Tom Skinner – Voices of Bishara
Was für ein Jahr für Tom Skinner: Erst nimmt er (neben einigen Session-Arbeiten wie für Beth Orton) mit dem The Smile–Debüt das beste Werk eines Radiohead-Neben (wobei vielleicht ja mittlerweile sogar: Nachfolge?-)projektes auf, dann verkündet seine Stammband Sons of Kemet leider ihr Ende, und nun veröffentlicht er mit Voices of Bishara auch noch sein Soloalbum.
Wobei „Soloalbum“ in gleich zweierlei Hinsicht relativ zu verstehen ist. Immerhin fühlt sich Voices of Bishara erstens – und das ist wirklich der einzige tatsächlich negative Beigeschmack der Platte! – eher wie eine grandiose EP und nicht wie ein vollwertiges Album an (da für den wirklich runden Spannungsbogen wohl zumindest noch eine Nummer im Verlauf fehlt), und zweitens schiebt Skinner sich und seine formidablen Skills keineswegs personell in der Vordergrund, sondern geht als Teil des Ganzen im virtuosen Kollektiv auf, das er gemeinsam mit Kareem Dayes (am Cello – was für ein wunderbares, viel zu selten genutztes Instrument im Jazz!), Nubya Garcia (Tenor saxophone and flute), Tom Herbert (Acoustic bass) und Shabaka Hutchings (Tenor saxophone and bass clarinet) stellt.
Dennoch hält der 42 jährige Schlagzeuger hier alle Fäden zusammen und ist, wie auch ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Platte verdeutlicht, der Impulsgeber hinter den 27 Minuten, die ihren Tribut an Abdul Wadud undseinem 1978 auf demeigenen Bisharra-Label veröffentlichten Album By Myself – das Skinner zu Lockdown-Zeiten exzessiv hörte – im Titel trägt: „Whilst Skinner’s title uses the more conventional spelling of this common Arabic name, they both have the same intention or meaning: it translates as ‘good news’, or ‘the bringer of good news’.“
„Voices of Bishara’ began life when Tom Skinner asked some musician friends to join him for a Played Twice session at London’s Brilliant Corners. The regular event had a simple format: play a classic album in full through their audiophile system and then have an elite ensemble improvise their response. The night in question focused on drummer Tony Williams’ 1964 Blue Note album ‘Life Time’ and the music he and his friends conjured up was so special that it inspired Skinner to write an albums-worth of phenomenal new music.
Skinner, a cellist, a bass player and two saxophonists recorded the results classic album-style, with everyone in the same room. He took the music home and it was put to the side, occasionally coming out for some attention in between Tom’s many other creative projects. This was a slow burn creation, and gradually, a new album began appearing as he embraced the studio recordings and accentuated their sublime idiosyncrasies.
I took a very liberal approach with the scissors and started going really hard into the edits between instruments. It breathed new life into the music. I was taking my cue from the great disco re-edits, people like Theo Parrish chopping up tunes and looping sections. I’m not a purist. I don’t want to get hung up on the past. It was really empowering to fuck it up a bit, to mess around with the music and see what happened. It felt right”
Und ja, das fertige Cut-Up-Machwerk fühlt sich tatsächlich verdammt gut an.
In Bishara tummeln sich um mantraartig wogend wiederholte Streicher im hypnotischen pendeln der Groove des Bass, turnen die flirrenden Bläser gar wie hirnwütig, während die Drums polternd und rollend den Hintergrund dirigieren: ein fiebriges Gemisch!
Red 2 ist eine Adaption von Tony Williams’ Two Pieces Of One: Red und schleicht so sinister wie mysteriös durch den Suspense, derweil das so smooth-assoziative The Journey seine Instrumente nonchalant verspielt geradezu flapsig miteinander kommunizieren lässt und einem Ohrwurm mit den rahmenden Motiven irritierend nahe kommt. Chamber- und Free-Elemente, vor allem auch das unorthodoxe Klangbild lassen an Jaubi und Konsorten denken. The Day After Tomorrow beginnt malerisch, verträumt und melancholisch, schwingt sich dann aber im Kontrast aus zappelnder Unruhe und kontemplativer Lauerstellung zu einer Art viktorianischer Screwball-Hatz auf. Auf Voices (Of the Past) zieht das perfekt temperierte Schlagzeug sofort in seinen Bann, nimmt sparsame Akzente aller Beteiligten auf und flaniert formoffen in die Lounge, bevor Quiet as It’s Kept ein wenig weiter in die Avantgarde und Psychedelik hallt, trotz einer unaufgeregt eilenden Hast für einen geradezu märchenhaften Score einkehrt.
Nach zusammengeschustertem Stückwerk klingt das alles jedenfalls nie, sondern absolut organisch gewachsen und intuitiv zaubernd. Das Verlangen, diesen fantastischen Musikern zuhören zu dürfen, kann da nach einer solch kurzen Gesamtspielzeit insofern eigentlich kaum gestillt sein. Dass Voices of Bishara entlang seiner sechs wie im Flug vergehenden Kleinode ohne erkennbare Abnutzungserscheinungen mit einer absoluten Suchtwirkung entlässt, kann man ohne Frust dann aber ja auch ganz dezitiert als gute Nachricht verstehen.
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