Turbostaat – Stadt der Angst
Aktuell in Ausgabe 241 der Visions: ‚Stadt der Angst‚ bei den Schönheiten, als Nahverwanter Herremmodes nur eine Seite weiter ebenfalls veredeltes ‚Das Ergebnis wäre Stille‚. Bei eben jenen findet sich als erste Referenz zum Weiterhören Kettcars ‚Sylt‚. Davon die Flensburger zwar eigentlich noch mehr als nur zwei Schritte entfernt, aber es stimmt schon: Turbostaat haben auf ‚Stadt der Angst‚ keine Bedenken mehr vor klassischem Indierock.
Wo ‚Eine Stadt Gibt Auf‚ mit punktuell groovenden Bass, druckvoll polterndem Schlagzeug und systematisch arbeitenden Gitarren trotz mit schleppender Geschwindigkeit noch als weitestgehend traditionsbewusste Turbostaat-Nummer mit der typisch energischen Dringlichkeit des Quintetts startet, auch das rasant nach vorne rockende ‚Phobos Grunt‚ Sturm und Drang-Phasen mit gewohnt punkiger Durchschlagsraft vereint, geizt ‚Stadt der Angst‚ bereits hier und vor allem im weiteren Verlauf nicht mit Anzeichen des sorgsam vorangetrieben Evolutionsprozess der inzwischen auf Clouds Hill gelandeten Band. Eben in deren hauseigenen Studio hat man mit Produzent Moses Schneider den bisher vielschichtigsten Sound der Bandgeschichte maßgeschneidert um das bisher vielseitigste, melodischste, aber auch zugänglichste Werk der Turbostaat-Discographie im richtigen Licht auszuleuchten.
Es gibt sie auf ‚Stadt der Angst‚ freilich immer noch, die punkigen Sprinter, selbst, wenn man etwa bei der flotten Attacke ‚Psychoreal‚, mittlerweile tatsächlich eher an Frau Potz denn an ‚Flamingo‚ denken muss, so wie Turbostaat da Worte wie „Psychoreal“ neben „Eierlikörgefangenschaft“ stellen, um die existentialistische Ausweglosigkeit für den lebenslangen Kassenwart in uns allen vorzuführen. Turbostaat sind grundsätzlich eben nicht mehr daran interessiert, bloß ausgetretene Fußspuren auszufüllen, welche die Band seit den Anfängen 1999 immer weiter wachsen hat lassen. Die Deutschen setzten weiterhin auf ihre punkige Energie, insgesamt aber wird ‚Stadt der Angst‚ in seiner Entwicklung hin zum gezügelteren Indie-Rocksongs erstaunlich konsequent und kalr. Einer keineswegs aus dem Nichts eingeschlagenen Wende, deren Wurzeln man spätestens im Gitarrenspiel des tanzbaren ‚Täufers Modell‚ bzw. über weite Strecken gleich im gesamten Vorgängerwerk ‚Das Island Manöver‚ verorten kann.
Weiterhin skandiert Jan Windmeier dabei Texte, die man nicht zwangsweise verstehen muss, tatsächlich aber singt er sie mit seiner reibeisig gröhlenden Stimme mittlerweile weitaus öfter, als dass er sie als Dada-Parolen/Weisheiten gesprochen im Raum stehen lässt. Zu sagen hat Gitarrist Marten Ebsen dabei wie eh und je viel, deutlicher als in ‚Pestperle‚ hat er es wahrscheinlich noch nie: „Hallo Echo, heiß sie willkommen / guter Reibach, gutes Gesicht / Freie Wilde in euren Hallen / Unterm Mantel die alte Idee / sucht man weiter die Erben der Scheiße / ich kann nur hoffen, ihr verendet dabei / In der Dämmerung fallen ihre Masken / und das Gewissen ist als erstes vom Schiff / sie kommen wieder und lächeln dabei freundlich / Patriot, Lügner und Scheiße-Gesicht„.
Nicht immer funktioniert die Intensivierung des Faktors Indierock für Turbostaat dabei gleich gut. Das schaumgebremste ‚Tut Es Doch Weh‚ lässt etwa die Unmittelbarkeit der Vorgängerwerke zugunsten einer stärker ausgeprägten Varianz vermissen, dass ‚Alles Bleibt Konfus‚ zudem als aufgewärmte Version von Blackmails ‚Moonpigs‚ nicht wirklich genossen werden kann, trügt das grundsätzlich mehr als gelungene Gesamtbild der so grandios sitzenden Weiterentwicklung zusätzlich ein wenig. Die melancholische Rockchronik ‚Fresendelf‚ kann die sorgsam aufgebaute Spannung nicht vollends einlösen, auch, weil hier wie überall auf ‚Stadt der Angst‚ jeder Refrain ein wenig losgelöst auf kleinen Podesten stehen soll. Auf der anderen Seite trumpft die Band eben mit ordentlichen Hits wie ‚Sohnemann Heinz‚ auf, welcher ohne Vorwarnung aufs Gaspedal drückt und sich am Ende in der Gruppendynamik stampfend verselbstständigt. ‚Snervt‚ galoppiert mit perlenden Gitarren und hymnischen Chorus, das unheilvolle ‚Sohnemann Zwei‚ steigert sich bis zu seiner spannungsgeladenen Explosion.
Die aktuell so gerne wie vehement diskutierte Frage, inwiefern ‚Stadt der Angst‚ überhaupt noch Punkrock sei, wird trotzdem in erster Linie reine Schubladendenker interessieren – letztendlich öffnet sich die Band zwölf Jahre nach ihrem Debütalbum mutig neuen Wegen und trotzdem ist das fünfte Album der Band mehr als alles andere ein lupenreines Turbostaat Album geworden. Braver heißt hier eben nicht zahnlos oder verwässert. Ohne Berührungsängste kündigt ‚Stadt der Angst‚ deswegen nicht nur an der Band den endgültigen Durchbruch bescheren zu können, sondern allem an auch, Nährboden und Ausgangslage und für zukünftige Großtaten zu sein.
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