auf der Beatthroat Stage ins Zeug legen. Vor riesigen Space Invaders-Videowalls heizen die Mädels die Crowd an und scheinen selbst mindestens genauso viel Spaß zu haben. Hat man hier zwar im Vorjahr schon gesehen, fetzt aber zum Glück immer noch.
Deichkind haben dieses Jahr den Vorteil, als Abschlussact den ersten Abend auf der Mainstage zu beschließen und die Hamburger erweisen sich erwartungsgemäß als sichere Bank. Dass Deichkind bereits am Novarock zu Gast waren zeigt, in wie viele Schubladen sich ihr Elektro-Punk-HipHop quetschen lässt, auf den man sich sowohl in rockigen, wie elektronischen Gefilden irgendwie einigen kann. Das mag man beliebig finden, aber die Show selbst ist gewohnt temporeich und funktioniert ziemlich gut. Dass die Unterschiede zum Vorjahr naturgemäß marginal sind, fällt beim Partyvolk wenig ins Gewicht. Als ein kleines Highlight stellt sich das ätzende ‚Illegale Fans‚ heraus: Gefallen sich andere Größen des deutschen HipHops mittlerweile in Big Band-Posen, hier geht man erdig-abgedreht ans Werk: „Ihr seid das Imperium, wir sind die Rebellen“. Derart aufgewärmt stampft es sich dann auch ganz gut zu Fedde le Grand, der auf der Beatthroat Stage den Rest der Nacht einraved und auch wenn der Niederländer im Vorfeld wie ein kleines Mainstream-Zugeständnis wirkt, bringt er eingängige Mixes aufs Tapet, besonders der Hit ‚Put Your Hands Up For Detroit‚ kommt frisch, weil völlig umgekrempelt daher. Wer noch Saft hat, kann sich dann auf der DNB Stage bei Zomboy weiter austoben. Leider stellt sich die Steiermarkhalle auch dieses Jahr als eingeschränkt ideale Localtion heraus, denn die Belüftung scheint hier nach wie vor ein Problem zu sein. Aber immerhin schwitzt es sich so ganz gut zu den drückenden Beats.
Tag zwei beginnt nach Gudrun von Laxenburg mit Reptile Youth, hierzulande nach wie vor ein Geheimtipp, und ihr druckvolles wie feines Set zeigt, warum sie auf der Main Stage alles andere als fehl am Platz sind. Bei FM Belfast wird es dank eines Gewitterschauers im wahrsten Sinne feucht-fröhlich, was einen Großteil der Crowd jedoch nicht zu stören scheint: „Gatschhupfen FTW!“ ist das Motto des bunten Sets der Isländer. Als Fritz Kalkbrenner schließlich die Stage betritt, hat sich der Himmel wieder brav gelichtet. In Abwesenheit seines bekannteren Bruders, Paul, darf sich der Berliner als Headliner austoben, aber sein entspanntes Set verfehlt seine Wirkung nicht und lässt die Crowd auf einem feinen Soundteppich in den Abend schweben, seine Vocals werden immer wieder zum souligen Zentrum des Sets. Vor allem ‚Sky and Sand‚ kommt beschwingt gemixt daher, wirkt jedoch für manche Teile des Festivalvolks dann doch eine Nummer zu groß, erweist sich aber trotz allem als einer der sehr guten Festivalmomente an diesem Wochenende. Parov Stelar & Band drücken da schon etwas mehr auf die Tube und swingen bei ihrem Heimspiel souverän. Lilja Bloom begeistert nicht nur durch jazzige Vocals, sondern hat die Crowd nach wenigen Beats in der Hand und spätestens bei ‚Jimmy‘s Gang‚ rastet man gediegen aus, aber auch ‚Catgroove‚ und vor allem das düster wummernde ‚Shine‚ drücken diesem Abend ihren Stempel auf: Parov Stelars stilvoller Electroswing bringt definitiv Abwechslung ins Lineup.
