Title Fight – Hyperview
„Murder all your memory/Let it suffocate/Reduce“ singt Jamie Rhoden im beruhigenden Strom des Openers ‚Murder Your Memory‚, ‚New Vision‚ nennt sich der nebulös bleibende Closer. Genau zwischen diesen durchaus auf Metaebene zu verstehenden Polen spielt sich das dritte Title Fight-Album zur Gänze ab: wer hierzu abermals den Weg in verschwitzte Pit-Ausflüge und ausgelassene Stagediving-Exkursion sucht, der dürfte vor ernsthafte Probleme gestellt werden.
La Dispute bremsten ihre hyperventilierenden Geschichten auf ‚Rooms of the House‚ weitestgehend aus, Pianos Become The Teeth überholten ihren Sound für ‚Keep You‚ gleich von Grund auf, der ehemalige Krawallfraktion um Domenic Palermo bringt Relapse mit ‚Guilty of Everything‚ das Shoegazen bei.
Das Spannungsfeld zwischen Post-Harcore und Punkrock scheint seit einigen Monaten in einem vitalisierenden Umbruch begriffen, erfindet sich in vielen seiner Ausläufer neu. Dass auch Title Fight im dritten Anlauf ihre Herangehensweise merklich umkrempeln, ist dann aber weniger Ausdruck einer Trendorientierung, als der wohl logische nächste Entwicklungsschritt der hungrigen Band aus Kingston: dass dem Quartett der Stempel als beste Nachlassverwalter von Walter Schreifels und ideale Hot Water Music- Erben, den sie sich selbst mit dem Debüt ‚Shed‚ verpasst hatten bald zu eng werden würde, das ließ sich jedenfalls schon beim Ambitionierten Vorgänger ‚Floral Green‚ (was für ein foreshadowing Moment war alleine ‚Head In The Ceiling Fan‚) sowie der in den Startlöchern scharrenden Interims-Ep ‚Spring Songs‚ ganz deutlich durchblicken.
Den dritten Langspieler der Band zum reinen Shoegaze-Album zu deklarieren, zu dem es aktuell überall gemacht wird, ist aber wohl dennoch nur die halbe Wahrheit. Sicher: ‚Hyperview‚ träumt von verwaschenen Melodien, vage bleibenden Hooklinekonturen, Rhoden singt tief drinnen im Mix geradezu dösend; eine lethargische Anmut haftet den melancholisch schwirrenden, im Kern beruhigten Songs an, wie sie da im Auge des Sturms delayverhangen noch eine Spur weiter im 90er-Indierock verhaftet sind als bereits jene von ‚Floral Green‚. Das Geschehen wirkt auf entrückte Art und Weise kaum greifbar, präsentiert sich weniger zwingend, die Band spricht von den Beach Boys und Dinosaur Jr., vollführt dabei aber einen Seiltanz zwischen Generalüberholung und liebgewonnener Vertrautheit.
Es ist eben nicht so, dass Title Fight auf ‚Hyperview‚ nicht mehr als Title Fight zu erkennen wären, als würden sie mit neuer Lackierung einen grundlegend anderen Weg einschlagen als bisher. Vielmehr scheinen sie prägende äußere Shoegaze-Elemente von Innen heraus in ihr Songwriting assimiliert zu haben. Gar nicht so unweit dessen, als würde man ‚Floral Green‚ durch einen betäubten Schleier aus der Perspektive der Sadcore-Pioniere Codeine betrachten.
Vor allem die wenigen Male, die Raubein Ned Russin an die erste Position zum Mikro rückt (‚Chlorine‚ wird als erste Single nicht die komplette Stammkundschaft verschrecken, das liebevoll-kratzige ‚Rose of Sharon‚ wird von Produzent Will Yip irgendwo zwischen Vergangenheitsbewältigung und Aufbruchstimmung ausbalanciert) presst die Band also durchaus nahe heran an ihren Wurzeln, ungeachtet dessen, dass die Gitarren hier noch mehr als sonst nach The Cure und My Bloody Valentine klingen.
In ‚Hypernight‚ schlängelt sich dafür der hypnotisch flapsige Basslauf in das Unterbewusstsein, ‚Mrahc‚ drängelt sich mit Tritt aufs Gaspedal nach vorne: das mit den knackigen Zug zum Ohrwurm, das hat man unter der neuen Karosserie immer noch drauf. In gewissen Maße ist das eben ohnedies über weite Strecken immer noch der bewährte Punkrock, wenn auch mit dem Weichzeichner erarbeitet. Ein bisschen wie Nachhausekommen, obwohl in der Abwesenheit die halbe Nachbarschaft ausgewechselt wurde. Und ja: diese Inkarnation steht Title Fight bisweilen prächtig.
Der Eindruck einer nicht restlos ausdifferenzierten Neujustierung bleibt dennoch: Wo die Platte phasenweise nicht von alten Trademarks lassen will und damit auf etwas inkonsequente Art eine gewisse Pflichtschuldigkeit ausstrahlt, gerät auch der Albumfluss in der ersten Hälfte weniger homogen, entlässt paradoxerweise in der zweiten mit dem unspektakulären ‚New Vision‚ irritierend unmittelbar und ohne abschließendes Großereignis hinten raus.
Kleinere Schönheitsfehler, die auf dieser betörenden Umbruchplatte kaum ins Gewicht fallen. Am wichtigsten ist ohnedies die Erkenntnis, dass das Quartett seine Songwriting-Stärken auch inmitten der veränderten Gegebenheiten ausspielen kann und sowieso am richtigen Weg bleibt. Am großartigsten – wenn auch nicht unbedingt am originellsten – ist ‚Hyperview‚ nämlich immer dann, wenn Title Fight wie im wunderschön ausgebremsten Schwermut-Postpunk-Pop von ‚Your Pain is Mine Now‚ die Augen schließen oder sich im titelgetreuen ‚Dizzy‚ sanfmütig abdriften und vollends von ihren Ursprüngen wegtreiben lassen.
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