Ulver – The Assassination of Julius Caesar

von am 20. April 2017 in Album

Ulver – The Assassination of Julius Caesar

Ihre ambiente Postrock-Klanginstallation ATGCLVLSSCAP sowie der Soundtrack Riverhead liegen noch kein Jahr zurück, da überraschen die unberechenbaren Avandgarde-Norweger einmal mehr in ihrer wandelbaren Discografie. Und stellen vielleicht sogar unvermittelt die Frage: Haben Ulver mit The Assassination of Julius Caesar womöglich das bessere aktuelle Depeche Mode-Album aufgenommen?

Nicht nur, weil man während der 44 Minuten auch ständig problemlos an Genregrößen wie Coil, die frühen Talk Talk, und Throbbing Gristle denken darf, oder die perkussive Ausrichtung von Rolling Stone gar Assoziationen bis hin zu LCD Soundsystem weckt, muss die Antwort darauf aber viel allgemeiner lauten: Ulver spielen auf ihrem 13 Studioalbum tatsächlich waschechten 80er-Jahre-Synthiepop in der Schnittmenge aus elektronischer New Romantic und schwülstig aufmachendem Gothic-Flair. Mit hallschwangeren (cleanen, wunderbar zur Stimmung passenden) Pathos-Vocals und dramatischem Hang zu neoklassisch-sinfonischen Arrangements, großen Melodien und einer entgegenkommenden Zugänglichkeit, die sich niemals ihrer Wandelbarkeit berauben lässt.
Womit die Band um Kristoffer Rygg, die seit ihren Anfängen vor knapp zweieinhalb Dekaden stilistisch unkalkulierbar bereits bisher nahezu jedes Terrain beackert zu haben schien, mit ihrer demonstrativen Unberechenbarkeit ein weiteres Mal auf dem falschen Fuß erwischt und bedingungslos überrascht.

Was zu einem Gutteil auch an der kompromisslosen Konsequenz liegt, mit der sich The Assassination of Julius Caesar vollkommen ironiebefreit und immenser Selbstsicherheit in seine Ausrichtung legt: Jede Sekunde hier klingt bestimmt und formvollendet, nicht nach laufender Metamorphose. Sondern absolut organisch und natürlich – als hätten Ulver bereits jahrelang so einladend an dieser gleichermaßen treibenden wie elegischen Synthiepop-Gangart gefeilt, die sich so subversiv in seine Themengebiete legt: Analogien von dem Tod Prinzessin Dianas in einer schwülen Pariser Sommernacht zur griechischen Gottheit Artemis sind da nur ein Ausgangspunkt, in dem Rygg Popkultur, Mythologie und Historie zu einem anachronistischen Geflecht beschwört: „I want to tell you something / about the grace of faded things„.
Es ist auch diese allgegenwärtige Kohärenz, die The Assassination of Julius Caesar in typischer Ulver-Ästhetik geschlossener wirken lässt, als seine abstrakten Vorgänger, das Songwriting der Avantgardisten aus experimentell streunenden Gefilden wieder zu einer runden – relativen – Kompaktheit zurückführt. Simplere Strukturen werden auf Längen bis zu zehn Minuten Spielzeit in griffigere Formen gegossen als alles seit Wars of the Roses und lassen die wie immer großartig (selbst)produzierte, von Youth in Oslo abgemischte Band dabei wohl eingängiger denn je klingen.

Gleich Nemoralia zieht instinktiv in seinen Bann, hat diesen maschinell-bouncenden Depeche Mode-Vibe, ist sinistrer Pop vor einer atmosphärisch weitläufigen Keyboardlandschaft. Wuchtig stampfende Beats und eine immanente 80er-Ausrichtung geben mit weihevoll vibrierende Vocals und neondunkel funkelnden Synthies den Weg vor. Rolling Stone pulsiert, nachdem der Song in seine Spur findet, entwickelt sich zu einem verdammt eingängigen Quasi-Hit, der sich in einen Rausch mit den souligen Backingvocals von Rikke Normann und Sisi Sumbundu steigert – treibend und schmissig, tanzbar und poppig sogar Platz für eine eskalierende Saxofon-Hypnose von Ex-Hawkwind-Psychedeliker Nik Turner bereithält.
So Falls the World beginnt dagegen als melancholische Pianoballade: Ein getragener Ohrwurm, der sakral und romantisch schleichend dahintreibt, bis Ulver plötzlich die Ausfahrt zum Dancefloor nehmen – ein hinten raus anziehender Kniff, den The Assassination of Julius Caesar in ähnlicher Weise immer wieder vollzieht, auch wenn ein 1969 damit etwa eher eine schiebende, an The Smiths oder The Cure gemahnende Versöhnlichkeit meint.
Vorhersehbar werden Ulver (trotz einiger minimal mäandernder Passagen ab zweiten der Plattenhälfte) jedoch auch im für sich stehenden, so referentiellen Kontext von The Assassination of Julius Caesar niemals. Weil etwa Coming Home einen beschwörend rezitierenden Sprechgesang in frejazzige Ambientgefilde auflöst, Transverberation das Soundbild mit den Gitarren von Spezi Daniel O’Sullivan beinahe im Minimal-Elekro durchlüftet oder das so dramatische Southern Gothic schwere Theatralik auspackt, ohne kitschig zu sein, und seine ohnedies so festen Beats im heorischen Licht immer dynamischer in Szene setzt. Kalkulierbar bleibt damit bis auf weiteres nur der qualitativ so konstant hohe Level der Ausnahmeband.

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