Touché Amoré – Stage Four

von am 6. Oktober 2016 in Album, Heavy Rotation

Touché Amoré – Stage Four

Stage Four ist in erster Linie das Konzeptalbum, mit dem Jeremy Bolm Abschied von seiner Mutter nimmt. Darüber hinaus ist es aber auch das Werk einer Band geworden, für die Hardcore-Grenzen mittlerweile endgültig zu eng geworden sind – spätestens jetzt stehen Touché Amoré alle Türen offen.

Es sind weite Wege, die das vierte Studioalbum der Kalifornier Touché Amoré in all seiner Kompaktheit beschreitet: Vom regelrecht unmittelbar aufplatzenden Opener Flowers and You weg (der sich so unheimlich catchy immer mitreißender in ein Paradebeispiel für die emotionale Sprengkraft der Band hineinsteigert, sofort einen Platz als Trademark-Song und Instant-Klassiker im hauseigenen Repertoire für sich reklamiert), bis hin zum abschließenden Skycraper, in dem der Sohn seiner im Alter von 69 Jahren an Krebs verstorbenen Mutter deren Lieblingsstadt New York zu Füßen legt: Ein ruhiger Abschied, mit sonorer Singstimme aus der Kehle des sonstigen Brüllwürfels und The National-Fans Bolm vorgetragen – dass Folkfeingeist Julien Baker als anmutig ausschmückende Hintergrundstütze agiert, spricht Bände.
Der Refrain mag da mit seiner abgestoppten Art ein bisschen dünn daherkommen und die Struktur etwas zu vorhersehbar agieren (das bekommen all die vorherigen Songs trotz allgegenwärtigem Willen für eingängigere Schemen doch noch geschickter hin, indem sie Nuancen markanter variieren) – aber spätestens, wenn sich diese finale Nummer irgendwann Richtung postrockig flirrender Epik steigert, ist die Katharsis geradezu erschöpfend und die Erlösung folgt auf dem Fuß: Wo Bolm im furiosen New Halloween noch damit haderte, ob er überhaupt jemals ertragen können werde, die letzte von seiner Mutter hinterlassene Nachricht anzuhören, folgt in den letzten Sekunden ein Sample der Voicemail Message, die Stage Four ausgerechnet am bisher radikalsten Expansionspunkt von Touché Amoré Frieden mit den Dämonen schließen lässt, die das Konzeptwerk befeuern, peinigen und die Band dahinter an diesen Erfahrungen in jeder Hinsicht wachsen lassen.

Dass Touché Amoré sich mit Stage Four nach dem 2013er Kracher Is Survived By noch weiter vom Screamo-getriebenen (Post-)Melodic-Hardcore befreien würden, war indes bereits nach der ersten Single Palm Dreams klar: Dort lüften Bolm und Co. ihr Hoheitsgebiet immer wieder mit überraschend zugänglichem Klargesang, mäßigen ihre rasante Gangart fast schon versöhnlich. Für sich alleine gestellt ein Herold, der ob des Umzugs zu Epitaph die Befürchtung von gezähmter Konvention aufkommen ließ, nun aber wie alle anderen Vorabsongs im restlichen Gefüge eingebettet absolut stimmig funktioniert, wächst und im Verbund des mitreißenden Albumflusses noch stärker zündet.
Stage Four hangelt sich entlang seines inhaltlichen roten Faden über eine stilistische Bandbreite, die Abwechslungsreichtum und Kohärenz nicht ausschließt. Touché Amoré nehmen nun öfter das Tempo raus, beweisen Mut zu facettenverschobenen Wiederholungen und griffigen Refrains, legen sich geübter in Harmonien, lassen Schönklang zu und die Gitarrenlinien glänzen, während sich Bolm stimmlich mehr zutraut, als Herzblut und Seele mit malträtierten Stimmbändern in die Welt zu schreien und Stage Four mit diesem erwachseneren, geduldigeren Songwriting doch immer wieder in die unbändige Emotionalität und die rohe Energie des 2011er Meisterwerks Parting the Sea Between Brightness and Me kulminiert: Wie Metastasen wuchert der Umbruch im sehnigen Körper von Touché Amoré, vielseitiger und runder als auf ihrem Viertwerk hat das Quintett aus Burbank bisher noch nicht geklungen, getriebener und nachdenklicher selten.

Schon bei der bärenstarken Eröffnungsphase bis hin zu Rapture schieben Touché Amoré so die (umgekehrt proportional zum Text stehende) beinahe optimistische Strahlkraft der Melodien immer weiter sukzessive vor den peitschenden Husarenritt, schwelgen auch einmal, variieren die Durchschlagskraft ihrer Kompositionen gefinkelter und vielschichter, bevor Displacement die Geschwindigkeit und Spannung ankurbelt, eine verzweifelte Dringlichkeit in seine so schlauen Texte gießt: „You died at 69 with a body full of cancer/I asked your god how could you but never heard an answer/ No one saw it coming, the diagnosis of stage four“ hadert Bolm mit dem Gottvertrauen der Mutter, findet aber Zuversicht in seiner eigenen Form des Glaubens: „Last week I crashed my car and I walked away unscathed/ Maybe that was you asking me to keep my faith/…/I couldn’t worship the god that let her fall apart/…/I’m not sure what I believe/ Well I think that’s understood/ But I know she’s looking out for me/The way she said she would„. Stage Four zu hören bedeutet eben auch, von der schonungslosen Ehrlichkeit der Lyrics im Sturm genommen zu werden.

Benediction kommt dagegen geradezu poppunkig daher, verbindet die Aufbruchstimmung von Alkaline Trio mit der düsteren Wave-Atmosphäre von Interpol, um immer wieder mit explosiver Intensität von Eruption zu Eruption zu rasen. Posing Holy nimmt tröstend in den Arm, pulsiert, hämmert, drängt und atmet durch, wirkt damit wie auch das rasante Eight Seconds oder der seine Ausdauer gezielt einsetzende Sprinter Softer Spoken mit seiner erhebend aufgebauten Gitarrenarbeit wie die Weiterentwicklungen jener Hardcore-Schiene, in der Touché Amoré längst uneinholbar an der Spitze thronen. Selbst Water Damage, das als unterkühlte Postpunk-Nachdenklichkeit mit tiefgestimmter Gesangsstimme und The Cure-Ästhetik beginnt, bricht irgendwann aus und mutiert so stufenlos zum ballernden Spagat zwischen altbekannter Genre-Klasse und neuen Ufern.
Womit das intime Stage Four nicht nur die Linie der herausragenden Abschiedsalben im Jahr der letzten Zeit (von Sufjan Stevens bis Nick Cave) fortführt und evolutionstechnisch mindestens ebenso beeindruckend schafft, was die Kollegen von La Dispute und vor allem Pianos Become the Teeth mit ihren jüngsten Alben bereits geschafft haben – sich von den reinen Post-Hardcore-Erwartungshaltungen endgültig freizuspielen, ohne dafür die eigenen Wurzeln aufzugeben – und damit zu einer aufwühlenden, vielleicht sogar hoffnungsspendenden Verarbeitungshilfe für Leidgenossen Bolms geworden, indem es Verbundenheit erzeugt und Anteilnahme hervorruft. Vor allem aber gelingt es Touché Amoré mit ihrem bisher zweitstärksten Album vor unerschöpflichen Möglichkeiten zu sehen: Stage Four ist da sicherlich nicht das Endstadium für diese Band, sondern vielmehr ein neuer Startpunkt.

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