Thrice – To Be Everywhere Is To Be Nowhere
To Be Everywhere Is To Be Nowhere stellt die Gretchenfragen: Sind Hits wirklich alles? Oder wieviel Fanbrille braucht es, um die endgültig einem reinen Alternative Rock frönenden Thrice trotz vehementen eingesetztem Autopilot nicht nur aus Nostalgiegründen zu verehren?
Dass die mittlerweile guten Gewissens als Institution durchgehende Band aus Irvine bei ihrem ersten Album seit dem 2011er Studioalbum Major/Minor – und gerade einmal 4 Jahre seit dem vorübergehenden Farewell-Dokument Anthology – partout nicht von einem Comeback sprechen will, macht in zweierlei Hinsicht absolut Sinn.
Zum einen deswegen, weil Thrice Veteranen genug sind, um ihre Lektionen gelernt zu haben: Auch nahverwandte und ähnlich sozialisierte Bands wie Hot Water Music, Boysetsfire oder Thursday haben nicht lange den Deckel draufgehauen – manche Typen können eben einfach nicht ohneeinander. Dass die von dem sich auf Pastoramt und Familie konzentrieren wollenden Sänger Dustin Kensrue verordnete Pause keine auf besonders lange Zeit sein würde, war insofern wohl allen Beteiligten klar.
Und zum anderen, weil sich To Be Everywhere Is To Be Nowhere auch musikalisch tatsächlich kaum als große Reunionshow anfühlen will, sondern (um Plattitüden zu bemühen) eher wie das stilistisch nahtlose Ansetzen und Weitermachen bei Major/Minor, als wäre keine Zeit in den vier Jahren Bandpause vergangen. Gleich das beinahe triumphal eröffnende Hurricane spielt seinen Alternative Rock nach der eingangs zelebrierten Pixies-Anlehnung schnurstracks in die selbe hymnisch aufmachende Kerbe aus filigran perlenden Gitarren und drückenden Breitwandseiten-Riffs, massiv-gefinkelter Rhythmusarbeit, Kensrue’s wettergegerbter denn je auftretendem, rauem Zauberorgan und einer großen Melodie samt episch aufmachenden Refrain. Also sehr nahe der Stelle, an der Thrice mit dem Feuerwerk Major/Minor aufgehört haben.
Eine Gangart, die To Be Everywhere Is To Be Nowhere über enorm kurzweilige 42 Minuten ebenso konsequent und kompakt weiter verfolgt, wie es auch der so straight mit punkiger Knackigkeit und simplen Strukturen liebäugelnde Vorbote Blood on the Sand andeutete, zumal der Gesamtfluss dabei nur in Nuancen neben diese eingeschlagene Strömung kippt: Das hochinfektiöse The Window manövriert sich in ein klasse Finale, dass man sich in seiner metallischen Dichte wohl bei den Kollegen von O’Brother abgeschaut hat, die wunderschön gefinkelte Gitarrenmelodie des glasklaren The Long Defeat manövriert die Band näher hin zu U2 und findet seine Auflösung im perlenden Interlude und indirekten Titelspender Seneca, während das wüste Death from Above als aggressivste Nummer in ein erhabenes Wechselspiel zwischen hart und zart presst, und das mit elektronischen Beats liebäugelnde Salt and Shadow als mediativer Ausklang ätherische Erinnerungen an die Wasser-Tage des Alchemy Index weckt.
Dennoch: Tatsächlich ausbüchsende Überraschungen spart sich die Band selbst in diesen Momenten. Stattdessen fahren Thrice auf To Be Everywhere Is To Be Nowhere rund um das schiebend groovende Wake Up, das explodierende Black Honey oder den Brecher Whistleblower eine mit unmittelbar zündender Eingängigkeit auftrumpfende Armada aus Hits mit Stadion-Potential auf, die selbst ein eigentlich so gallig und penetrant das Arena-Feuerzeug provzierendes Pathos-Stück wie das überschäumend mit großer Geste hantierende Stay With Me im Kontext verdaut. Man ist nun mitten drinnen im spätestens auf Major/Minor greifbar scheinenden massentauglichen Alternative Rock – und damit auch im bisher zugänglichsten und gleichzeitig am wenigsten fordernden, geradlinigsten Album der Kalifornier. In diesem ambivalenten Stimmungsbild aus sich unmittelbar erschließendem Unterhaltungswert und bisweilen generisch anmutendem Fanpleaser-Charakter erinnert das allzu schnell durchschaubare To Be Everywhere Is To Be Nowhere entlang einer durchaus beachtlichen, ähnlich offensichtlich forcierten Hitdichte im Guten wie im Schlechten immanent an das Hot Water Music’s Comeback Exister oder die Zielstrebigkeit der jüngsten Manchester Orchestra-Arbeit.
