Thou – Rhea Sylvia
Auch auf der letzten der drei Ceremonies of Consolidation-EPs erfindet sich die Urgewalt aus New Orleans bis zu einem gewissen Grad neu: Rhea Sylvia ist tatsächlich die angekündigte Verneigung vor Alice In Chains geworden – wenn auch wesentlich subtiler, als erwartet.
Nur zweimal werfen sich Thou schließlich mit einer ebenso unbedingten Konsequenz in den Grunge-Modus, wie Inconsolable erst vor knapp einem Monat mit Haut und Haaren die stilistische Transformation in den Folk vollzogenen hatte – ganz so, wie es spätestens No Excuses bereits angedeutet hatte.
In The Only Law und Deepest Sun praktizieren Thou einen dualistischen Doppelgesang aus dem typisch harschen Funck-Gekeife und dominanten Leadvocals, unbeugsam klar und bedrückend leidend, irgendwo zwischen den rauesten Momenten von Kurt Cobain, den Duetten von Layne Staley und Jerry Cantrell, sowie einer abgründig-morbiden Anziehungskraft eines Pete Steele. Ein bipolar-psychotisches Duett aus unterkühlt flehend und unmenschlich würgend, dass das Stadion durch einen höllischen Morast schleift.
Sobald der Opener The Only Law aus dem ungemütlichen Feedback wächst und garstige Drone-Schichten den Teppich bilden lässt, erzeugt der anziehende Gesang eine weniger beklemmende, als vielmehr erhebende Stimmung, ist depressiv, nihilistisch, trostlos, schwelgend. Zudem ist da unter der enormen Heavyness der instrumentalen Fraktion eine verführerische Tragkraft, ein Bedürfnis nach griffigeren Rock und einer höheren Tolerenzgrenze für Hooks.
Schließlich haben Thou für Rhea Sylvia ganz generell vor allem in der Gitarrenarbeit das Gespür für dystopische Harmonien von Alice In Chains adaptiert, spielen ihren Doom immer noch als eitrigen Kotzbrocken, klar, aber dennoch zugänglicher, offener. Die Kompositionen drücken weniger destruktiv, als dass die Melodien mehr Raum bekommen und langsam verglühen dürfen, während die hinuntergestimmt klirrenden Saiten nachdenklich und zermalmend leiden, aber noch vor der massiven Wucht zu großen Gesten fähig wären.
Das überragende Deepest Sin übernimmt insofern ätherisch, pendelt im Midtempo. Der vibrierende Gesang ist leidenschaftlich, majestätisch, beschwörend. Funck keift hier und da unterstützend aus der zweiten Reihe, übernimmt irgendwann sogar den Hauptpart und greift die verfolgte Melodie mit Stacheldraht in den Lungen auf. Die Gitarre hebt zum Solo ab und bringt Thou näher ran an einen, nun ja, konventionelleren, vollkommen aus der Zeit gefallenen Alternative-Kracher, als es das Quintett je zuvor war.
Im direkten Vergleich zu The House Primordial und Inconsolable mutiert Rhea Sylvia – im Grunde Solomaterial von Gitarrist Matthew Thudium, das letztendlich doch im Bandkontext interpretiert wurde – den grindigen Doom der Band aus Baton Rouge gerade in Summe allerdings dennoch regelrecht subversiv, assimiliert den Grunge vor allem zwischen den Zeilen und weitestgehend ohne offensichtliche Frontalitäten. Es tut dies damit aber auch umso natürlicher, symbiotischer – und kaum weniger effektiv. Weswegen Thou diesmal über 31 Minuten abermals ebenso aufregend anders und dennoch vor allem nach sich selbst klingen.
Das auslaugende Unfortunate Times werkelt einladend unter schweren Riffschichten, pocht los, verdichtet sich wie vollends entschleunigter Black Metal und hat eine hoffnungslose Eleganz zu bieten, die mit viel Geduld transzendiert. Non-Entity atmet dagegen noch deutlicher in regelrecht Deftones-artigen Ambientwelten durch, führt die für Rhea Sylvia veränderte Interaktion der Gitarren mit einer Bereitschaft zu Aussöhnung vor, ist verträumter, eine schleppende Sehnsucht.
Auch Restless River sucht den Dialog, franst hinter seinem regelrecht stimmungsmachenden Antrieb im Hintergrund jedoch irgendwann verspielt aus. Wer nachprüfen möchte, dass die Platte kein Schnellschuss war, sondern der aktuelle Veröffentlichungszyklus seit 2015 von Thou vorbereitet wurde, kann dies auch in der einzigen kompositionell schwächelnden Nummer der Platte nachhören. Wenn das Quintett hier nicht gänzlich die Entschlossenheit der restlichen Stücke erreicht, führt sie außerdem vor, dass die reine Konzentration auf Thou-Standards am Mikrofon für überwiegende Teile der Platte eine Limitierung im Ausarbeiten der Charakterverschiebung bedeutet. Weil der ansatzlose Schulterschluss zur Grunge-Ikone mit dem zweistimmigen Gesang auch dadurch derart gut gelingt, indem Thou nicht den Fehler einer imitierenden Reproduktion begehen, sondern an der Schnittstelle des eigenen Signature Sound und den Trademarks von Alice In Chains einen eigenständigen Hybriden gezüchtet haben.
Stichwort Einverleibung: Die abschließende, rundum starke Interpretation von Lasting Dose fügt sich ohne Bruchstelle absolut zwingend und schlüssig in den kohärenten Kontext der EP ein, wirkt wie ein Thou-Original, offenbart seine Ursprünge als Crowbar-Original zwar durch das vergleichsweise kompaktere Sludge-Riffing, hebt dabei aber auch zu jeder Sekunde den Charakter der Rhea Sylvia-Prägung hervor.
Entlang dieser abermaligen neuen Evolutionsfacette im Klangbild der Band ist es dann auch kein Wunder, dass man auch nach mittlerweile 3 EPs im dichten Veröffentlichungstrakt – und trotz mittlerweile auch schon über 90 neuer Minuten Musik im Jahr 2018! – keinerlei Übersättigung am Thou-Markt spürt. Im Gegenteil. Nach der herausfordernd neuen Vertrautheit des zwischen den Zeilen kultivierten Überbaues, lässt sich der Release von Magus mittlerweile kaum noch aushalten. Da trifft es sich freilich nur zu gut, dass in der Klammer mit der Zusammenarbeit des HIRS-Kollektives als Nachspeise unlängst bereits eine zusätzliche Split mit Ragana angekündigt wurde.
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4 Trackbacks
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sebastian - 14. August 2018
sehr feines review, sehr geile scheibe, danke – weiter so:)