Thou & Emma Ruth Rundle – May Our Chambers Be Full
Seit sie sich eine Umkleide beim Seattle Terrorfest im Juni 2018 teilten, gehen Thou und Emma Ruth Rundle mit der Idee einer Kollaboration schwanger, spätestens das furiose Roadburn 2019 war der nötige Katalysator, um in Schnappatmung zu versetzen. Es ist also nicht selbstverständlich, dass das lange auf sich warten lassende May Our Chambers Be Full nun alle Erwartungen an dieses Gipfeltreffen erfüllt.
Kreuzen sich die Wege zweier Parteien, die an dieser Stelle derart auf Wertungen knapp unterhalb der Höchstnote abonniert sind, ist es natürlich schwer, die Fanbrille abzunehmen und etwaige Haare in der Suppe zu lokalisieren. Doch May Our Chambers Be Full ist tatsächlich nicht perfekt: Mit nur 37 Minuten Spielzeit fühlt sich die Platte um zumindest einen Song zu kurz an – die knappe Länge wirkt barmherzig, wo eine erschlagendere Dauer aber ob der Kompaktheit und relativen Griffigkeit der Strukturen, die Emma Ruth Rundle den stets auf Augenhöhe agierenden Thou hier im Kontrast zu auslaugenden Alben wie Heathen oder Magus durchaus erfrischend beigebracht hat, eventuell erzwungen gewirkt hätte – und damit im krassen Gegensatz zu einer durch und durch instinktiven, symbiotischen Partnerschaft gestanden wäre.
Es hätte insofern wohl schon genügt, für einen geduldigeren, nahtloseren Übergang zwischen den Stücken zu sorgen, die hinter der grandios dichten Atmosphäre der Platte mitunter zu rasch abgeblendet anmuten, trotz der herrschenden, in sich geschlossenen Homogenität das Gesamterlebnis noch gewichtiger und nachhallender hätten verschweißen können.
Und ja, Into Being mag eine eine albtraumwandelnd-brillante Hook pflegen und über ein abgedrehte Solo als schiefer Alternative Metal aufblühen, ist gemessen am restlichen Material aber sonst über weite Strecken eher ein starker Standard für die beiden Parteien.
Abseits derartiger überschaubarer Mankos muß sich May Our Chambers Be Full allerdings höchstens den Vorwurf gefallen lassen, weitestgehend direkt an der Erwartungshaltung abzuliefern – was im Umkehrschluss aber eben auch ein Gesamtpaket nahe an jenem Optimum bedeutet, welches man sich von dieser Kooperation erträumen konnte.
Es ist alleine eine Freude, sich im Sound der Platte zu verlieren, der mit vier Gitarren den angestammten Sludge und Doom von Thou mit der Patina von Rundles sehnsüchtiger Signatur weiterdenkt, die Symbiose aus Melodien und Heaviness mit einer gerade für die Nola-Band unerwarteten Zugänglichkeit ausstattet und gewissermaßen ein Neuland entdecken lässt, dass sich gerade auch in der (weniger aus dem Rahmen fallend, als die Risikobereitschaft verschiebenden) KC Stafford-Nummer Monolith destilliert: Knackiger denn je verzieren hier Harmonien des Grunge die konterkarierend von Rundle gelüfteten Phasen, weiter draußen und selbstverständlicher vielleicht sogar, als auf den 2018er-Trabanten The House Primordial, Inconsolable und Rhea Sylvia.
Dann wieder klingt May Our Chamber Be Full noch öfter, als hätten die Hoheitsgebiete aller Beteiligten jene Momente der Deftones formvollendet, in denen Chino Moreno seine Band als Shoegaze-Macht versteht. Vor allem tut dies das in stellarer Schwere halluzinierende Finale von Killing Floor, nachdem sich der Opener der Platte erst bedächtig aus dem düsteren Drone erhoben hat, Rundle einer melancholischen Nachdenklichkeit folgt und Funck als garstiger Teufel in Hörweite begleitet, während Thou ihren Doom dahinter als elegische Landschaft ausbreiten, die cleanen Gitarrenparts eine erhebende Grandezza haben und der Refrain das Zeug zum Killer-Ohrwurm, bevor die Bridge in einer mantraartigen Öffnung badet. Auch das drückende Out of Existence, das ausgerechnet für den Chorus des Thou-Fauchprimaten punkiger auf das Pedal drückt, und dann mit tauschenden Rollen sinnierend in den Post Metal abtaucht, pflegt diese den Status Quo der Platte definierenden Prägung triumphal.
Der (quantitativ überschaubare) Rest ist in dieser Verortung defacto ein Schaulaufen in einer Schuld-und-Sühne-Komfortzone. In Ancestral Recall kotzt Funck kotzt nihilistisch im fiesen Groove über eine hymnisch ausgebreitete Verneigung vor A Perfect Circle im Allgemeinen und Sleeping Beauty im Speziellen, während die Bridge die Zuneigung aller Beteiligten für die Cranberries zentnerschwer übersetzt. Magickal Cost agiert dagegen behutsam und stimmungsvoll über einer abgründigen Wohligkeit, lässt am Ruhepuls beinahe durchatmen und hängt die Dynamik der Platte in die Auslage – bis das Gespann plötzlich in einen Tobsuchtsanfall kippt, in dem nicht nur der hier erstmals auf lange Sicht zum Einsatz kommende Drummer Tyler Coburn Muskeln zeigen kann: Rundle und Thou verbinden sich zu einem Mahlstrum und sich selbst zerfleischenden Organismus.
Über allem steht aber das Meisterstück The Valley, das epochale Finale der Platte. Abgekämpft schleppt sich Rundle hier zu pochenden Toms und archaischen Streichern durch eine vor Trauer trostlos gewordenen postapokalyptische Welt, weit hinter den Grenzen, die Conquistador oder On Dark Horse vermessen haben. Die Intensität ist erhebend und niederschmetternd, die bildgewaltige Imagination der Texte entwickelt einen beklemmenden Sog, der pure Wille hält am Leben: „I want to step into the armor of another, stronger. I want to look once through to eyes of someone good.“ Bis Rundle sich in die Arme von Thou fallen lässt, Funck so psychotisch keift wie nie zuvor, und May Our Chambers Be Full beinahe optimistisch über dem nihilistischen Horizont erblüht.
Der krönende Abschluss einer Reise, der weniger den Rest der Platte in den Schatten stellt, als diesen vielmehr zu einem erlösenden Klimax führt. Und es ist auch dieser herausragend belohnende Schlusspunkt, der eine absolut süchtig machende Kooperation zwischen den Punkten liegend letztendlich aufwertet (und obgleich sich das Album eben in Summe ohne Fanbrille auch gewissermaßen „nur“ nach einer bärenstarken 8 anfühlt, eine knappe 9 aber zu jeder Sekunde rechtfertigt, weil May Our Chambers Be Full einfach kaum etwas falsch macht, praktisch jeder Song für sich stehend eine Glanztat darstellt). Vor allem aber könnte sich dieses ohne Längen auf den Punkt findende Werk auch als Initialzündung für das künftige Schaffen von Thou auf der einen, und Emma Ruth Rundle auf der anderen Seite erweisen, indem es beiderlei Perspektiven auch ohne tatsächlichen Paradigmenwechsel erweitert, Konturen schärft, Gewichte präziser verlagert und die Tiefenwahrnehmung adaptiert. Allesamt Tugenden also, die als Synergie hier bereits nahe der Formvollendung zelebriert werden.
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