Touché Amoré – Is Survived By
„But I can’t say I haven’t aged/ I’ve outgrown what/ I used to be. I won’t fake what is expected to succeed with album three“ schreit sich Jeremy Bolm die Kehle wund und die Seele aus dem Leib. Eine Platte wie der modernen Hardcoreklassiker ‚Parting the Sea Between Brightness and Me‚ hinterlässt eben seine Spuren und will nicht bloß kopiert werden. Touchè Amorè zelebrieren auf ihrem Drittwerk deswegen Aufbruchgedanken und stemmen ein hoffnungsvolleres Album als man es der Band bisher zugetraut hätte.
Es gibt weiterhin keine Distanz zwischen Jeremy Bolm und seinem lyrischen Ich, keine Schonung, Gefühle liegen blank; der Mann brüllt sein tiefste Innerstes statt ins Tagebuch ins Mikrofon. Wo ‚Parting the Sea Between Brightness and Me‚ das Menschsein um unsteten Wandel reflektierte, richtet ‚Is Survived By‚ den Fokus nun auf den Wandel in Bolm selbst, noch klarer auf die menschliche Existenz an sich – und siehe da: die Welt ist längst nicht mehr immer nur schwarz.
„It’s not for nothing but I’ve seen a transformation/ Like I consider my happiness for the first time in ages/ You might say I’m off, but it’s the first time I’m feeling on„. Bolm hat Zufriedenheit in sich entdeckt und arrangiert sich damit, nicht immer: „Don’t worry, I still get dizzy in the usual situations„. Gleichgesinnte werden da zur Stütze: „It was the fall of last year in New York City/Day two of a tour, when my friend Johnny said/ “Hey, I’d like you to meet Andy.”/ We got to talking and connected on some things/ mutual friends/ how his band started writing/ But, then something was spoke/ I knew exactly what he meant/ I understood when he said/ “it’s hard to write content.”“ erzählt Bolm in ‚To Write Content ‚ und wird dazu zum Storyteller, wie das auch Buddy Jordan Dreyer gefallen würde.
Bolm schreibt seine Tagebuchsongtexte detaillierter denn je; dass seine Band dazu eben in ‚To Write Content‚ oder den zweieinhalb Minuten von ‚Anyone / Anything‚, in denen Touchè Amorè durch vier variierende Parts (einer catchier als der andere, alles zusammen ein beinahe hymnischer Hit) auf und abhechten, und sich ein gutes Stück weit Richtung La Dispute orientieren, passt nur wie die Faust aufs Auge. Touchè Amorè spielen ihren Screamo-affinen Hardcore immer noch zwingend wie kaum jemand, geben ihren Songs aber diesmal deutlich mehr Raum zu wachsen und sich zu entfalten, planen Umwege und sogar Annäherungen an klassische Refrains in ihre Songs ein – das überragende ‚Gravity, Metaphorically‚ war durchaus ein Vorgeschmack auf die Entwicklung hin zu ‚Is Survived By‚. Die Gitarren perlen und gleiten nun öfter als dass sie wild um sich treten, Elliot Babin explodiert nach wie vor in rasenden Ausbrüchen, bringt seine Emocore-Zuneigung dazwischen aber gefühlvoll ein: ‚Is Survived By‚ ist melodischer und nicht mehr so direkt wie seine Vorgänger, gönnt sich immer wieder erholsame Ruhepole in geradezu epischen 29 Minuten. Dem ambitionierteren, variantenreicheren Songwriting haben die auf den ersten Blick in anderen musikalischen Gefilden zu verortenden Brad Wood (Smashing Pumpkins, Sunny Day Real Estate) und Hans DeKline (mewithoutYou) die klarste Produktion der Bandgeschichte auf den Leib geschneidert, der Sound gibt sich für eine Hardcore-Platte geradezu transparent.
Ideale Vorrausetzungen um sich ein wenig aus dem Fenster zu lehnen. ‚Non Fiction‚ baut sich über knapp zwei Minuten atmosphärisch auf, bricht dann aber mit der epischen Gewalt einer kleinen Postrockwelle los und beschert Touchè Amorè einen der stärksten Songs ihrer Karriere. ‚Praise / Love‚ benötigt nicht mehr als eine gedankenverloren rundernde Gitarre um Bolm am Ende den Silberstreifen am Horizont zu zeigen, in ‚Blue Angels‚ streift der wendige Hardcore mit Julia Blake gar romantische Gefilde („I feel relief in just watching you breathe/ It’s hypnotizing like an inner peace„), während ‚Steps‚ mit Jon Simmons den Schulterschluss zu Balance and Composure und rockigem Posthardcore findet. Und selbst wenn ‚DNA‚ sich etwas zu nahe an ‚Uppers/Downers‚ anlehnt kann man etwaige Parallelen dank des Drumherum stattfindenden Sturms aus klassischen Touchè Amorè-Krachern erster Güte (‚Harbor‚! ‚Kerosene‚! ‚Social Caterpillar!‘ – dafür verkaufen andere Bands ihre Großmütter) freilich leicht ignorieren.
Dass ‚Is Survived By‚ trotzdem marginal schwächer als sein Vorgänger ist liegt dann auch ohnedies keineswegs an der Qualität der Einzelsongs, als vielmehr daran, dass ‚Parting the Sea Between Brightness and Me‚ im Gesamtgefüge schlicht zu einem noch atemloseren Rausch geriet, eine noch zwingendere Dynamik aufbaute und mit dem Überraschungseffekt im Rücken eine unmittelbarere, intensivere Sprengkraft jenseits aller Erwartungshaltungen entfachen konnte. Auch nimmt Bolm durch die Entscheidung textlich noch intimer, persönlicher und konkreter zu werden seinen Texten ein wenig des (eigentlich paradoxen) Identifikationspotentials des On The Road-Albums ‚Parting the Sea Between Brightness and Me‚. Freilich Jammern auf immens hohem Niveau – aber wenn man ganz oben ist, ist die Luft bekanntlich dünn. Da braucht es auch kein zweites Meisterwerk in Folge um zu beeindrucken, mit dem Mut zum Fortschritt fühlt sich die immense Weiterentwicklung ‚Is Survived By‚ doch auch als potentieller Wegbereiter für folgende Großtaten an, wie ‚…To the Beat of a Dead Horse‚ es für “Parting the Sea Between Brightness and Me‚ war.
Im Titeltrack schließen Touchè Amorè dann auch den Kreis zum vorab veröffentlichten ‚Just Exist‚ und dem vielzitierten „I was once asked how I’d like to be remembered/ and I simply smiled and said “I’d rather stay forever.”/… / I don’t know what my legacy will be/ A song, some words I wrote, or a kid I’ll never see/ All of these things scare me half to death/ I’ll suffer the day just hoping for the best.“ – „This is survived by who sang the song/ And that sense of purpose has made it all worth it/ So write a song that everyone can sing along to / So when you’re gone you can live on, they won’t forget you/ This is survived by a love/ This is survived by a cause/ that you aren’t the only who remembers what it was/ This is survived by a love/ This is survived by a wish/that you won’t let down who has attached themselves to it“ prophezeit Bolm in ‚Is Survived By‚ und malt damit keine Luftschlösser. Tatsächlich sind er und seine Band auf dem besten Weg sich im modernen Hardcore unsterblich zu machen.
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