Tim Darcy – Saturday Night

Tim Darcy posiert auf dem Cover von Saturdy Night ernst, manierlich und gegenwärtig vor aufgeräumt-stilisierter Umgebung. Eine gefinkelte Begrüßung, beobachtet der Ought-Frontmann doch dabei eigentlich vor allem, wie sein erstes Soloalbums mit Fortdauer immer weiter ausfranst und sich völlig ungezwungen in der vagen Orientierungslosigkeit auslebt.
„With this record I just wanted to write and record some nice songs. It feels tender. It feels like it comes from a pretty deep place. It’s like when you start falling in love with somebody, you start opening that door a little wider.“ Nicht erst wenn der irritierenderweise als versteckter Appendix angehängte dritte Part von Joan das auf zerfahre Art völlig kohärente Saturday Night als entrückte Skizze zwischen Field Recording und ermutigendem Kunstgallerie-Gospel nebulös verschwinden lässt, trifft diese Ambition in gewisser Weise zu: Darcy hat hier nach der bereits so losgelöst verorteten Kooperation Too Significant to Ignore eine unkonventionelle Songsammlung zusammengetragen, die in der vermeintlich mäandernden Ziellosigkeit ihre Bestimmung findet, und die einen durchwegs intimeren und auch lyrisch persönlicheren Umgang pflegt, als seine bisweilen prätentiös am Postpunk ihre Schmissigkeit auslebende Stammband.
Auf sich alleine gestellt lässt Darcy die Zügel nämlich merklich weniger streng angezogen, probiert und experimentiert, driftet ab ohne vom Weg abzukommen, lässt sich hinreißen, ohne übertrieben augenzwinkernd oder todernst zu agieren. Pendelt deswegen mal in eine reverbschwanger über Rückkoppelungen rezitierende Beschwörung (der eklektisch seine Splitter einsaugende Titelsong bleibt ein gegen den Strich gebürstetes Rätsel) und bezaubert dann wieder mit einem so planlos wie leise tröpfelden, reduzierten dösenden Akustikgitarren-Fragment ala Mount Eerie (Found My Limit). Purzelt ebenso selbstverständlich durch einen auseinanderbrechenden Postpunk-Unfall (Saint Germain), wie er sich inmitten einer in Schräglage daherkommenden Pianoballade widerfindet – die zudem vormacht, wo Brandon Flowers ohne jede Politur oder kommerziellen Hintergedanken treiben könnte.
Nie steht Darcy als einer der prägnantesten Frontmänner der vergangenen Jahre dabei stimmlich auf einem Podest, geschweige denn, dass er sich als Bryan Ferry‚esker Leithammel diesmal selbst vorausschickt oder das Instrumentarium mit adretter Energie antreibt – viel eher verschwindet er immer wieder auch in seinen Kompositionen, verschiebt die Konturen und lässt den Fokus gefühltermaßen irgendwann ohnedies außen vor.
Ja, Saturday Night öffnet spätestens, wenn sich die Platte deutlicher in die sich bietenden Freiheiten verliert, auch die Tore zu Gefilden, für die Ought dann schlichtweg doch zu knackig, zu kompakt, zu stringend und strukturiert unterwegs sind. Denn an all diesen Punkten ist Saturday Night eben mit jeder voranschreitenden Minute weniger interessiert.
Dabei präsentiert sich Saturday Night gerade Eingangs noch durchaus entschieden auftretend, indem sich Darcy stilistisch zwar von seiner Stammband löst und eigene Vorlieben unterschreicht, sich aber doch noch im selben Kontext wie Ought verankert: Da stolpert Darcy mit aufgeweckt schrammelnder Gitarre und zwingend nach vorne gehender Rhythmussektion mit dem nach seinem Gaspedal-Start angenehm ausgebremsten Tall Glass of Water mitten hinein in das Vermächtnis der frühen The Velvet Underground, Referenzen an die Modern Lovers und existentielle Fragen („And if at the end of the river/ There is more river/ Would you dare to swim again?“ kennt nur eine Antwort: „Yes, surely I will stay, and I am not afraid. I went under once, I’ll go under once again“ – irgendwo Mentalität und Motto der gesamten Platte!), bevor das zweiteilige Joan als eine psychedelisch im Hall untergehende Jam-Folkrock-Crossover-Version aus den jungen Strokes und Wavves zur harmoniesüchtig schunkelnden Lagerfeuerstimmung von Woods und ähnlichen Lo-Fi-Hippies findet.
You Felt Comfort rockt dagegen mit Neutral Milk Hotel vor dem inneren Auge und ordentlich Druck und Fuzz im Singalong-Rücken in die Romantik, die im entspannt groovend-croonenden Still Waking Up trotz latent zärtlichem Roy Orbison-Vibe bloß eine kalte Schulter serviert bekommt. Eventuell liegt es ja an der von Morrissey adaptierten The Smiths-Melancholie der Nummer, fest steht hingegen: Vier kleine Beinahe-Hits eröffnen den Reigen, holen als herrlich charmant unfertig aus der Schulter geschüttelte Puzzlestücke an Bord, die an der Oberfläche unverbindlich zünden, dahinter aber bei Bedarf durchaus eine nachhaltige Gedankenschwere erkennen lassen.
Zumindest die ersten 13 Minuten von Saturday Night suggerieren somit einen wenigstens relativen roten Faden, der, über das instrumentale Interlude First Final Days als antriebslos plätschernde Jam-Verwirrung aus Gitarrengeplänkel, Bass und Schlagzeug, eine kreative Phase für Darcy eröffnet, in der er sich konsequent in anderen Sphären beamen darf. Was dort nur zu leicht wirken kann, als würde der Mann aus Montreal mit unkoordinierter Kopflosigkeit durch die ungefilterte Willlkürlichkeit seiner Vorlieben taumeln, entfaltet entlang eines überraschend schlüssigen Gesamtflusses und einer atmosphärisch durchaus fesselnden Kohärenz in der Inhomogenität einen eigenwilligen Reiz, dem man sich nur schwer entziehen kann.
„These are the songs that felt like they were coming together to form a record.“ trifft Darcy den Charakter der über lange Zeiträume entstandenen, nun aber so lose wie instinktiv miteinander verwobenen Momentaufnahmen. Und wenn Beyond Me als polarisiernde Klangcollage seine Instrumente zum ungemütlichen Ambient-Drone stimmt und damit im Gesamten keinen Kreis schließt, sondern ohne jedweden Climax oder offensichtlichen Erkenntniswert verglüht, auch Spannungen ignoriert und das Songwriting selten nach entgegenkommenden Schemen zu Ende denken will, kurzum: so symptomatisch pointenfrei in die Ungewissheit hinter dieser Saturday Night entlässt, gehören offene Fragen, lose Fäden, Finten und Sackgassen längst zum Konzept.
Tim Darcy liefert eben keine Anleitung für ein neugieriges streunendes Solodebüt, allerdings gelingt ihm hinter der erzeugten Verwirrung ein beachtlicher Kniff: Gerade verfolgen zu können, wie Saturday Night nach und nach in eine verführerische Orientierungslosigkeit driftet, erweist sich gegen alle Regeln keineswegs als frustrierend, aufgesetzt oder beliebig, sondern vielmehr als kurzweilige und erstaunlich unterhaltsame Odyssee, die letztendlich schlichtweg funktioniert – und dazu ein absolutes Bedürfnis weckt zu erfahren, wohin die hier begonnene Reise Darcy in weiterer Folge führen wird.
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