Tocotronic, It’s a Musical [07.04.2013 Orpheum, Graz]
Wie Tocotronic den warmen, organischen Klang – und damit den gar nicht so heimlichen Helden – ihrer aktuellen Platte ‚Wie wir leben wollen‚ auf die Bühne hieven wollen würden war die vielleicht interessanteste Frage im Vorfeld der aktuellen Tour der Hamburger Institution. Der geschätztermaßen ausverkaufte Graz-Aufenthalt zeigte: gar nicht.
Stattdessen rocken Tocotronic über alte Klassiker wie neue Stücke gleichermaßen energisch und mit wuchtigem Sound. Rock eben, durch und durch. Passt aber so. Die Rhytmusabteilung ebnet den Weg , die Gitarren bleiben im wie immer guten Klang des angenehm gefüllten Orpheum jedoch sauber arbeitend an der Oberfläche. Problematisch wird der massive Bass von Jan Müller nur kurzzeitig im Endspurt des Abends, als technische Schwierigkeiten den Tieftöner phasenweise mit markerschütternden Dröhnen über die anderen Instrumente fahren lassen und Rückkoppelungen nicht mehr nur Showeffekt zwischen dem atmosphärischen Setlist-Schlußpunkt ‚Warm und Grau‚ und der ersten Zugabe ‚Freiburg‚ sein sollen. Einem dennoch gelungenen Konzertabend kann diese Bagatelle freilich nichts mehr anhaben, zumal die Band mit Fortschreiten des Auftritts den zündenden Funken immer weiter überspringen lässt.
Die neuen Songs werden dabei von dem sichtlich mit der Band mitgealterten Publikum deutlich verhaltener aufgenommen als die freudig gefeierten alten Gassenhauer. Rundum findet sich aber ohnedies eine gute Schnittmenge aus beinahe allen Repertoire-Altersklassen trotz deutlichem Fokus auf ‚Wie wir leben wollen‚ in der Standard-Setlist der laufenden Tour mit den geplanten 3 Zugabeblöcken. Dirk von Lowtzow ist dabei nach dem eingespielten Pro-Asyl-Clip sowie Stockhausen-Intro irgendwo zwischen Damenspitz und Exzentrik pendelnd der unbestreitbare Bandmittelpunkt und Entertainer, optisch die gefühlte Schnittmenge aus Schlingensief und Malkmus bildend. Mit schrullig-amüsanten Nonsense-Ansagen führt der nonchalant aufspielende von Lowtzow durch die kurzweilige Songliste, während Rick McPhail so stiller wie versierter Handwerker bleibt, Jan Müller den kumpelhaften Rocker von nebenan gibt und Arne Zank enthusiastisch-losgelöst die vielleicht meisten Sympathiepunkte des Quartetts sammelt.
Eben dies tun auch It’s a Musical als Vorband. Das schwedisch-deutsche Duo spielt unheimlich herzige kleine Melodiesammlungen in der Nahtstelle aus Waverock, Synthiepop und Indietronic. Dabei haben Sängerin Ella Blixt und der furios zwischen den Instrumenten handwerkende Schlagzeuger Robert Kretzschmar vielleicht keine weltbewegenden Erkenntnisse in petto, jedoch sichtlich eine ganze Menge Spaß bei dem was sie tun; und eben diese gute Laune versteht die Band unmittelbar aufs Publikum zu übertragen. Die darf man sich also durchaus auf dem Zettel behalten, auch wenn letztendlich vor allem die offenbare Nettigkeit (muß in diesem Fall ja nichts schlechtes sein, schon gar kein kleiner Bruder von irgendwas) des Duos in Erinnerung bleibt – alleine der Impression wegen, wie die beiden artig vor dem Konzertsaal sitzend warten, bis die Tocotronic’s den Abend beschließen.
Eben dies tun die Hamburger mit dem zeitlosen ‚Let There Be Rock‚ dann auch beinahe triumphal. Der souverän aufeinander eingespielte Vierer braucht keine Samples, wie es auch grundsätzlich keine Schnörkel an dem ohne merkliche Längen auskommenden Konzertabend gibt. Hier und da darf hintendran im Rahmen ein wenig ausgefranst werden, ‚This Boy is Tocotronic‚ wird ein Mini-Gitarrensolo spendiert. ‚Drüben auf dem Hügel‚ habe man seinerzeit an selbem Ort bereits als Vorband von Blumfeld gespielt (aber auch eigentlich immer überall sonst) erinnert sich von Lowtzow. Im Hier und Jetzt scheppert das großartige ‚Auf dem Pfad der Dämmerung‚ wunderbar, nicht nur der Opener ‚Im Keller‚ hat ein paar PS extra spendiert bekommen und verströmt eine ansatzweise punkige Dringlichkeit, welche Tocotronic weit entfernt jeglicher Altersmüdigkeit zeigt. Spätestens beim schwelgenden ‚17‚ ist das dann großes Kino. Ein tolles Zeiger-Konzert also, das man in seiner Gesamtheit gar nicht notwendigerweise so euphorisch beurteilen muss wie die Band selbst um festzustellen: gravierende Makel bietet der gelungene Graz-Aufenthalt tatsächlich keine.
Setlist:
1. Im Keller
2. Ich will nüchtern bleiben
3. Drüben auf dem Hügel
4. Meine Freundin und ihr Freund
5. Vulgäre Verse
6. This Boy is Tocotronic
7. Sag alles ab
8. Aber hier leben, nein danke
9. Warte auf mich auf dem Grund des Swimmingpools
10. Abschaffen
11. Alles wird in Flammen stehen
12. Auf dem Pfad der Dämmerung
13. Die Revolte ist in mir
14. Mach es nicht selbst
15. Jackpot
16. Hi Freaks
17. Warm und GrauEncore:
18. Freiburg
19. Ich bin viel zu lange mit euch gegangen
20. Wie wir leben wollenEncore 2:
21. 17Encore 3:
22. Let There Be Rock
Kommentieren