Ulver – Little Boy
Sofern nach Russian Doll noch Fragen offen waren, stellt Little Boy nun klar: Ulver bleiben auf dem Weg des Synthpop, Dark- und Coldwave – die Unterschiede zur erst wenige Wochen alten Vorgängersingle sind jedoch eklatant in der strukturellen Natur.
Die Norweger haben diesmal nicht nur weniger zum Hintergrund der Nummer zu erzählen (außer: „Boom! ‚Little Boy‘, a strange song for strange times. We have no other comment at this moment. This is a time for withdrawal, a time for reading and listening to music. The song is free on Bandcamp, with the option to donate a little something if you want to. Thank you, and take care. Ulver“), viel mehr war und ist Russian Doll auch deutlich expliziter für ein Leben als auf sich alleine gestellte Single ausgelegt, während Little Boy (mit einem Atompilz am Cover – anstelle eines Knaben, wie es nach der Vorgänger-Veröffentlichung vielleicht nahe gelegen wäre) nun in Aufbau und Form förmlich danach schreien würde, in einem Album-Kontext noch stärker aufzublühen.
Das beginnt damit, dass das Ohrwurm-Potential bei dem vorausgeschickten Hit vom Valentinstag trotz einer stilistischen und ästhetischen Deckungsgleiche deutlich höher war, indem alleine die Struktur griffiger und kompakter ausgelegt war. Little Boy umgarnt seine Eingängigkeit dagegen weniger unbedingt, schlängelt sich vielmehr wie ein Leviathan entlang der Melodiesucht und badet letztendlich sogar in einem kakophonisches ätherischen Ambient-Drone voller Dudelsäcke und unheilvollem Suspence, der als die Dynamik herausnehmendes Durchatmen wie geschaffen für eine Überleitung im Fluß eines größeren Ganzen wäre.
Insofern lässt Little Boy mit anderen Stärken als das offensichtlichere Russian Doll auch mehr Raum zum Entdecken von Details, ohne dabei die offenkundige Sorgfalt der vor Akzenten nur so strotzenden Produktion jedoch aufzudrängen. Neben dem dramatisch einsetzenden, dann ganz im Dienst der Sache aufgehenden E-Piano oder dem Hall auf den Vocals von Rygg schraubt sich gerade der modulierte Bass etwa imVerlauf zu verschieden prominent ausgeleuchteten Stellungen im Mix – mal vor die dystopisch-heulenden Gitarrenflächen und dann wieder hinter die postapokalyptischen Synth-Texturen.
Vor allem begeistert aber das stampfende Schlagzeugspiel, das bereits zu Beginn in neonfärbiger Progressivität nervös zuckt und kaum zu bändigen ist, an den organischen Toms rollt und die Snare jazzig frickeln lässt. Grandios! Noch besser ist dann eben nur, wenn sich die Nummer zur Mitte hin einen beinahe triumphal angedeuteten Auslauf gönnt, sich immer mehr zum heroischen Klangmeer auffächert und gar zur Noise fiepend flirtet, um eine Atmosphäre zu erzeugen, die sogar an Phasen weit vor The Assassination of Julius Ceasar (ungefähr: Mitte des vorletzten Jahrzehnts) denken lässt. Einigen wir uns also darauf, dass das größte Manko von Little Boy seine einfach viel zu kurz bemessene Spielzeit ist, die mit rund fünfeinhalb Minuten ruhig noch deutlich ausführlicher streunen und forschen hätte dürfen.
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