Thou – Umbilical
Ein Mehr an Hardcore- und Punk-Attitüde samt kompakterem Songwriting als Nabelschau für NOLA. Oder: Thou bleiben mit Umbilical auf eine andere Art als bisher die beste Sludge-Band der Welt.
Dass sich der MO der Gruppe für ihr sechstes Studioalbum ändern würde, kommt keineswegs von ungefähr. Vieles hat in den vergangenen sechs Jahren darauf hingedeutet.
Das begann damit, dass Thou sich schon während ihrer 2019er-Tour hinsichtlich einer Übersättigung an den damals aktuellen Song-Monolithen äußerten, derweil alleine die immense Power von Neo-Drummer Tyler Coburn dem Material live eine immer rotzigere Gangart beibrachte – und endete keineswegs mit einer überarbeiteten Version von Smoke Pigs, die den veränderten Zielen des 2018 gewachsenen Line Ups Feuer unterm Hintern machte: der Ethos von Hightower kann durchaus als dreckiger Brutkasten von Umbilical verstanden werden.
Und während Thou als Kollektiv ihre stilistisch breitgefächerten Ambitionen zuletzt über zahlreiche Kooperation auslebten – mit Ragana, The Body, Emma Ruth Rundle oder Mizmor (oder beiden) nebst dem Norco-Score – schärfte auch die Realisation zahlreicher Projekte der einzelnen Mitglieder in der jüngeren Vergangenheit den Fokus des Mutterschiffs – egal ob Coburn mit seiner Stammcrew Yautja ballerte, Andy Gibbs sich mit Supplicate zuletzt selbst übertraf, KC Stafford als Karenia Brevis den Mut für eine eigene Spielwiese fand, Matthew Thudium und Mitch Wells mit Big Garden den Alternative Rock in dem Weltall schossen, oder Comic-Experte Bryan Funck sich bei der einen oder anderen Gelegenheit als Gast-Keifer verdingte.
Und dann gipfelten all diese Teaser und Umstände, die Thou bei Ausblicken auf neues Materials von einer Hinwendung zu ihren Punk-Wurzeln orakeln und gleich entsprechende Rohfassungen auf die Bühne kotzen ließ, eben so passgenau in der Vorabsingle I Feel Nothing When You Cry. Einem drakonischen Ohrwurm-Strom von unerbittlicher Wucht, der überrumpelnd poltert, strukturell ein bisschen zu repetitiv angelegt ist, seine sich spirituell vor Body der Smashing Pumpkins verneigende Wucht aber auch dadurch in einer von Thou bisher unbekannten Schmissigkeit beben lässt.
Durchaus repräsentativ, wie sich nun im Kontext zeigt: Vor allem Emotional Terrorist ist als monströse Urgewalt und triumphale Machtdemonstration ist eigentlich kaum weniger catchy und direkt, attackiert mit keifendem Mitgröhl-Attacken in der rollenden Wucht, bevor das letzte Drittel wie ein tonnenschwerer Caterpillar seinen Hass voranschiebt. Die Hooks geben sich im gesamten Verlauf der Platte die Klinke in die Hand. Im garstigen Habitus von The Promise steckt ebenfalls eine Art Hit, bei dem Funck so melodisch keift, wie es ihm wohl bei allem Nihilismus überhaupt möglich ist, bevor ein Tribal-Part mit der Kakophonie flirtet und Unbidden Guest sich in seiner Hardcore-Mentalität samt Percussion-Mahlstrom zwar weniger frontal zeigt, aber auf eine eng stehende Weise griffig ist, wie man das der Band kaum zugetraut hätte: die popularitätsstiftenden Cover-Compilations A Primer of Holy Words und Blessings of the Highest Order haben, was die Physis und Attitüde von Umbilical angeht, ihre Spuren hinterlassen.
Auch wenn das Album im Ganzen seine Agenda nicht immer derart frontal anlegt, funktioniert gerade das Statement I Feel Nothing When You Cry insofern nicht nur als ein idealer Hype-Katalysator, sonden auch durchaus sinnbildlich für den vergleichsweise schnörkellosen und konzentrierten Zug einer Platte, die ihre Riffs und Rhythmen im massiven Sound in destillierter Bestialität kleidet und demonstrativ die Spieldauer der Kompositionen eingrenzt: Die Bösartigkeit macht Bock und findet kompakt zum Punkt.