Noch schnell Alkoholisches an einer der Bars verschafft (die Preise sind hier überraschenderweise etwas niedriger als beim See Rock), dann wummern auch schon Seeed los. Mit ‚Dancehall Caballeros‚ wählen die Berliner – neben Deichkind die zweiten Urgesteine des deutschen HipHops – einen Klassiker, den die Crowd in- und auswendig kennt. Seeed selbst kann man ja durchaus stumpf finden, was vor allem an Macho-Kanonen wie ‚Ding‚ und ‚Augenbling‚ liegt, aber irgendwie muss man hier doch einfach mit. Bezeichnenderweise sind es gerade die frühen Songs, allen voran ‚Dickes B‚, die souverän stampfend in Erinnerung bleiben. Das unbestreitbare Highlight der Show – für die man sich übrigens durchaus gelungen der Talente von Cold Steel Drumline bedient – ist aber Peter Fox‘ Solo-Spektakel ‚Alles Neu‚, das in dieser Live-Version verdammt groß wirkt: Hier ist Bombast im allerbesten Sinne am Werk. Natürlich kann man sich fragen, ob Seeed, ganz streng genommen, ins Lineup eines Elektronikfestivals passen – an diesem Abend liefern sie jedoch vom ersten Moment an ab und erweisen sich nicht nur bei den Tagesbesuchern als unbestreitbarer Publikumsmagnet.
Mit KnoweSix und Tobitob alias Moonbootica ist der Abend jedoch noch lange nicht vorbei. Die beiden Hamburger sind ebenfalls fast schon altbekannte Gäste am Urban Art Forms und locken auch dieses Jahr die Massen in die Daviscuphalle, wo zu eingängigem House noch lange nicht Schluss ist. Das verlangt der Crowd einiges an Energie ab, aber das Durchhalten lohnt sich spätestens, als Moonbootica von Zedd abgelöst werden. Online hat der russisch-deutsche Produzent und DJ ja schon durch diverse Mixes seine Spuren hinterlassen – etwa durch seinen dubsteppige, aber nie stumpfen Remix des Themes des Gameklassikers The Legend of Zelda – und schaffte mit ‚Spectrum‘ endgültig den Durchbruch. Dementsprechend druck- wie stimmungsvoll ist das Set und regt zum Austoben an. Das fast schon elegischen ‚Clarity‚ bietet einen erhebenden Auftakt und vor allem das stampfende, reißende ‚Animals‚ mit seinen wuchtigen Basslines geht im allerbesten Sinn ordentlich an die Substanz. Gleichzeitig dürfen Noisia auf der DNB Stage abviechern – sofern man sich von der überirdischen Stimmung auf der Beatthroat Stage losreißen kann, darf man auch hier noch guten Gewissens ein wenig ausrasten. Am Ende wird sich dieser Freitag dank einer gelungenen Mischung im Lineup als stärkster Festivaltag erweisen.
Dabei beginnt der Samstag mit The Zombie Kids, vor allem aber mit Parachute Youth mit sehr vielversprechenden Acts. Letzterer hat die Crowd spätestens mit seinem Hit ‚Can‘t Get Better Than This‚ in der Hand, auch wenn sich der Wavebreaker erst langsam zu füllen beginnt, aber der Titel ist hier Programm und spricht vielen, um nicht zu sagen allen Besuchern in diesem Moment aus der Seele – wieder einer der ganz guten Festivalmomente. A propos gute Festivalmomente: Mit Camo and Krooked warten davon noch einige auf die Crowd. Das Wiener Duo serviert nämlich ein derart frisches Set zwischen DnB und Dubstep, dass es spätestens bei ‚Cross the Line‚ staubt, was die Farbsäckchen hergeben. Hier spürt man, was das Urban Art Forms trotz seiner Größe von manch anderem Festival großteils abhebt: Moshen sollen andere, hier flippt man bunt und auf eine angenehm seltsame Art im Einklang aus.
Härter wird es da im Anschluss schon bei Modestep und es geht vor allem im Wavebreaker ordentlich zur Sache, denn die Londoner, die dieses Jahr mal eben auch auf dem Coachella zu Gast sein durften, sind aus dem absolut richtigen Holz geschnitzt, um mit einer Mischung aus Rock, Dubstep und DnB der Crowd im wahrsten Sinne des Wortes Beine zu machen. Vor allem zu ‚Sunlight‚ und ‚Another Day‚ lässt es sich mehr als angemessen in den Abend zappeln.
