Turnstile – Time & Space
Komponenten wie Time & Space spielen für das Quintett aus Baltimore keine Rolle: Turnstile schmeißen die Zeitmaschine an und feiern den Hardcore der späten 80er und frühen 90er – eine Party ohne Nostalgie, am besten im nahtlosen Durchmarsch konsumiert.
Gerade nach dem Wechsel zum Major Roadrunner bekommen Turnstile deswegen von Puristen mehr Gegenwind denn je: Unter der Ägide von Will Yip sei das Zweitwerk der Band ein einziges aufgekochtes Plagiatskaleidoskop alter Helden, das ungeniert durch den Kopierladen wütet.
Was man so durchaus nachvollziehen kann: Time & Space macht zu keiner Sekunde einen Hehl daraus, welche Vorbilder Turnstile knietief in der Tradition des New Yorker Hardcore stehend anbeten – Snapcase vor allem, doch Platten von (frühen) Refused oder Dag Nasty haben die Jungs aus Maryland ebenso verinnerlicht, wie die Diskografien von Jane’s Addiction, Quicksand oder sogar Fugazi. Es finden sich assoziative Verweise auf Title Fight und ideologische auf Youth of Today im Sound der Band, während Frontmann Brendan Yates zum Labelwechsel deklariert: „Obviously, we’ve grown up on some Roadrunner records, and we’ve known what the label is based off records that have been inspiring to us, like Madball, Biohazard, and Life of Agony.“
Mit einem ähnlich ungezwungenen, Genre-Kategorien ignorierenden Zugang zur Vergangenheit kann man sich dann auch kaum der jugendliche Frische und positive Energie entziehen, mit der Turnstile ihren unverschämt wilden Zitatereigen mit dem Können von Veteranen und dem ungestümen Tatendrang nacheifernder Talente klischeelos ankurbeln, mitten hinein ins Getümmel stürzen. Zu einem den Pit befeuernden Galopp mit unheimlich catchy durch den Hintergrund taumelnden Einwürfen voller einlullender Chants und sportlichre Gang-Shouts, die einen Gutteil der infektiösen Dynamik ausmachen. Zu zwischen Indierock, Grunge und British Invasion keinen Unterschied machenden Songs, die Gitarren shreddern und gniedeln und sich auffächern lassen, während Yates mit ordentlich Druck skandiert, und jeder Song als kurze, knackige Explosion in eine andere Richtung auszustreuen scheint. Notfalls purzelt eben auch mal vollkommen aus der Rolle fallende Interlude wie Bomb im Sinne der Bad Brains oder die dubbige Fahrstuhlmucke Disco über den Tellerrand aus dem Radau.
Wieviele Ideen und Hooks hier jedenfalls in und zwischen allen Nummern schlummern, jede einzelne zum potenten Ohrwurm in heavy sprintender Kompaktheit und dringlich-energiegeladen Vitalität anfeuern, ist nichts anderes als absolut mitreißend, ausgelassen und die Endorphinproduktion auf Höchstniveau stimulierend.
Real Thing taucht im Oldschool-Modus an und rockt schnörkellos im Midtempo von der Harmonie bis ins Lounge-Outro. Big Smile zieht an, korrigiert sein Tempo und rifft mit einem fette Grinser im Gesicht. Der thrashige Beginn von Generator groovt sich schwerfällig zu seinen Backgroundgesängen ein – danach ist es einfach fantastisch, wie sich die Bandmitglieder die Bälle gegenseitig zuspielen und selbst simpel gestrickte Songs mit Details aus der zweiten Reihe preschend versehen, sich ausbremsen und den Übergang zum poppunkig mit Handclaps und gelöstem Solo shakenden Part finden.
I Don’t Wanna Be Blind positioniert sich irgendwo zwischen poppigen Emocore und stromlinienförmigen Post Hardcore, High Pressure ist beschwörender Punkrock, dazu gibt’s ein Stooges-Piano und den Slayer-Überbau. Das atmosphärische Shoegaze-Intro von Can’t Get Away findet einen straighten Groove zum Windmühlenmoshen und das stoische (Lost Another) Piece Of My World Rugby-Gesten, die später zwischen gniedelnden Gaspedal und verbrüdernden Shouts wechselt. Moon lebt dafür vom souligen Gesang von Bassist Franz Lyons und seinem geschmeidigen Shuffle. Die Szenepolizei rotiert – für Turnstile ist es nur eine Facette von vielen, in ihrem ständig die Auslage wechselnden Sound, einer im atemlosen Fluss verschweißten 26 Minuten-Eskalation.
Trotzdem droht der Platte hinten raus ein klein wenig die Luft auszugehen. Come Back For More/H.O.Y. zieht mit ordentlich Tempo, die Gitarre surft kreischend über die polternde Rhythmussektion und Right to Be interpretiert Stadionrock in aufgedreht, bleibt aber trotz spacigen Nuancen ebenfalls zu leicht zu durchschauen. Der optimistische D-Beat des Titelsongs entlässt mit seinen verträumten Harmonien zwar verdammt versöhnlich, doch funktioniert gerade das Finale von Time & Space ohne Unterbrechung konsumiert am idealsten, wo es den Songs des Albums für sich jeweils alleine stehend ein bisschen an Gewicht fehlt, erst der Rausch des Gesamtwerks eine gewisse Flüchtigkeit verscheucht und dieser dann auch vollkommen egal wirken lässt, dass die Grundbausteine der Kompositionen am Seziertisch tatsächlich nicht besonders originär sein mögen. Aber noch einmal: Time & Space ist eben mehr als die Summe seiner Teile.
Turnstile machen damit alles besser als noch auf dem fabelhaften Debüt [amazon_link id=“B078X52WZH“ target=“_blank“ ]Nonstop Feeling[/amazon_link], vielleicht gelingt Yates sogar, was er bereits mit dem überraschenden Trapped Under Ice–Comeback Heatwave anvisiert hat – eine unberechenbare Wundertüte, die Aggression und Verdaulichkeit gleichermaßen als ausgelassene Party zelebriert, das Momentum mit dem steten Blick zurück feiert. Am Ende lässt sich das Zweitwerk der Jungspunde mit Traditionsbewussten allerdings ohnedies auf eine verdammt simple Wahrheit herunterbrechen: Mehr hemmungslosen Spaß als an diesen anachronistisch aufdrehenden Tribute-Liebesbrief wird einem Hardcore auf Sicht wohl nicht wieder so schnell bereiten.
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