Ulver – Liminal Animals
Seit Dezember 2023 veröffentlichen Ulver Singles, die den Weg von The Assassination of Julius Caesar (2017) und Flowers of Evil (2020) nahtlos fortsetzen. Diese werden nun als Liminal Animals zu einem Album gebündelt.
„This time we’re gonna keep dropping tracks till it becomes an album. It’s a backwards way, with no pre-order, promo people or anything, but that’s how we wanna roll. Quite liberating in these twilight years. We’ve made enough albums the conventional way, and the kids don’t care about that anyway. So feel free to spread it on the Tik Tok or what have you. Ultimately, you keep this old boat afloat through your conscious/subconscious acts of listening and whispering our name.“ gaben Ulver auf halben Weg zu ihrem dreizehnten Studioalbum entlang des für sie unkonventionellen Entstehungsprozesses bekannt, an dessen Ende nun nicht nur Liminal Animals, sondern auch die seitdem gewachsene Erkenntnis steht, dass den darauf versammelten Songs etwas fehlt. Das gewisse Etwas. Der packende Funke.
Und es fehlt Tore Ylwizaker. Er schied an seinem 54. Geburtstag im August aus dem Leben, nachdem er über zweieinhalb Dekaden Mitglied von Ulver war, sich aber zuletzt immer weiter von der restlichen Band zurückgezogen hatte. Wie wichtig sein Input für die Synth-Inkarnation der Norweger war, lässt sich nun schmerzlich bemessen.
Vor allem, wenn man die über die vergangenen zwölf Monate konstant erschienenen, jeweils direkt nach ihrer Fertigstellung veröffentlichten Songs der Platte nun bereits längere Zeit kennt, weiß man, dass jeder einzelne ansatz- und mühelos überzeugt, aber keiner wirkliche Überraschungen abseits der relativ unspektakulären Synthpop-
Kurzum: Liminal Animals hat, die Singles seit Dezember 2023 beinahe chronologisch aufreihend, ein schlüssiges Sequencing bekommen und ergeben ein rundes, homogenes Gesamtwerk. Wobei die zweite Hälfte der Platte an sich nicht weniger gelungen ist als die erste, im direkten Vergleich aber doch ein wenig Spannung verliert, nebensächlicher wird und dem Autopilot das zwingende Momentum abhanden kommt.
Gerade der Einstieg in das Album kann einen solchen erzeugen, wenn Ghost Entry locker lässig aus Hüfte kommend mit funky Licks in der Disco relaxt, wo sich A City in the Skies als astreiner Ohrwurm zurücklehnt und Forgive Us beinahe soulig (ohne Chor-Klischees oder dergleichen) noch entspannter weite Teile seiner Spielzeit dem sehnsüchtigen Trompeten-Schwelgen von Nils Petter Molvær überlässt, bevor das instrumentale Interlude Nocturne #1 im ruhigen Wellengang eine Blade Runner-Nostalgie in die retrofuturistische Melancholie des Ambient führt und damit einen praktisch makellosen Lauf beschließt.
Locusts klackert mit verschleppter Rhythmik nach vorne ziehend entlang einer schönen Sehnsucht, die im letzten Drittel mehr Schub bekommt, derweil Hollywood Babylon natürlich primär mit seiner satirischen „Don’t fuck with America!“-Hook aus den gefälligen Streicher-Arrangements hervorragt. The Red Light flaniert smooth, aber auch unverbindlich leger über die Tanzfläche, und das gespenstisch-krautig pluckernde Nocturne #2 ist, als würde man Phil Collins in Miami Vice als verträumte Erinnerung hören. In all diesen Nummern Verweise auf die Zeit vor 2017 herauszuhören ist möglich, klar. Aber nur bedingt naheliegend.
Obwohl Ulver dabei sowohl in Sachen Songwriting als auch produktionstechnisch einen reibungslos und risikofreien Zugang zu dem Genre entwickelt haben, das ihnen seit mindestens einem Jahrzehnt so fabelhaft steht (und das sie mit einnehmenden Melodien und ästhetischer Formvollendung beherrschen), war dann zugegeben dennoch die leise Hoffnung da, dass sich der einzige nicht vorab veröffentlichte Song der Platte, natürlich der Closer, etwas ambitionierter aus dem kaum Amplituden erzeugenden Wohlfühlbereich lehnen könnte – zumal die elfminütige Laufzeit von Helian (Trakl) doch noch vor dem regulären Release von Liminal Animals gespoilert wurde und die Fantasie diesbezüglich wider besseren Wissens beflügelte. Tatsächlich begnügt sich der Abschluss der Platte jedoch exemplarisch damit, das Jorn H. Sværen eine englischsprachige Übersetzung des Gedichts von Georg Trakl in hypnotisierender, müder, düsterer Grabesstimme rezitiert, während die Musik lebendig dahinläuft, und wie die geloopte Synth-Klangtapete wirkt, die dEUS bei Kunstinstallationen gefallen dürfte.
Nach insgesamt 51 kurzweiligen Minuten ist die neue Herangehensweise für Ulver insofern eine zielführende, dass Liminal Animals sich absolut wie ein Album anfühlt, nicht wie eine Compilation. Die dabei entstehende Hebelwirkung ist, gemessen an den beiden Vorgängerplatte, aber eine dezent enttäuschende.
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