Thou – The House Primordial
Es wird die nächsten 5 Monate rund gehen im Hause Thou: The House Primordial ist „The first in a series of EPs leading up to the Magus full length.‘“ (Einen Ausblick auf kommende Releases finden sich übrigens bereits an dieser Stelle). Einstweilen sind die versammelten 38 Minutenschon einmal eine grandios die Erwartungshaltungen austricksende Kurskorrektur der Doom-Macht aus New Orleans.
Alleine der Blick auf die Trackliste konnte (auch angesichts der bereits live gespielten Songs der Nachfolgeplatte zum 2014er Meisterwerk Heathen) bei dieser für Bandverhältnisse erstaunlich kompakten Spieldauer stutzig machen. Wirklich vorbereitet auf den Überraschungseffekt, den der praktisch aus dem Nichts kommende Hinterhalt in der Schnittstelle aus Form und Inhalt aber nun tatsächlich nützt, müsste man deswegen noch lange nicht.
Immerhin wagen Thou den Coup und setzen eine ordentliche Distanz zu ihrem bisher praktizierten Trademarksound: The House Primordial ist ein durchgängiger Morast geworden, ein nahtloses Wechselspiel aus gefühlten Interludes und handfesten Movements als großes Ganzes, das unbedingt am Stück gehört werden will. Dafür reihen Thou ungemütlich brodelnde Ambientpassagen aus feedbackschwangerem Noise und garstig brütendem Drone an wie Pestbeulen hassschwer aus dem Gebräu aufbrechende Doomsongs, die sich inszenatorisch deutlich markanter am rohen und ungeschliffen Produktionsklang des Black Metal oder den fiesesten Ecken des Noisecore orientieren. Die Sludge-Massivität wird dafür ausgedünnt, Thou schneiden ihren Riffs alles Fleisch von den Knochen, tauchen die ausgemergelten Songs in ein Säurebad aus bestialischer Distortion und schrauben den Zeitlupenfaktor noch einmal nach oben.
Im strukturellen Nacheinander entwickelt sich die EP so zu einem nahtlos ineinander überfließenden Mahlstrom in permanenter Mutation. Wisdom in the Open Air eröffnet als radiatorenrauschender Moloch im Windschatten von Pharmakon oder Merzbow, bevor Premonition bedächtig und langsam den schleichenden Blues aus dem Limbo geduldig foltert, verstörend zurückgenommen den Ausbruch verweigert und die Ansätze von Ride for Revenge in noch bösartiger weiterdenkt. Alleine schon deswegen, weil Bryan Funck auf The House Primordial eine der malträtierendsten Performances seiner Karriere abliefert, sich die verzerrten Stimmbänder wie ein unter Höllenqualen leidender Dämon zerreißt, mit beängstigend geifender Intensität Blut spuckt.
Wenn The Sword Without a Hilt ansatzlos als ätherische Gitarrennachdenklichkeit dahinter so verloren perlend und beinahe versöhnlich übernimmt, ist dies dennoch kein Bruch, sondern eine absolut organische Wandlung der Umstände. Um den massiv schleifenden, sich selbst beißend-zerfleischenden Noise von Diaphonous Shift scheint dagegen eine tollwütige Abrissbirne zu schwingen: Die Struktur des Songs fällt krachend in sich zusammen, während Thou wie im Rausch keifend weiterarbeiten: The House Primordial ist ein einziger Sog in dynamischer Balance. Auf die durch leere Fabrikshallen streifende Klanginsatallion Corruption and Mortal Trauma folgt also das schwerfällige Psychic Dominance – dreckig und räudig ist der Crust mit schlagzeuglastiger und bassdomonierter Akzentuierung in Greifweite. Bryan schreit sich wie ein Besessener die Seele aus dem Leib, kreischend und brutal, fauchend. Eine archaische und rostige Variation des Doom im Hardcore-Windschatten von Torturen wie Hash Wednesday oder – deutlich weniger entschleunigter, aber ästhetisch naheliegend – Last Light.
Prideful Dementia and Impulsive Mayhem wirkt in seinem stillen Horror gleichzeitig weit entfernt und klaustrophobisch nahe, wie ein unter Drone begrabene Ahnung vom Black Metal ohne Drums. Occulting Light ersäuft dagegen fast im Feedback und schleppt sich so unfassbar schonungslos zur Selbstkasteiung. Nur Birthright durchbricht den strickten MO der Drum- und Vocalbefreiten Vertreter des dualistisch e The House Primordial und addiert die Ahnung einer martialischen Percussion sowie sphärische Chöre im Suspence. Ein Horizont, der freilich keinen Wohlklang zulässt: Der Fuzz von Malignant Horror schneidet gnadenlos, der Rhythmus walzt The House Primordial bedächtig blutend aus.
Dass die Kooperationen mit The Body dabei ihre Spuren im Wesen dieses Wechselbalgs und Leviathans hinterlassen haben stimmt sicherlich, doch liegt der Einflussbereich des hauseigenen Nebenprojektes Crimewave eigentlich noch viel näher. Auch die immer schon vorhandenen Instrumental-Nachdenklichkeiten von Thou bekommen nunmehr einen gänzlich neuen Stellenwert, wachsen von der Atempause zum tragenden Element im neuen Sound einer Band, die definitiv neue Perspektiven forciert und damit auch das dezitierte Wagnis eingeht zu polarisieren – explizit an der Basis übrigens.
Trotz einer nicht geringen Bandbreite an der drauf einsetzenden negativer Resonanz in Fankreisen ist The House Primordial in seiner Konsequenz aber eventuell der einzig richtige Schritt für Thou. Was hätte nach der formvollendeten Trademark-(Beinahe)-Perfektion Heaven auch noch kommen sollen? Dass The House Primordial auf sich alleine gestellt in dessen Fußstapfen gerade wegen dieser Kurskorrektur dennoch nicht restlos befriedigend wirken kann, ist ein irritierendes Symptom der Platte – vielleicht aber alleine eine Folge der aufgefahrenen Masse, die weniger wie der Real Deal wirkt, als eher den Eindruck eines brillanten Appetizers hinterlässt.
Dennoch werfen die Reaktionen auf The House Primordial in weiterer Folge auch die Frage auf, ob neues Material einer Lieblingsband alleine insofern schon als Enttäuschung gewertet werden darf, weil die nominellen Grenzen zwischen EP und Album trotz theoretisch festgelegter Definitionen praktisch verschwimmen. Über Antworten darauf können Thou selbst einstweilen nur sarkastisch lachen und servieren einen stringenten Ausblick: Als Heathen-Nachfolger scheitert dieses Kurzprogramm vielleicht in gewisser (undankbarer) Hinsicht, schafft aber dennoch den paradoxen Spagat. Für sich selbst stehend funktioniert The House Primordial unfassbar gut, nichstdestoweniger jedoch ebenfalls als Zäsur im Kontext zum bisherigen Schaffen der Band. Indem Thou sich ein Stück weit neu erfinden, aber den Charakter ihrer bisherigen Discografie dennoch ohne Bruch fortsetzen und damit vonseiten Zukunft der feistesten Band des Doom noch sehnlicher herbeisehnen lassen. Weil man auf dem Weg zu Magus eben nicht die Dosis an bisher eigentlich ein ums andere Mal makellos servierten, so unmittelbar zufriedenstellenden Stoff aus dem ureigenen Hohheitsgebiet der NOLa-Macht bekommen könnte, sondern neue Herausforderungen. Chapeau!
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