Titus Andronicus – A Productive Cough
Patrick Stickles hat sich mit dem so ergiebig erschlagenden The Most Lamentable Tragedy offenbar zumindest vorerst ausgetobt. Für A Productive Cough schraubt er den angepissten Punk-Gehalt seiner Songs jedenfalls deutlich zurück und lebt seine zynischen Nihilismus vornehmlich in einem getragenen Kneipenrock aus, der die Ausbrüche in seinem balladesken Wesens nur noch unterschwellig andeutet.
Der Grundstein für A Productive Cough war spätestens gelegt, als ein Fan Patrick Stickles nach einem Acoustic-Show im Plattenladen dazu ermutigte, eine ganze Platte im zurückgefahrenen Outfit in Angriff zu nehmen. Ein Denkanstoß, den Stickles nach all dem Druckablassen rund um Depressionen und angepisste Konzeptwerke nur zu gerne aufgriff: „Im Laufe unserer Karriere haben wir ein riesiges Haus gebaut, mit vielen musikalischen Räumen. Die neue Platte erforscht eben nur einen bestimmten raum bis ins Detail. Und mal ehrlich: Wenn du dir die Punk-Instrumentierung wegdenkst, klingt alles von uns nach Bob Dylan oder Neil Young. Das sind die Musiker, die mich beeinflusst haben. All der laute Kram ist nur Zierwerk.“
Auch wenn man zum Inspirationspool des (im ewigen personellen Wandel befindlichen) Kollektives spätestens im Jahr 2018 auch The Hold Steady, Bright Eyes oder Bruce Springsteen hinzuzählen muss, kann man die Aussage von Stickles angesichts von A Productive Cough im weitesten Sinne so stehen lassen. Gemeinsam mit der eingangs erwähnten Erzählung des Plattenladen-Acoustic-Gigs im Hinterkopf, sowie den gerade einmal sieben Songs einer am Folk und Heartland-Rock orientierten Platte vor Augen, ergibt er zudem auch ein rundum nachvollziehbares Bild der grundlegenden Ambition des fünften Studioalbums von Titus Andronicus.
Kämen Besucher spontan in eine halbversiffte Bar, in der eine Band derart ausgelassen spielt, dass plötzlich auch die Gästeschar ungezwungen miteinsteigt und am Ende die ganze Bude Kopf steht, der Tresen eine Bühne für alle ist, sich Unbekannte in den Armen hängen und ein kollektives Gemeinschaftsgefühl sich verselbstständigt, ein feierendes Miteinander mit brachialer Offensichtlichkeit erkennbar ist – dort möchte Redelsführer Stickles mit A Productive Cough gefühltermaßen hin.
Dafür inszeniert er die 47 Minuten der Platte als aus dem Ruder laufenden Pubrock, der geradezu penetrant demonstrativ vorzeigen soll, welch ein geile Zeit die 21 köpfige Musikerriege bierselig miteinander beim Einspielen der Songs hat – für Real Talk hat Stickles sogar einen Hype Man engagiert, der als zusätzlicher Anheitzer Stimmung machen soll und vor „Paddy Stacks“ wie ein manischer Wanderprediger vorbeihüpft, während Titus Andronicus Simpel einen simpel scheppernden Rocker mit Honky Tonk-Bläsern und trunkenen Chören, jazzigen Auswüchsen und vagem Soulflair ausstaffieren, bis der rausschmeißende Refrain bis zum geht nicht mehr wiederholt wird und die Gitarren ausgeladen darum herum heulen. Nur leider klingt das letztendlich nicht hemmungslos, sonder dermaßen bemüht und konstruiert, kalkuliert und handzahm produziert, dass es gerade angesichts der bisher stets so infektiösen Unmittelbarkeit von Titus Andronicus schon sprachlos entlässt.
