Tu Fawning [02.10.2012 Postgarage, Graz]
Als würde eine komplette Marschkapelle über ein Musikfachgeschäft herfallen und dieses in eine aberwitzige Rhythmus-Zentrifuge verwandeln. Der Zirkus, den Tu Fawning auf und vor der Bühne veranstalten, ist jedenfalls noch einmal ein paar Stufen intensiver, als ihre ohnedies schon so umwerfenden Tonträger es ankündigen.
Am Ende hält es die Band nicht mehr auf der Bühne. ‚Break Into‚ und ‚Love Will Tear Us Apart‚ stehen für die Zugabe auf dem Programm, stattdessen greifen sich Tu Fawning Trommel und sonstige Schlagwerke, klettern in die Zuhörermenge hinab und starten ‚Multiply a House‚ als Acapella-Prozession, unverstärkt, mit dem Publikum als zusätzliche Rhythmusgruppe im Rücken. Ein geradezu magischer Abschluß für eine anachronistisch verzaubernde Darbietung, in der sich die vier Multiinstrumentalisten aus Portland in einen Rausch gespielt haben, spätestens ab dem prominenten ‚Anchor‚ jedwede Distanz zur versammelten Menge niedergerissen haben und pure Ekstase und Freude an ihrer Musik an sich transportieren.
Dabei sieht es anfangs noch nicht zwangsläufig nach dem glorreich zelebrierten Musikfest aus, dass gegen 23.00 Uhr schließlich diesen eindringlichen, gleichzeitig extrovertiert allumfassenden wie intimen Höhepunkt erreichen sollte. Zum angepeilten Beginn um 20.00 Uhr ist nämlich weder von der Vorband und schon gar nichts von Zusehern zu sehen, im Second Floor der Postgarage herrscht gähnende Leere. Erst, als sich Aiko Aiko eineinhalb Stunden später auf der kleinen Bühne einfinden, hat sich auch die freie Fläche vor der Bühne langsam zu füllen begonnen, der Respektabstand zu den Musikern bleibt dennoch die ersten Songs ein beträchtlicher. Dabei spielt das gemischtgeschlechtliche Duo eine einnehmend sphärische Melancholiemelanche aus The Knife, I Break Horses, Beach House und The Xx mit drückend schweren The Notwist/Console-Beats, insgesamt elektronisch zubereiteten, apltraumhaft-elfengleichen Dreampop mit Industrialflair. Auf Dauer dezent eintönig und in der Aufschichtung der Soundflächen vorhersehbar, aber mit das stimmigste, was man diesbezüglich aus Österreich serviert bekommt.
Wo Aiko Aiko sich noch auf wenig konzentrieren und dabei ein Maximum herausholen, gehen Tu Fawning von Anfang an in die Vollen, haben genug Instrumente auf der Bühne gestaffelt, um drei Bands zu versorgen, werfen dabei ihr ganzes musikalischen Können in die Waagschale um die vielschichten Sounds ihrer Platte auch auf die Bühne zu bringen, rotieren an den jeweiligen Positionen dazu permanent, kreieren ihren hypnotischen Genremix in immer neuen Konstellationen, weswegen der eifrig umherpirschende Kameramensch vor der Bühne alle paar Sekunden neue Motive vorfindet, genau so lange jedenfalls, bis es auch für ihn kein Halten mehr gibt, und er sich hemmungslos dem mitreißenden Spielwitz der Band hingibt und abtanzt, stillstehen ist bei diesem scheuklappenlosen Rock ohnedies kaum möglich.
Tu Fawning kitzeln live den Rhythmusgehalt und Beat-Reichtum in ihrem cineastischen Kauzrock noch deutlicher hervor denn auf Platte, lassen diese Fokussierung in jamlastigen, karnevalsartigen Ausschweifungen gipfeln. 31Knots-Chef Joe Haege drischt als Schlagzeugvorstand wie ein Derwisch auf sein Set ein, was die vier um Sirene Corina Repp nicht selbst an Klängen produzieren, haben sie in Sample-Form auf all den versteckten Gadgets in ihrem Instrumentarium untergebracht. So verstärkt sich der theatralische Paralellwelt-Charme ihrer märchenhaft unwirklichen Kompositionen in Destillaten wie ‚I Know You Know‚ noch zusätzlich, überhaupt gilt: egal, wie phantastisch nicht zuletzt das aktuelle Material schon auf dem jüngsten Erguss ‚A Monument‚ geklungen hat – im Livegewandt ist das alles noch einmal ein paar Klassen höher anzusiedeln, ein Feuerwerk des unkonventionellen Songwritings in eben noch nachdrücklicher, noch direkter, noch mitreißender, noch beeindruckender. Der Enthusiasmus vor wie auf der Bühne wächst unaufhaltsam, explodiert in Umkehrschub der Zugabe schließlich sprachlos machend. Tu Fawning legen atemlos und bereitwillig Zeugnis von ihrem Dasein als Vollblutmusiker ab, der Ruf als Live-Ereignis eilt ihnen nicht grundlos voraus.
Setlist:
A Pose For No One
Diamond in the Forest
Sad Story
Wager
I’m Gone
Anchor
Skin and Bone
I Know You Now
The Felt Sense
Bones
Blood Stains
—
Love Will Tear Us Apart (Joy Division Cover)
Multiply a House
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