Was dabei fehlt, ist jedoch die letzte Konsequenz an der Schwelle zur unbedingten Euphorie, die befreienden Ausbrüche im Songwriting, die emotional packenden Zuspitzungen. Man vermisst einfach den letzten Druck Richtung Überwältigung und Leidenschaft – als hätte es sich im Sound niedergeschlagen, dass die Songs weniger in gemeinsamen Jam-Einlagen, als über die Distanzen einer nunmehr weit verstreut lebenden Band geplant wurden, die sich zukünftig auch nicht mehr mit einer derart verschlingenden Absolutismus in ihre Karriere stürzen, sondern ein gesundes Zeitmanagment für Familie und andere Beschäftigungsfelder lassen will.
To Be Everywhere Is To Be Nowhere klingt deswegen zu oft danach, als hätten Thrice während ihrer Pause nicht nur frische Energie getankt, sondern auch ein gar zu wohlwollendes Maß an kalkulierender Abgeklärtheit, das den Wiedereinstieg nach Major/Minor demonstrativ einfach gestalten will, am Scheitelpunkt der Erwartungshaltung insofern aber eine gefährlich zwiespältige Gratwanderung zwischen routiniert-solider Zuverlässigkeit der eigene Klasse und leicht vorhersehbarer 0815-Stangenware mit gar zu verdaulicher Aufbereitung hinterlässt. Nicht nur in Relation zu bandeigenen Meisterwerken wie Beggars glänzt To Be Everywhere Is To Be Nowhere so vordergründig nur an der Oberfläche, zieht seine packenden Hits jedoch nicht derart mitreißend in die Tiefe, sondern bleibt im paradoxerweise dennoch absolut ausfallfreien Songwriting jedoch ein wenig zu glatt und am eigenen Schaffen gemessen dezent belanglos . Da hilft auch die auch auf Textebene konkreter zelebrierte Bandbreite von persönlichen Innenansichten bis hin zu implizit politischen Anprangerungen wenig.
Wenn das atmosphärische Salt and Shadow also zückgenommen plätschernd entlässt, tut es dies deswegen nicht ohne leicht enttäuschenden Nachgeschmack und lässt ein wenig ratlos zurück: War es das etwa schon? Wo ist der Mut zum Risiko auf dem bisher zugänglichsten Album der Band? Wo die Ecken und Kanten bei all diesen so catchy daherkommenden Ohrwürmern? Warum sitzt nun immer Netz und doppelter Boden unter dem unabsprechbar beachtlichen Händchen für Killerhooks, und warum der stete Nummer-Sicher-Zug zur Bekömmlichkeit, wo eine überwältigende Schwerkraft durchaus willkommen wäre? Thrice werden doch wohl nicht zurückgekehrt sein, nur um sich damit zu begnügen, zufriedene Erbverwalter ihrer selbst zu werden?
Vor allem auf die letzte Frage wird wohl erst der Nachfolger zu To Be Everywhere Is To Be Nowhere (einer nichtsdestotrotz starken Platte, die eventuell als Schwung nehmender Standort-Reboot in die makellos bleibende Discografie dieser Band eingehen wird) noch eine hoffentlich erfüllende Antwort geben. Einstweilen bleibt bei aller nach oben bleibenden Luft festzuhalten: Schön, dass sie wieder da sind.
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2 Trackbacks
- Thrice - Palms - HeavyPop.at - […] dass man sich von Thrice eigentlich bereits vor zwei Jahren anstelle des symptomatisch betitelten To Be Everywhere is To…
- Thrice - Horizons/East - HeavyPop.at - […] der generischen Enttäuschung To Be Everywhere Is to Be Nowhere und dem überzeugenderen Palms hat es die 2019er-EP Deeper…
Bernie - 2. Juni 2016
Uff…schreibt der Autor immer so? Die Hälfte der Adjektive tun es auch…sehr anstrengend zum Lesen. Wozu die Ausschmückungen, um die Sätze ellenlang zu machen? Inhaltlich aber gutes Review.