Ulver – Scary Muzak
Man sollte Scary Muzak, dieses „Pandemic Pasttime Project“ – wie sein Zitel eigentlich eh bereits ironisch vorwegnimmt – nicht überbewerten. Einen Vorwurf müssen sich Ulver allerdings vorerst trotzdem ein bisschen gefallen lassen: Ihr Timing war diesmal schon verdammt suboptimal.
Erschienen ist Scary Muzak mit seinem nicht von ungefähr kommenden Artwork nämlich ohne Vorwarnung justament am 31. Oktober – viel Zeit, um die Platte zur Einstimmung auf Halloween zu hören, blieb da zumindest 2021 nicht.
Glücklicherweise forcieren die aufgefahrenen 39 Minuten wie bereits The Assassination of Julius Caesar (2017) und Flowers of Evil (2020) einen in den 1980er verwurzelten Anachronismus, der, obgleich auf Sary Muzak mit einem weitaus bewussteren Tendenz für die Hintergrund-Nebensächlichkeit aus dem Handgelenk geschüttelt, eine ähnliche Zeitlosigkeit zeigt: Man hat hier eher einen vielleicht nicht ikonischen, aber äußerst gefälligen saisonalen Besucher geschaffen, der wohl in zyklischen Abständen wiederkehrend die gruselige Jahreszeit versüßen wird. Also doch mehr Treat als Trick.
Hinter dem Mix von Carpenter Brut ist der rein instrumentale Horror Synth(wave)-Progressive Electronic-Score dann nicht nur der vom Pop weggelengte Nachhall zu den beiden Vorgängeralben geworden (wiewohl sich Scary Muzak ohnedies weniger wie ein reguläres Hauptwerk der Band, denn eher wie eine liebenswürdige kleine Fußnote anfühlt), sondern auch ein wertiger Tribut am Meister des Genres: Fünf der zwöf Songs mit den Anagramm-Titeln entpuppen sich als Coversongs aus der ursprünglichen Feder von John Carpenter.
Wo Aleen Howl unverkennbar das Halloween Theme ist und Ulver hier einen pumpend treibenden Beat samt muskulöser Synth-Wände und heroischer Gesten unter die legendäre Melodie wuchten, sind Ateliers Hume (eine gespenstischer Klavier-Ambient-Nebel), Genet Nightingale (ein sinsiter lauerndes Spaghetti-Western-Hoffnungsschimmer samt vorsichtigem Streichern aus der Dose), Alchemist Salk (das düster mit abgedämpfter Percussion nachdenklich in sich geht) sowie Boo Sackcloth (in dem ätherische Esoterik-Gesangsahnungen in verträumter Dunkelheit verschwimmen) etwas weniger offensichtlich zu identifizieren – was so ja nur für die Handschrift von Ulver spricht, und dem Wesen der Platte auch dahingehend gut tut, weil ein derart legendäres Motiv wie im Opener sich auch als Bürde auftut.
Zudem fügen sich die Titel damit nahtlos an die geschmackvollen, ausfallfrein Eigenkompositionen an. Tracks wie Evil Longbows intensivieren die Spannung auf subversiv die Schrauben andrehende Weise, der grandiose Club Fuego transportiert seine Melancholie auf erhebende Weise und geht in heimlich strahlender pastoraler Schönheit auf. Redrum Al Brut taucht über weite Strecken seiner kurzen Spielzeit im Drone und ECM Panorama hüllt wie ein sorgenvoll tröstendes Beet in retrofuturistischen Neonfarben ein, bevor RIP Brouhaha den Bogen zu Aleen Howl mit starken Konturen und orgelnder Dichte erstaunlich kohärent schließt.
Dass die Platte zwischen diesen Polen (aus kompetenter Heldenverehrung und eigener Makellosigkeit) vor allem ein zwangloses Flanieren durch eine homogene Sammlung ästhetischer Moodpieces geworden ist, führt vielleicht dazu, dass Scary Muzak elf Monate im Jahr relativ vergessen bleiben wird (und man insofern einen Punkt in der abschließenden [Über]Bewertung abziehen könnte), einen Monat lang aber dankbar aus der Sammlung gekramt werden wird. Diese Zeitspanne sollte man dann auch nicht unter Wert verkaufen.
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