Soll heißen: A Productive Cough klingt durchaus so, als hätte Stickles als aus der Zeit gefallener Entertainer Spaß (und würde seine diesmaligen Erfüllungsgehilfen zu einem solchen zwingen), aber auf den Hörer überträgt sich diese Gefühl der puren Ausgelassenheit selten bis nie. Man bleibt seltsam unberührt außen vor, betrachtet die prolongierte Sause außen vorbleibend – es fehlt der zur Schau gestellten Lebensfreude der Midtempo-Platte schlichtweg an Authentizität.
Es wäre insofern gar nicht so sehr das Grundproblem, dass A Productive Cough stilistisch den typischen Biss missen lässt, nicht mehr angriffslustiger Punk sein will – aber das intuitive und unberechenbare Element fehlt dem Material einfach, weil das redundante und arg limitierte Songwriting sich nicht nur stets viel zu lange über Gebühr ausdehnt und irgendwann schlichtweg ermüded, sondern auch immer nur die selben Impulse (das Wachstum zur kollektiven Interaktion) setzt, um die kompositionellen Schwächen der hüftsteifen und uninspiriert wirkenden Platte zu kaschieren.
Eingangs mag diese Rechnung sogar noch durchaus aufgehen. Number One (In New York) eröffnet als melancholische Klavierballade mit einem nasalen Stickles und subtiler Bläserunterstützung, langsam schwillt der Opener an, ohne dafür an Tempo aufzunehmen. Geduldig schleichen Drums in den Song und die Arrangements beginnen klammheimlich zu glimmern, Stickles legt sich immer energischer als Zyniker ins Zeug, plätschert mit mehr Schwung. Das funktioniert als Intro in die Platte an sich auch ganz gut, aber nach knapp Minuten ist alles vorbei, ohne dass eine tatsächliche Entwicklung eingesetzt hätte, der Song zu irgendeinem Punkt gekommen wäre. Man hat die Band begleitet, ohne von ihr mitgerissen oder gepackt zu werden, sich im Kreis gedreht. Befriedigend ist das nicht.
Das mit charmanten „Nanana„s torkelnde Above the Bodega (Local Business) ist dann eine nette Schunkelei samt Piano und Bläser, tut aber so, als wäre es eine exzessive Hausparty. Weil sich die Platte danach jedoch nahezu vollends in die austauschbare Beliebigkeit verliert, darf man es durchaus als symptomatisch für A Productive Cough ansehen, dass ausgerechnet ein langatmiges Cover von Bob Dylans (I’m) Like a Rolling Stone als nachhaltigster Song des Reigen durchgeht – weniger wegen der musikalisch kaum intensiv lamentierenden Repetition, als eher aufgrund eines textlichen Perspektivenwechsel als einzige Pointe der so unpoitiert torkelnden musikalischen Fadesse.
Noch redundanter ist da nur die von Megg Farrell intonierte Klavierballade Crass Tattoo, weil sie wie ein halbgares Aufwärmen der Ideen des ähnlich gelagerten [amazon_link id=“B00C2C9JV0″ target=“_blank“ ]To Old Friends and New[/amazon_link] vom Klassiker [amazon_link id=“B00C2C9DL6″ target=“_blank“ ]The Monitor[/amazon_link] wirkt; sowie das über ein Riff aus der Mottenkiste komplett inhaltslos daherkommende Home Alone, das erst Laune macht, wenn sich der Song von einem Sammelsurium aus erstaunlich sinnfrei reflektierenden Gaga-Lyrics zu einem abgeschmackten Endlos-Solo entwickelt, „oh yeah„!
Das versöhnliche Mass Transit Madness (Goin‘ Loco‘) schließt den Bogen dann wenigsten angenehm schief und rund, kann die relative Kompaktheit der Platte aber eben auch nicht mehr gegen all ihren Leerlauf aufwiegen. Dass das bisher schwächste Album der Band seine Qualitäten abseits des grundlegenden Titus Andronicus-Charismas entwickeln wird, hat es sich erst einmal für seine Liveauftritte warmgeschwitzt und im Dreck gesuhlt, bleibt dabei die gesamte Spielzeit über ersichtlich. Ob man bis dahin auch so mit einer weitestgehend beiläufig durch den Hintergrund dängelnden Fingerübung warm werden wird, bleibt jedoch fraglich.
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