Un – Sentiment
Funeral Doom mit Zeitlupen-Death im Herzen und Postrock am ausschmückenden Firmament: Sentiment hält, was The Tomb of All Things, der spät veröffentlichte Geheimtipp und Favorit eingeweihter Kollegen (man Frage nur Dylan Desmond) schon Ende 2015 versprochen hatte.
Eine triviale Plattitüde, doch Un machen im zweiten Anlauf tatsächlich dort weiter, wo das Debüt endete – nur dazu eben alles noch einmal deutlich kompletter, formvollendeter und damit auch besser.
Sentiment breitet sich hinter Leitbilder wie Evoken, Mournful Congregation, Fórn, optimistischeren Loss oder eben Bell Witch, lässt schon den Opener In Its Absence allerdings mit einem verinnerlichten Vertrauen an die eigene Klasse ruhig und atmosphärisch alle Zeit der Welt. Das Zusammenspiel der beiden alleine sinnierenden Gitarren flirrt postrockig im Reverb und wandert nachdenklich. Bald kippen Un in den Doom, aber erhebend und eine Schönheit suchend. Gemächlich findet das Quartett Geborgenheit in der Heavyness, obwohl Monte McCleerys Growls – aktuell offenbar übrigens auch Dylan Desmonds Nachfolger am Bass bei Samothrace – von einem Erdkern weg röcheln, der die Erde in Pestilenz unterzugehen lassen scheint.
Später tackert In Its Absence kurzzeitig etwas energischer nach vorne, bleibt aber eine entschleunigte Kur, die die Gradwanderung zwischen hymnischer Bandbreite und hässlicher Abgründigkeit samt dissonanten Tendenzen mit malmender Dichte und frei atmenden Texturen vollzieht, immer wieder sphärischen Räumen Platz macht und letztendlich mit epischer Geste einem konzentrierten Solo folgt, das im klassischen Metal erblüht. Ein variabel seine Motive umschichtender Brocken also, der symptomatisch für die Vertrautheit und Ambition des Bandsounds steht.
Die sakrale Orgel-Grundierung von Pools of Reflection entwickelt dann zwar keine ähnlich imposante Tragkraft und Stimmung wie die 2017er-Messlatte Mirror Reaper, triumphiert aber hoffnungsvoll und apokalyptisch zugleich in der obersten Klasse des Funeral Doom, brutzelt und lodert und zerrt geduldig aus. Im Verlauf lichten Un die Vorhänge für einen ätherischen Part mit Kelly Schilling (Dreadnought) – verträumt, elegisch, engelhafter Ambient. Wenn die Band die Fäden später wieder in den Morast zurückführen, sie dort umwerfend aufplatzen lassen, grandios die garstige Härte steigert und das Tempo anzieht, um mit bösen Oberbau zu glimmern und danach oszillierende Gitarrenfiguren auf den Altar zu hieven, zeigt sich einmal mehr die Substanz der Seattler: Un erfinden das Genre nicht neu, aber pflegen hinter dem archetypischen Artwork ein absolut superbes, inspiriertes Songwriting, das phasenweise schon progressive Distanzen vermisst und die Intensität nicht alleine durch die grandiose Atmosphärearbeit stemmt.
Vor allem ist da nämlich stets eine tröstende Note, die Sentiment durchzieht, ein in Wohligkeit wiegendes Element hinter der Schwere. „We wrote this album as a token of gratitude for all those who struggle against the weight of their own existence. If you have ever questioned your worth, if you have ever felt unloved, if you have ever asked yourself if any of the pain is really worth it… these songs are for you“ zementieren Un eine Widmung jenseits der Misanthropie.
Der Titelsong erkundet dennoch die Schattenseiten des Postrock, schabt und würgt, hat aber eben versöhnliche, luzide Momente und erzeugt eine fast schon verzweifelte Melancholie; eine unstillbare Sehnsucht, überwältigend traurig.
Und das überragende A Garden Where Nothing Grows bedient anfangs gar dezidiert die melodisch Schönheit und Harmonieführung von Pallbearer in natürlicher Klarheit. McCleerys rasiert sich die Stimmbänder allerdings weiterhin konsequent mit der grobschlächtigen Hobel, heult mit Ästhetik des Black Metal, zieht den triumphalen Schlusspunkt der Platte immer schleppender und mühsamer in den tiefsten Kreis der Hölle. Dort speit Primitive Man-Kotzbeutel Ethan McCarthy seinen Nihilismus kongenial in einen Song, der sich mühelos von der stellaren Grandezza zu einer peinigenden Todespresse gewandelt hat, seine Entwicklung aber immer weiter fortsetzt. Hinten raus knattert A Garden Where Nothing Grows im Groove los, majestätisch-brutal, und schwebt letztendlich wieder in verträumte Sphären, die sogar ein nachdenkliches 90er-Stadion-Gitarrensolo für Guns N’Roses, Metallica und Co. über ein Meer aus Feuerzeugen in den Sternenhimmel tragen könnten und eine erhebende Atmosphic Black Metal-Landschaft finden, die den Kreis um Sentiment schließen.
Zwar bleibt dabei der Eindruck, dass Un durch eine potentiell noch weiter mögliche Verdichtung unbedingt überragender Momente Luft zu den Speerspitzen der Szene haben, die Zeit als Geheimtipp hiermit aber dann doch vorbei sein sollte: Wenn The Tomb of All Things der Aufstieg war, ist Sentiment schließlich die selbstsichere Positionierung, die kurz vor der Inthronisierung als Genregroßmacht steht.
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