Tyler Childers – Rustin‘ in the Rain
Nach dem ambivalent aufgenommenen Doppel aus dem Bluegrass-Ausflug Long Violent History sowie dem Puristengift-Experiment Can I Take My Hounds to Heaven? bleibt Tyler Childers seiner unorthodoxen Album-Auffassung mit Rustin‘ in the Rain primär nur noch hinsichtlich der Spielzeit treu.
Immerhin sträuben sich eine Trackliste mit sieben Songs über nur 27 Minuten Spielzeit im Format auch in heutigen Zeiten noch gegen die konventionelle Wahrnehmung als richtiges Album. Und tatsächlich fühlt sich Rustin‘ in the Rain unvollständig an, hat keinen runden Spannungsbogen oder befriedigenden Klimax.
Abseits davon hat Childers mit dieser kurzweiligen Songsammlung aber einen Fanpleaser aufgenommen, der neben den Studioversionen langjährig bekannter Lieblingssongs durchaus adäquater in die Fußstapfen von Purgatory und Country Squire tritt, als seine beiden Vorgängeralben, indem die Kompositionen gewissermaßen über eine universelle Zugänglichkeit von Country-Manierismen funktionieren, und mit einendem Quasi-Konzept (nämlich: Nummern, die Tyler Elvis anbieten hätte können) nicht nur unter ein durchaus homogenes (und tatsächlich passendes!) Banner gebracht wurden, sondern pointiert und ausfallfrei jede Nummer eingängig zünden lassen.
Am ehesten aus dem Rahmen fallen dabei der tolle Titelstück-Opener, mit seinen ziseliert knödelnden Twang-Gitarren (die durchaus am Classic Rock, Grateful Dead oder den Allman Brothers interessiert sind) im Bar-Honkey Tonk-Rock samt smooth groovendem Klimpern in der Ausgelassenheit eines Statements, sowie Percheron Mules, das den Country-Vibe so flott und beschwingt erst mit Calexico-Flair als Ohrwurm artikuliert, dann aber ein reichhaltiges Instrumentarium, Gospel-Gang Vocals und den grundlegend feinen (sauberen, aber nicht klinischen) Sound die Fähigkeiten der Food Stamps, Tylers famoser Backingband, unterstreicht.
Ansonsten gibt sich Rustin‘ in the Rain nämlich über weite Strecken soft und anschmiegsam, unaufgeregt und im gedrosselten Tempo schwelgend. Das wunderbar beseelte, so romantisch und verträumt schwofende Phone Calls and Emails gibt die Richtung vor, in der Luke 2:8-10 nach einem seltsam entrückten Bibelzitat zur Harmonika greifend heimelig und bodenständig angelegt gefühlvoll in beschwörender Feierlichkeit schunkelt: „Tell them there’s no time to sleep/ My God, it’s the end of the world“.
Den ewigen Kris Kristofferson-Klassiker Help Me Make It Through the Night hat Childers als Pflichtprogramm in seinem Live-Repertoire längst verinnerlicht und eine bezaubernde, anmutige Interpretation geschaffen, die in ihrer emotionalen Fragilität unter die Haut geht.
Das S.G. Goodman-Cover Space and Time kann da nicht mithalten, macht aber angenehm in seine Harmonien gelegt schunkelnd genau genommen auch kaum etwas falsch. Aber gut, gerade das finale Drittel der Platte steht auch im absoluten Schatten von In Your Love – einer der schönsten Nummern, die Childers bisher vorgelegt hat: die balladeske Grandezza des berührenden Song-Juwels ist exemplarisch für das Ambiente von Rustin‘ in the Rain; der zarte Synth-Schimmern in einem vor huldvoller Liebe das Herz aufgehenden Melodie steht für die detaillierte, behände inszenierte Zeitlosigkeit der Platte; Childers makelloser Gesang ist sinnbildlich für seine stimmlich vielleicht stärkste Leistung auf Sicht.
Insofern ist es natürlich schade, wenn Rustin‘ in the Rain als Ganzes zu unbefriedigend endend nicht noch mehr Quantität addiert, um das maximale Potenzial aus seiner auch so vorhandenen Substanz zu schöpfen, es zu komplettieren. Indem sich Childers weiterhin frustrierend dagegen verwehrt, ein „richtiges“ – also sich nach traditionellen Maßstäben vollwertig anfühlendes – Album aufzunehmen, hat er sich diesmal gewissermaßen damit begnügt, ein wenig mehr als die Hälfte seines vorläufigen Meisterstücks zusammenzutragen.
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