Unsane, Reas [23.05.2023: Postgarage, Graz]

von am 24. Mai 2023 in Featured, Reviews

Unsane, Reas [23.05.2023: Postgarage, Graz]

Absoluter Noiserock-Legenden-Besuch am Second Floor der Grazer Postgarage: Chris Spencer prügelt sich mit den neuformierten, 2021 wiedergeborenen Unsane an der Mur durch eine nahezu atemlose, ruppige, dreckige, groovende Early Cuts-Setliste.

Wie Gitarrist/ Sänger Spencer als einzige Konstante im nunmehr quasi dritten Leben von Unsane sich mit Eric Cooper (der mit Beschäftigungen bei JJ Paradise Players Club, Strangelight, Pushmen, Bad Powers, Kiss It Goodbye, Pigs. oder Made Out of Babies ja selbst eine imposante Referenzliste vorzuweisen hat) da balgt, wie er den Bassisten immer wieder anrempelt und dieser sich zwischen ausgelassenen Punkrock-Sprüngen dafür revanchiert, indem er seinem Gegenüber etwa schelmisch auf dessen quer über die Bühne verstreute Effektpedale tritt, während Schlagzeuger Jon Syverson praktisch keine ruhige Sekunde zulässt, nahezu alle Songs mit kurzen, fiebrig lauernden oder nonchalant swingenden Überleitungen verbinden und die enorme Spielwut des Trios noch weiter verdichtet, derweil sein präzises, zackiges und druckvolles Spiel die Furiosität der derzeit ja ruheden Daughters direkt in die rohe Ungeschliffenheit des Unsane-Noiserocks übersetzt, ja, da mag man aufgrund der funkensprühenden Chemie des Trio kaum glauben, dass diese Konstellation der legendären Band aus New York erst vor knapp zwei Jahren zusammenfand – so perfekt ist man aufeinander eingespielt, so euphorisch wird das Songmaterial mit einem blinden Verständnis kommuniziert, als würde man seit jeher nichts anderes machen.

Unsane 2

Unsane 3

Unsane 4

Wer will, kann darin vielleicht den Grund hören, warum Unsane im Jahr 2023 – also satte dreieinhalb Dekaden nach der ursprünglichen Gründung der Band – so dermaßen hungrig und energiegeladen wirken, die Unmittelbarkeit auch durch eine besonders ungestüme Dringlichkeit entsteht – als hätte man es hier mit drei Jungspunden zu tun, die die Luft brennen lassen will. Und kann.
Was im Umkehrschluss zwar auch miteinschließt, dass es sicherlich einen wehmütigen Beigeschmack hat, nicht mehr das „klassische“ Line-Up mit Dave Curran und Vincent Signorelli bestaunen zu dürfen, doch die darüber hinaus entstehende Erkenntnis ist keineswegs absurd: Womöglich haben Unsane noch nie derart grandios geklungen, wie in dieser Besetzung.
Der tolle Sound des 2nd Floor tut diesbezüglich zudem sicher sein Übriges, um den Funken (auf ein durchaus zahlreich erschienenes, das kleine Sub-Etablissement der Postgarage aber keineswegs voll besetzt habendes) Publikum überspringen zu lassen, auch wenn erst spät zurückhaltende Bewegung in die Menge kommt.

