Thou, Yautja [28.07.2019: Rockhouse, Salzburg]

von am 30. Juli 2019 in Featured, Reviews

Thou, Yautja [28.07.2019: Rockhouse, Salzburg]

Thou bleiben, flankiert von den fabelhaften Kumpels Yautja, also auch nach dem (im großen wie kleinen) Triumphjahr 2018 eine Nischensensation, die (zumindest in hiesigen Breitengraden) live nicht die Masse an Besuchern anzieht, die sich die aktuell als Sextett operierende Ausnahmeband verdient hätte.

Dass das Set der Amerikaner um kurz nach Viertel Elf und damit nicht einmal einer Stunde Spielzeit bereits beendet ist, ist zugegebenermaßen schon enttäuschend. Gerade wenn man die spielzeittechnisch meist überbordenden Tonträger der Band als Gradmesser nimmt. Aber es hilft nichts: Der sukzessive und demonstrativ seine Koffer strikt zusammenpackende Andy Gibbs lässt sich von Bassist Mitch Wells und Gitarrist Matthew Tudium, die offenbar durchaus für eine Zugabe zu haben gewesen wären, nicht umstimmen, und Bryan Funck hat sich ohnedies bereits hinter den Merchstand verzogen (- der übrigens leider nur noch Shirts in Übergrößen parat hat).
Aber was soll’s, in diesem Fall geht Qualität klar über Quantität. Wenn eine Band trotz dieser überschaubaren Spielzeit (die an sich ja ohnedies die volle Dröhnung bietet, sich nur so viel kürzer anfühlt, als sie tatsächlich ist) eine knapp vierstündige Anreise Wert ist, dann natürlich Thou.

Immerhin liefern die seit jeher absolut unfehlbar ab, haben nicht zuletzt über Heathen (2014) und den Release-Tsunami im vergangene Jahr mit Magus, seinen Trabanten The House Primordial, Inconsolable, Rhea Sylvia sowie die beiden Splits I Have Become Your Pupil und Let Our Names Be Forgotten einen neuen Schaffenszenit deklariert: Die NOLA-Band ist schlicht seit gut eineinhalb Jahrzehnten der konstanteste und beste Nagel, der in das mächtige Kreuz aus Doom, Sludge und Metal getrieben wird. Und wer dann trotzdem noch das letzte bisschen Hype vor dem Abend benötigt, konnte sich ja mit der aktuellen Audiotree Session oder dem Roadburn-Mitschnitt Everyday, Things Get Worse in den richtigen Modus katapultieren.
Soviel ist aber eben bereits vor dem Gastspiel in Salzburg bekannt – eine der viel zu raren Gelegenheiten, Thou auf europäischem Boden sehen zu können -was man sich dann eben um keinen Preis entgehen lassen durfte.
Also ab ins Rockhouse. Eine Location, von der Frontierer-Brüllwürfel Chad Kapper erst wenige Tage zuvor geschwärmt hatte, nicht zu Unrecht. Der Club ist sehr stilvoll, allem Anschein nach permanent gut bebucht und hat auch nette Typen angestellt. (Dass dann aber im Lokal keinen Earplugs zu haben sind, ist schon scheiße – zumindest sollte man die Verfügbarkeit nicht auf der Eintrittskarte propagieren. Dass der Sound allerdings wirklich hervorragend ausgefallen ist, differenziert und tonnenschwer, man später selbst drei Gitarren im Spektrum problemlos voneinander unterscheiden kann, und auch direkt vor den Boxen keine übertriebene Lautheit herrscht, ist dann doch ein ausgleichender Trost). Das Gros potentiellen Besucher scheint sich trotz dieser Vorraussetzungen jedoch entweder vom beschissenen Wetter abgehalten haben zu lassen – oder sich für die Festspiele entschieden zu haben.

Seit zwei Tagen haben jedenfalls Yautja Moloch als Support von Thou auf deren Europa-Tour abgelöst. Was auch bedeutet, dass Drummer Tyler Coburn also zwei Shows pro Abend spielen darf. Dass er für seine Stammformation mehr Speed und Tempiwechsel braucht, ist klar. Dass er nach dem Set von Yautja aber überhaupt noch Saft hat, grenzt an ein kleines Wunder. Mehr noch: Später wird ihm übrigens bereits im zweiten Song von Thou der erste Stick aufgrund seines konstant unbarmherzigen Spiels brechen, diese Bestie werkelt exzessiv.
Was das Trio aus Nashville da jedoch ganz allgemein eine knappe halbe Stunde lang für ein Inferno aus bollernden Blastbeats, schleppend-tektonischen Verschiebungen und infernalem, auf alle drei Köpfe aufgeteiltes Gebrüll abliefert, ist nichts anderes als ein großartiges Schlachthaus aus Zutaten des Crust, Punk, Hardcore, Death und Sludge. Yautja sind knüppelhart, ticken immer wieder mit aggressiven Temposprints irre rasant aus, kotzen sich die Stimmbänder wund und stellen sich im Grunde auf bestmögliche Art bei ihrem ersten Österreich-Gastspiel vor. Kein Wunder, dass offenbar einige Jungs extra für die nominelle Vorband aus Wien angereist sind.
Das abseits dieser Enthusiasten geschätzt keine 50 Leute den Rabatz erleben ist eine absolute Schande. Selbst während Yautja mit einer knappen Viertelstunde Verspätung beginnen (das Weed-Ansuchen am Merchtable hat dem dem bandübergreifenden Jubel aus dem Backstagebereich offenbar Früchte getragen) finden sich im Rockhouse nicht mehr als eine kleine Handvoll Metalheads vor der Bühne ein, dazu zwei, drei Typen an der Bar. Zumindest denen heizen Yautja trotz (der den ganzen Abend über bestenfalls okayen Stimmung im Zuschauerraum) aber mit einer unbändigen, nahezu ohne Unterbrechungen oder Pausen auskommenden Intensität über ein knallhart stringenteste Set ein.

