Tocotronic – Nie Wieder Krieg

von am 24. März 2022 in Album

Tocotronic – Nie Wieder Krieg

Vielseitiger und abwechslungsreicher als auf dem plakativ daherkommenden, aber sehr kurzweiligen Nie Wieder Krieg waren Tocotronic vielleicht noch nie. Trotzdem ist die Selbstverständlichkeit der Variabilität nicht nur als Kompliment zu verstehen.

Nur in den drei sehr feinen Bonustracks (Du weißt mehr als ich, das Elliott Smith‘eske Singer-Songwriter-Kleinod Ein Mann zerfällt und der mit hartnäckiger Hook ausgestattete Schlafwandler Sirius) einigt sich das 13. Studioalbum der Band aus Hamburg schließlich auf eine stilistische Kohärenz – im regulären Kontext aber gibt sich das Quartett mit den unverwechselbaren (und von Moses Schneider wieder toll produzierten, per se für Homogenität sorgenden) Tocotronic-Signaturen betont vielgestaltig.

Die Klammer der Platte besteht mit dem Titelsong (ein simpler Instant-Ohrwurm mit Mitsing-Ambition im distinguiert-getragenen Tempo) und dem schunkelnd-schrammelnden, zu lang und beliebig daherkommenden Liebe etwa regelrecht weit drinnen im Schlager, wohingegen sich der brav schwitzende Rocker Komm mit in meine freie Welt sogar eine punkige Pastiche zu gönnen versucht. In Jugend ohne Gott gegen Faschismus muß ein griffiger Slogan ausreichen, um einen ästhetisch ansprechenden, kompositionell aber uninspirierten Britrock-Langweiler zu stemmen, derweil das so nett und luftig zwischen Unbeschwert- und Belanglosigkeit flanierende Ich gehe unter wie eine mit heulender Gitarre auftretende, leichte Erinnerung an Wie Wir Leben Wollen sein könnte – das nett plätschernde Nachtflug könnte eine altersmilde Reminiszenz an Let There Be Rock sein.
Das nonchalante Ich hasse es hier klingt, als hätten Element of Crime einen Ärzte-Song als kurzweiligen Pop gecovert und Ein Monster kam am Morgen ist ein sanft-verträumter Wave-Song mit behutsam orchestraler Märchen-Arrangements. Crash kann fluffigen The Smiths-Sommer-Jangle und Hoffnung lenkt mit plakativ smartem Vokabular beinahe davon ab, welche im besten Sinne altmodische Romantik da in einer gefühlvoll zurückgenommenen Nummer mit Orchester-Grandezza zupfend und schnipsend entsteht, nachdem das gruselige Duett Ich tauche auf mit Soap&Skin eine barocke Intimität pflegt und wirklich anmutig agiert, textlich aber eine nicht berührende Staffage bleibt: Musikalisch bleibt eben vieles nur ein vager Platzhalter für die inhaltliche Ebene.

Was dann auch den Blick auf den Kern des Problems lenkt. Bei einer latenten Harmlosigkeit bleibt rein instrumental kaum etwas konkretes hängen – textlich leider dafür umso mehr. Aber dass Dirk von Lowtzow Lyrics wie immer ein polarisierender Zankapfel sein können, der unangenehm bemüht, bedeutungsschwer intoniert und unnötig prätentiös (alleine wenn es im okayen Rocker Leicht lädiert heißt „Doch dann habe ich realisiert/ Ich bin leicht lädiert/ Leicht lädiert/ Wenn nicht gar derangiert“ nimmt der pseudoverkopft-intellektualisierende Holzhammer-Überbau der uninspirierten Simplizität der Musik ihre Impulsivität) daherkommt sind eigentlich keine Neuigkeiten. Schade dennoch, dass die emotionale Ebene so immer nur auf theoretische Weise anvisiert wird, aber  auf praktischer bestenfalls unpeinlich berieselt.
Trotz dieser beiden gravierendsten Mankos funktioniert Nie Wieder Krieg als Gesamtwerk aufgrund der unterhaltsamen Kurzweiligkeit als rundes Ganzes – und macht mehr her, als seine beiden direkten Vorgänger – weswegen die zur Schau gestellte stilistische Variabilität den so zuverlässigen Tocotronic in erster Linie ein Kompliment ausstellt.

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