Allerdings ist Umbilical vor diesem Hintergrund und dieser Auslage eben auch vielschichtiger und dennoch durchaus langsamer ausgefallen, als erwartet. Das Album zelebriert an der Basis der Thou’schen Existenz über immer noch weitläufige Strukturen (wie im famosen, rockig bretternden Panic Stricken, I Flee) oder dem superben Oldschool-Brocken Siege Perilous (der nur in seiner Funktion als Closer nicht bedingungslos begeistert) mehr als alles andere den puren, intensiven Sludge, wirft die grungige Schattierungen der Band in ästhetischer Sicht dem Moloch Heaviness zum Fraß vor, verweigert alle Alice In Chains-nismen und assimiliert auch die sparsam eingesetzten Gastbeiträge (von Emily McWilliams, N, Michael Berdan und Derek Zimmer oder Joey Gates der lokalen Helden und einstigen Split-Buddies The Faeries) nahezu unkenntlich, dosiert die Dynamik des großen Ganzen jedoch trotzdem geschickt.
I Return as Chained and Bound to You schließt erst durch sein atmosphärisches Durchatmen in der sinistren Bridge zu mehr als einem tollen Standard und dem Rest der Platte auf Augenhöhe auf (obwohl man dem unter den Tisch gekehrten Material aus den Sessions noch nachtrauern sollte) und Lonely Vigil stampft als zähflüssiger Moloch einfach herrlich bösartig im Doom und versteckt ein Solo im Hintergrund der Hässlichkeit (die dicht komprimierte Massivität der Produktion zermalmt viele Details der Musik – gerade von drei Gitarren – oft, hier jedoch nicht) und House of Ideas peitscht sich als einer der besten Songs der Bandgeschichte ein, walzt als tektonische Lawine angefeuert einem epochalem Finale zu und beschließt die erste Seite der Vinyl-Platte triumphal, obgleich im Fade Out – was den Bogen zum Opener Narcissist’s Prayer (der mit der Dissonanz und einem vernichtenden Klimax „At last, it’s time to die, so die!“ rumorend walzt und dann ebenfalls irritierend abblendet) spannt, aber grundlegend ein semi-optimales Ausstiegsszenario wählt.
Noch mehr Verwunderung erzeugt eigentlich nur die nicht nachvollziehbare Entscheidung der Band, die Vinyl-Version exzentrisch aufzuteilen: die ersten vier Songs auf der A-Seite der 12“, die beiden mittig in der Tracklist platzierten Singles sind dann seperat auf einer beigepackten 7“ untergebracht, bevor die B-Seite der regulären Platte aufgelegt werden kann.
Selbst wenn man Umbilical nicht auf diese Weise, sondern auf stringent verpacktem digitalen Weg oder via CD konsumiert, will sich auf den Erstkontakt zugegeben kein so auslaugendes Gefühl wie bei den erschlagenden Mammutwerken von 2014 und 2018 einstellen.
Doch wo ein überwältigender Eindruck anfangs ausbleiben kann, steht dafür zwangsläufig ein unmittelbarerer: Thou lassen sich 2024 wohl leichter auflegen denn je, opfern diesen Umstand jedoch nicht einer geringerer Halbwertszeit. Im Gegenteil: Umbilical fesselt und macht süchtig, zeigt Thou in einem sportlichen, asketischen Zustand – und im Spagat zwischen alten Tugenden sowie einer während der Pandemie-Zeit von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommenen Prägnanz mit geradezu unerschöpflicher Ausdauer von einer neuen Seite, die gefühlt präziser zum existenziellen, rohen Kern der Band vordringt, als das Gros ihrer bisherigen Diskografie. Die Frage, ob man es deswegen hierbei schon wieder mit dem bisher besten Album der New Orleans-Abrissbirne zu tun hat, muss durch diesen individuellen Charakter dann auch gar nicht geklärt werden.
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