Einen gänzlich konträren Zugang zu dieser Zielstrebigkeit wählend Thou. Die ersten Songs der Show kommen wie fix geplant, dann aber pausiert die Band zwischen den Nummern immer wieder. Die Musiker tratschen miteinander, Bryan jongliert mit der Kapsel einer Wasserflasche, Gibbs spielt ein paar kurze Improvisationen an der Gitarre an und irgendwie pickt das Kollektiv dazwischen mehr oder minder basisdemokratisch Vertreter aus dem Songpool dieser Tour, stellt die weitere Folge das Programm des Konzerts praktisch spontan auf der Bühne zusammen. „Weird set!“ urteilt Drummer Tyler irgendwann lachend. Vielleicht meint er damit den alleinigen Fokus auf neue Songs und das weitestgehende Fehlen jedweder „Evergreens“, vielleicht den nicht nachvollziehbaren Spannungsbogen. Wer weiß. Weil Thou sich ohnedies nicht wirklich mit Publikumsinteraktionen oder erklärenden Zwischenansagen aufhalten, sowieso eine irritierend teilnahmslos wirken könnende Laissez faire-Haltung zwischen den Songs einnehmen, keine aufgesetzten Höflichkeitsfloskeln pflegen und eben wie ein wahlweise ziemlich kauziger oder authentischer Haufen anmutet. Mutmaßlich ist die Band aber einfach wirklich schon ausgelaugt von der laufenden Tour. Nicht nur Gibbs gibt zu, dass ihm die auf dem Programm stehenden Songs eigentlich schon zum Hals raushängen, die Reisen ihn schlauchen und er schlicht Heimweh hat.
Insofern scheinen sich Thou ihre Kräfte einzuteilen und auf soziale Interaktionen verzichtend ihre Energien für die Performance aufzusparen – die hinsichtlich Hingabe und Leidenschaft dann auch keine Wünsche offen lässt. (Womöglich ist es aber ja auch nur einmal mehr irritierend, dass eine Band, die derart existentialistisch, massiv und auslaugend musiziert, außerhalb ihrer Songs nicht diese erwartete permanente Ernsthaftigkeit und Anspannung an den Tag legt, sondern einfach extrem locker und humorvoll-entspannt an die Dinge herangeht).

 

Was fällt sonst noch auf? Etwa, dass die an den Saiteninstrumenten beschäftigten Musiker mit den wohl sparsamsten Effektpedalen des Metal auskommen und kein Soundcheck zwischen Yautja und Thou nötig ist. Oder dass Bryan Funck sich neue Turnschuhe zugelegt hat und deswegen gefahrlos immer wieder beträchtliche Batzen Speichel auf den Boden rotzen kann, während sein patentiert stechender Psychoblick performancetechnisch durch seine fast schon primatenhafte Gestik mit hängenden Schultern komplettiert wird. Der Typ wirkt wie ein asketischer, (beinahe) haarloser Irrer aus der Planet der Affen-Armee, der sich, wenn er sich nicht zu den selbstkasteienden Katharsis-Songs ausspeien kann, auf der Bühne eigentlich langweilt.

Und dann ist da natürlich der Fakt, dass Thou nicht nur mit der eventuelle stärksten Besetzung ihrer Karriere aufwarten, sondern wohl ganz allgemein nie so zugänglich waren wie aktuell. Fallow State und eine ausführlichere Interpretation der Heavy-Version von The Hammer (was für ein verdammter Hit!) stellen vor allem K.C. Staford als längst im innersten Zirkel angekommene Geheimwaffe der Band in die Auslage, bevor Deepest Sun am anderen Ende live noch mehr wie ein dreckiger Klassiker aus der Schmiede von Alice In Chains klingt. Dazwischen verleihen Thou ihren Songs mittlerweile phasenweise die majestätische Eleganz von Pallbearer und ziehen sie dann wieder noch hässlicher in die Gift-und-Galle-Hölle, erbrechen die Riffs so unendlich garstig. Sprich, sie verstärken live die bereits gegebenen Extreme noch ekstatischer, fügen hinter einer bedingungslosen No Bullshit-Attitüde zusätzliche Facetten hinzu, wiegen all die magenaushebelnde Heavyness mit einem gewachsenen Gefühl für Melodien auf – und sind wahlweise unter dem Strich sogar eine noch bessere Live- als Studioband, weil ihre Kompositionen um das zusätzliche Quäntchen pointierter und präziser zünden.

Wie verdammt kurzweilig die Anti-Show der Band letztendlich fesselt, ist deswegen auch das Zeitgefühl manipulierende Klasse – und irgendwie ist alleine diese ungekannte relative Kompaktheit eine Seite der Band, weswegen der ausufernde Tonträger-Output dem grundlegenden Wesen der New Orleans-Gang wohl nur teilweise gerecht wird.
Thou hätten insofern sich noch locker zwei weitere Stunden anhängen können, und es wäre ebenso keine Sekunde Langeweile oder Leerlauf aufgekommen, wie es dennoch niemals genug hätte sein können. Weswegen diese Pflichtveranstaltung auch trotz der zu kurzen Spieldauer sowie dem uneuphorischen Ambiente als gegengepolter Publikumsmagnet über den immensen Erwartungen abliefert. Wer das verpasst hat, ist selber schuld.

Setlist: [ohne Gewähr]

Fallow State
The Hammer
In the Kingdom of Meaning
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Greater Invocation of Disgust
Deepest Sun
Into the Marshland

 

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