Knife Party drehen dann als vorletzter Headliner tatsächlich noch mehr auf. Die Australier waren ja schon im Vorjahr am Schwarzl zu Gast, gingen jedoch irgendwie in der Hitze des Gefechts unter. Dieses Jahr hat man den Eindruck, das Duo hat eine angemessenere Plattform und dementsprechend geht es im Set wie vor der Bühne deftig zur Sache. Wie schon 2012 bei Skrillex zeigt sich auch hier, was sich live aus Dubstep alles machen lässt und dass das Genre, wenn auch bereits im Mainstream zitiert, alles andere als tot ist: Bis weit hinter die Bars wird gestampft und gehüpft und es gibt wohl auch für diejenigen kein Halten mehr, die eigentlich auf The Prodigy warten.
Mit dem größten Headliner dieses dritten und letzten Festivaltages ist es an diesem Abend nämlich so eine Sache. Einerseits kann man The Prodigy vor allem als Bindeglied zwischen Rock und Elektro gar nicht genug schätzen – siehe Klassiker wie ‚Firestarter‚ oder ‚Voodoo People‚ – was ihren Einfluss auf zahllose jüngere Acts angeht, sowieso. Andererseits hat man seit ‚Invaders Must Die‘, das immerhin 2009 released wurde, in letzter Zeit auch nicht mehr allzu viel von den Pionieren des Big Beat gehört. Was einer gelungenen Show natürlich alles andere als im Weg stehen würde, aber der Funke will trotz allem nicht richtig überspringen – da hilft es auch nichts, dass Keith Flint immer wieder „Where are my Austrian people?!“ in die Menge schreit. Am Ende bleibt die Show über weite Strecken hinweg seltsam uninspiriert, mit Ausnahme von ‚Smack My Bitch Up‚, bei dem es gelingt, die Crowd erst zum Hocken, dann zum Springen zu animieren. Bald darauf ist die Luft aber auch irgendwie wieder draußen – sogar die Moshpits, die sich hier und da gebiltet haben, wirken irgendwie zahm. Auch eigenartig mild und vielleicht ebenfalls ein Manko für diesen Act: Die Lautstärke, die irgendwie auch nicht wirklich abhebt. Am Ende bemühen sich Flint & Co. zwar auf der Stage, der Eindruck bleibt jedoch durchwachsen, denn an dieser Stelle hat man auf diesem Festival auch schon Mitreißenderes erlebt: Leider gar nicht so geil wie Deichkind am Donnerstag und das schmerzt den geneigten Musiknerd dann doch ein wenig.
Kein Wunder also, dass die Crowd bei Beltek auf der Beatthroat Stage gleichzeitig wesentlich mehr abhebt – nicht wenige haben sich mitten im Auftritt von Prodigy auf den Weg hierher gemacht und werden mit wesentlich mehr Stimmung und einem gelungenen Set belohnt. Wer dann noch einigermaßen Luft hat und nicht schon ganz hinten in der Halle am Boden eingeschlafen ist, erlebt bei Baauer, warum es ziemlich unfair wäre, den New Yorker DJ auf den mittlerweile nervtötenden ‚Harlem Shake‚ zu reduzieren, denn zu seinem Set lässt sich der letzte Rest Energie gebührend verbrauchen. Ein ganz eigenes Highlight sind die herrlich abseitigen Visuals von Der Lustige Astronaut, die von Patrick Starfish über Playmobilfiguren bis hin zu düster aufgerissenen Augen nichts auslassen. Mit dem House-Urgestein Moguai reist man anschließend noch ein wenig in die späten 90er oder frühen Nullerjahre, je nachdem, was das Set gerade her gibt.
Unterm Strich kann das Urban Art Forms Festival auch 2013 mehr als überzeugen. Ja, im Lineup fanden sich mit Deichkind, ETEPETETE und anderen einige Bekannte aus dem Vorjahr und der ein oder andere hätte sich wohl elektronischere Headliner gewünscht – trotzdem war es auch dieses Jahr wieder ein gigantisches, buntes und trotzdem entspanntes Fest. Auch die durchwegs gute Organisation, an der im Vergleich zum Vorjahr ordentlich gefeilt wurde, tat ein Übriges – neben dem immer noch sehr großartigen Spring das zweite absolute Festival-Highlight in Graz. Logischerweise soll der Schwarzl bitte auch 2014 elektrisiert werden und die Murmetropole wieder auf dem Festivalradar erscheinen.
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