Ulver – Drone Activity
Keine Ahnung, wer sich freiwillig die Chance entgehen lässt, ein Konzert der norwegischen Ausnahmeband zu verpassen. Ihre jüngst anberaumte US Tour mussten Ulver jedenfalls trotzdem aufgrund des schleppenden Ticketverkaufs unlängst mit hinuntergeschlucktem Stolt enttäuscht absagen.
Mit Drone Activity gibt es nun aber zumindest auf Tonträger nominell ein neues Livedokument, aufgenommen am titelspendenden Festival in Oslo vergangenen Jahres.
Wenig verwunderlich hat dieser Mitschnitt einerseits nichts mehr mit der 2017er-Ausrichtung des 80er-Synthpop auf The Assassination of Julius Caesar sowie dessen Appendix Sic Transit Gloria Mundi zu tun – und ist andererseits ähnlich wie schon die Veröffentlichungen Messe I.X-VI.X und ATGCLVLSSCAP nur mit sehr vorsichtiger Definition überhaupt als klassisches Livealbum zu führen. Den beiden Werken von 2013 und 2016 folgend ist Drone Activity nämlich eine auf der Bühne improvisierten Session, deren zutiefst imaginative Sogwirkung nachträglich noch einmal in eine neue Form auf halben Weg zum Studioalbum gegossen wurde. (Auch wenn sich dieser Prozesse diesmal auf ein Minimum beschränkt haben soll.)
Ulver selbst diktieren diesbezüglich die Assoziationen: „Disappearance comes in many shapes in the age of extinction. Following the Danish noise act Damien Dubrovnik, Ulver started out in a subtle manner, carefully examining the territory, vast and waste. Screeching sounds echoed distant roars from the approaching edge as snowflakes pierced the air with ferocious speed. Where to go from there? A retreat into the sunken paradise. Half-buried misty temples, giant creatures and vaguely prehistoric figures emerged as depth and time intertwined, from the ancient Atlantis to the northernmost seas.“
Später nähert sich der Text der Platte analytischer: „We stayed there for 90 minutes, of which 70 have been meticulously mixed and mastered for this release. All of them are new sounds. Darker and more dire, yet containing the vibe of their previous semi-improvisatory sessions, documented and catalogued on the “Zodiac” album, ATGCLVLSSCAP. If that Zodiac album was a free-form Ulver interpreting the signs in the stars, Drone Activity stares into the abyss, documenting those moments after the last rays of sun speckle the surface and careless subterranean streams start determining the course.“
Damit skizzieren Ulver eine tiefenwirksame Instrumentallandschaft aus Post Industrial-, Drone-, Electro – und Experimental-Ambient-Versatzstücken, die sich mit maschineller Psychedelik ungefähr zwischen die Sunn O)))-Kooperation Terrestrials und Perdition City ausbreitet: Vier überlangen Suiten ergeben in individueller Ausprägung als homogenes Gesamtwerk einen großen Organismus, der instinktiv wächst, mutiert, wandert und formwandelt.
Die Klanginstallation True North sorgt dabei gleich für den ästhetischen Kompass, rauscht als abstrakt-avantgardistischer Score, düster und beklemmend. Eine menschenfeindlicher, kühler Wind weht in der Finsternis, leise deuten sich martialische Schemen und mystische Konturen an, doch die Strukturen bleiben amorph. Das klingt wie die unterschwellig episch-bedrohlichen Momente von Blade Runner 2049 oder das technische Röhren von Horizon: Zero Dawn. Ulver lassen die beklemmende Rhythmik langsam und dicht hinter einer undurchdringlichen Nebelwand passieren.
Twenty Thousand Leagues Under the Sea wird danach stellvertretend für den zur Mitte hin konkretere Formen annehmenden Spannungsbogen von Drone Activity greifbarer. Ein entschleunigter, in Zeitlupe hypnotisierender Beat scheint mehr Melodie ins Geschehen holen zu können, doch bleiben die Konturen noch schemenhaft, bis ein abstrakt-minimalistisches Motiv die repetitive Führung in einem weiten Klangkosmos übernimmt. Eine latente Spannung wird geschürt, der Suspence lauert pulsierend, wird hinten raus mit polternden Drumpatterns und klaustrophobischen Soundeffekten immer dichter texturiert. Dennoch: Selbst wenn man nahtlos in die Stimmung der Platte hineingezogen wird, ist der Track mit 22 Minuten Laufzeit als ausführlichstes Mosaikstück dann doch ein wenig zu ausführlich geraten, wo der Aufbau von Kompositionen Ulver ganz allgemein schon fesselnder gelungen ist.
Ganz generell läuft Drone Activity jedoch ohnedies erst in seiner zielorientierter arbeitenden zweiten Hälfte zu faszinierender Form auf. Blood, Fire, Woods, Diamonds pflegt dort abgedämpft pulsierende Elektronik, die zuerst näher an den synthetischen Schaltkreisen von The Haxan Cloak ist, bevor Ulver mit Tribal-Drumssalven immer mehr zum tranceartig treibenden Höhlen-Rave-Taktgeber samt Dark Wave-Esoterik und Master Musicians of Bukkake-Schellentanz anschwellen: Zu dieser physischen Hypnose und sinister ausstrahlenden Rhythmik will wohl irgendwann auch Anna von Hausswolff mit Bada.
Exodus schließt hingegen den Kreis zu True North, tut dies aber mit gespenstisch verfremdeten Gitarre und versöhnlichen Keyboardteppichen, warm und geradezu hoffnungsvoll – bevor Ulver das Geschehen zur Mitte hin in einen düster-pumpenden Herzschlag versetzen und als Alptraum-Version der Chromatics geduldig wummernd voranschreiten, bis die Saiten klagend, wehmütig, sehnsuchtsvoll und dennoch ätherisch einnehmend mit dem Noise flirten, allerdings der orientalischen Mystik erliegen. Danach bleibt eine unvollendet anmutende Beschnittenheit im Äther, als wäre ein ausschnitthaftes Fenster in eine fremde Welt zu plötzlich geschlossen worden, nicht gänzlich zu Ende gedacht worden. Aber diese latente Orientierungslosigkeit gehört doch irgendwie auch zum Konzept und Wesen der Band Ulver – hier steht sie eben am Ende und nicht am Anfang einer Platte.
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