Unsane 5

Unsane 6

Dabei gerät der Einstieg in den Abend um 21.05 Uhr noch ein wenig holprig, denn dem nicht starten wollenden Laptop steht Andreas Klöckl alias Reas erst einmal hilflos gegenüber und ist zum Warten auf die Technik verdammt.
Danach dauert es eine Zeit, bis der solo über die Bühne schlendernd-spazierende Bassist ansatzweise Stimmung machen kann, wirkt die Performance doch unausgegoren: Kommt der Tieftöner erst einmal in Fahrt, groovt das durchaus virtuos und einnehmend, doch krankt die Darbietung klar an dem aus der Dose kommenden Schlagzeug, das neben dem mächtigen, kratzigen, wummernden Bass einfach verdammt billig gebastelt erscheint und nicht die Begeisterung lostritt, die Reas im Jam-Verbund mit einem Drummer aus Fleisch und Blut womöglich erzeugen hätte können. Nachzuhören vielleicht am besten im abschließenden „neuen Stück„, das sich mit rasselnden Beats als hypnotisch-psychedelischer Leviathan am klarsten von konventionellen Rock-Schemen entfernt und damit überzeugt.
Dass die mäandernden Kompositionen jedoch ganz generell auch hier nicht zum Punkt findenden und wie gefinkelte Wülste aus vertrackt verwobenen, repetitiven Motiven anmuten, bremst mit einem Rhythmusgerüst-Schaulaufen-Demo-Flair in dem Alleingang allerdings zusätzlich die potentielle Wirkung und erschöpft das knapp halbstündige Set der nicht zu Unrecht als „lokale Legende“ vorgestellten Institution Reas.

Ein bisschen in Erinnerungen schwelgende Nostalgie ist da gerade auch zur veranstalterseitigen, merklich stolzen Ansprache vor dem Set von Unsane erlaubt, indes Spencer schon in den Startlöchern scharrt und auf seine beiden Kumpels wartet, um eine Location zu bespielen, an der er Gefallen gefunden hat – „als würde man in einer Lounge auftreten„.
Da ist um 22.10 Uhr (als noch Riz Ortolanis‘ Cannibal Holocaust-Stück Adulteress‘ Punishment als Intro erklingt und längst klar ist, dass der Auftrittsbeginn an einem Wochentag gerne früher angesetzt hätte werden können) nicht zu ahnen, wie unfassbar schweißnass der Mann und sein Käppchen wenig später schon sein werden, wie sehr die Bühne vor hinausgeschleudertem Rotz und Spucke trieften wird, weil alleine schon der auf Material des selbstbetitelten Debütalbums konzentrierte eröffnende Setlt-Teil mit einer solchen Atemlosigkeit hinausgeschleudert wird, dass Unsane selbst die höchsten Erwartungen in Sachen Kompromisslosigkeit hinwegfegen.

Genau genommen bleibt der Intensitäts-Level über die gesamte knapp eineinviertel Stunden Spielzeit extrem hoch, auch wenn das Tempo und die Schlagkraft praktisch nie aus dem rot brüllenden Bereich kommen – nur Against the Grain und Factory drossen das Tempo merklicher und stellen den melodischen Aspekt in die Auslage: befreiend ist das vor allem im Kontext einer toll ausbalancierten Setlist.
Dass abseits von einem schier überragenden Commited und Scrape einige Szene-„Hits“ der Band-Historie fehlen? Geschenkt! Dafür gibt es mit Broke und Concrete Bed auch noch zwei nicht am Plan stehende Zugaben – nach denen der so nahbare Spencer sofort durchs Publikum streift und Hände schüttelt. Dass es zu diesem Zeitpunkt schon knapp halb zwölf ist, ist dann eben eigentlich auch der einzige Schönheitsfehler an einer keine leeren Meter machenden, ständig fesselnden Performance, der ein Mindestmaß an Publikums-Interaktion (ein paar zurückhaltende Verbeugungen sagen alles) und simpler roter Lightshow genügen, um das Fanherz bis zu den dermaßen fairen Merch-Preisen absolut höher schlagen zu lassen: Was für eine (zeitlose) Band, was für ein (aus der Zeit gefallenes) Konzert-Highlight!

Setlist:
Organ Donor
Bath
Maggot
Cracked Up
Slag
Vandal X
HLL
Cut
This Town
Streetsweeper
Committed
Over Me
Against the Grain
Factory
Only Pain
We’re Fucked
Scrape
Empty Cartridge
Get Off My Back

Encore:
Broke
Concrete Bed

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