Typhoon – Offerings

by on 13. Januar 2018 in Album

Typhoon – Offerings

Mastermind Kyle Morton entwirft den konzeptuellen Grundgedanken eines allumfassenden Erinnerungsverlustes hinter dem vierten Album des freigeistig um ihn schwebenden Musikerensembles: Typhoon lassen ihren schwelgenden Indiefolk aufs Offerings deswegen elaboriert in die Vollen gehen, sparen die Anwendungsmöglichkeiten in der Gebrauchsanweisung jedoch bewusst aus.

Dort gibt Morton zumindest die inhaltlichen Eckpfeiler der Platte detailliert wieder. „It’s a record from the perspective of a mind losing its memory at precisely the same time the world is willfully forgetting its history. The urgent question becomes: without causality, without structures of meaning, without essential features of rational thought, is there anything that can save us from violence/oblivion? With no past and no future, there is only suffocating, annihilating, present, looping on and on ad infinitum (to me, one plausible definition of hell) and the best you can hope for is that somewhere in the void there exists some small, irreducible certainty—a fragment, a kernel, something—that you may have the good fortune to stumble upon before it’s all over. You know, a boy/girl-meets-girl/boy-everyone-dies-in-botched-attempt-at-neo-pagan-sacrificial-ritual-on-global-scale kind of thing.

In vier inhaltlich übergeordnete Passagen (namentlich Floodplains, Flood, Reckoning und Afterparty) dirigiert Morton die achtköpfige Band aus Portland über 14 – zwischen anmutig-feierlichen Barock Pop, postrockig flimmerndem Indie und orchestral arrangierten Folkrock ihr Drama schwelgerisch zelebrierende – Songs durch dieses Szenario nun noch ergiebiger als bisher zur Abzweigung, die Manchester Orchestra nach Simple Math nicht in die Richtung der opulenten Kammermusik der Decemberists nehmen wollten; zur weihevollen Predigt der frühen Arcade Fire und einer Okkervil River’schen Ergiebigkeit; assimiliert die funkelnde Erhabenheit von There Will Be Fireworks sowie die gelöste Melancholie von The Antlers – und spannt das Songmaterial von Offerings dafür wie selbstverständlich zwischen 55 sekündigen Skizzen und 8 minütigen Suiten auf.
Wo dann auch die Achillesferse einer Platte liegt, die nie ihren roten Faden verliert, aber spätestens im dritten Viertel doch ihr Momentum. Zwangsläufig kommt es über die Gesamtlänge von 68 Minuten schließlich zu einigen Passagen, in denen Typhoon zu überambitioniert um den Kern ihrer Kompositionen lamentieren, diese in der aufgebauten Atmosphäre und Ästhetik vertaumeln, das Fünkchen an zwingendem Fokus schlichtweg fehlt. Zu oft plätschert das reichhaltig instrumentierte Offerings zu brav und harmlos produziert durch seine weitläufigen Songs voller komplexer, aber nicht immer zwingenden Strukturen – gönnt sich mal zu viel nabelschauenden Leerlauf und subtil-prätentiösen Müßiggang, agiert dann wirkt es wieder zu diszipliniert ohne tatsächliche Ausbrüche zuzulassen oder lässt seine Strukturen auch immer wieder nicht restlos organisch gewachsen wirken, bastelt das Material zusammengestückelt über forcierte Wendungen. Gelegentlich droht sich Offerings sich damit schlichtweg selbst zu erdrücken – oder paradoxerweise gleichsam unter seinem eigentlichen künstlerischen Wert im passiv konsumierten Hintergrund zu verschwinden.

Eine konzentriertere, stringentere Aufarbeitung wäre dem dichten und so sehr in sich geschlossenen Ganzen insofern besser gestanden, hätte das Szenario zwingender funktionieren lassen können. Dennoch strotzt die üppigen arrangierte Platte vor zahlreichen Szenen, die nachhaltigen Eindruck schinden.
Wake nimmt sich alle Zeit der Welt um sich von der zurückgenommenen Akustikballade zum regelrecht martialisch schleppenden Schlachtruf zu entfalten, Rorschach ist wandelbar und neugierig wie Modest Mouse in ihren besten Tagen, addiert dazu aber eine traumwandelnde Eleganz mit geschlossenen Augen. Das überragende Empiricist ist pure getragene Grandezza, die wunderschön friedvoll und melancholisch auf blüht – selten gelingt der fliesende Übergang zwischen den Perspektiven eines Songs derart nahtlos und natürlich wie hier. Die minimalistische Intimität Unusual vertraut etwa stattdessen erst lange nur auf Gitarre und Gesang, gleitet dann weich in einen balladesk treibenden Flimmerrock mit diesen Sternenmeer-über-der-einsamen-Nacht-Gitarren, bevor das Szenario plötzlich in eine ausgelassene rhythmische Party, kippt, die zeigt, wie Coldplay ohne Geschmacksverirrungen aktuell klingen könnten. Eben nur ein als Twist gemeinter Umweg einer immer wieder die Dynamiken mit überraschenden Wandlungen, Intros und Outros sowie Interludes ankurbelnden Platte, die für sich genommen und im Gesamtgefüge schlüssig scheinen mögen, im Kontext der einzelnen Songs aber wie angepappt wirken.

Wenn Beachtowel als leise nach Hoffnung suchende Ballade hinten raus immer dramatisch anschwillt, ist das freilich dennoch so wundervoll, wie wenn Remember (leider ausnahmsweise) kompakter anzieht, sich sogar in einen kurzen Classic Rock-Soloteil mit fusselnder E-Gitarre wirft, bevor der Song über dem stringenten Rhythmus wieder eher glockengleiche Tupfer setzt und dann mit weiblicher Helligkeit tänzelt. Auch in Coverings führt eine weibliche Stimme zu sanftmütigen Streichern, Bergeron taumelt gedankenschwer von der pastoralen Opulenz zum schwebenden Seelenbalsam.
Dass das vor allem eingangs überragende Offerings zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich an Griffigkeit verloren hat, lässt sich dann noch im knapp dreizehnminütigen Sleep nachhören: Als Paradebeispiel für die schwächsten Momente der Platte kommt der Closer wie eine verwehte Entschleunigung von Sufjan Stevens Come On! Feel the Illinoise! (Part I: The World’s Columbian Exposition – Part II: Carl Sandburg Visits Me in a Dream) daher, lässt seine gefällige Melodie aber ereignislos dümpelnd verglühen. Symptomatisch allerdings auch, dass der finale Appendix der Nummer als Quasi-Hidden Track nach einer ruhenden Stille optimistisch-versöhnlich wie nichts zuvor die Hoffnung in einer gelösten Feierlichkeit erblühen lässt – und Offerings damit zu guter Letzt doch noch eine neue Perspektive verschafft, die man so nicht missen möchte.

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