Thom Yorke – Tomorrow’s Modern Boxes

von am 30. September 2014 in Album

Thom Yorke – Tomorrow’s Modern Boxes

Mittlerweile ist das unberechenbarste an Thom Yorkes Alben die zumeist aus dem Hinterhalt erfolgende Veröffentlichungsweise. Auch ‚Tomorrow’s Modern Boxes‚ ist für den Radiohead-Frontmann vordergründig Business as usual auf der seit 2006 konsequent gefahrenen Schiene, verschiebt den typischen Laptop-Pop unter dem Elektro-Mikroskop dann aber doch um feine Facetten – weiter weg vom Pop.

Im Grunde erreichte die Spannungskurve rund um das, wie man nun weiß, zweite Soloalbum des 45 jährigen Engländers bereits ihren Höhepunkt, als noch Unklarheit darüber herrschte, ob – und vor allem: in welchem Projektkontext – man aufgrund mysteriöse Twitterbilder auf eine baldige Thom Yorke-Veröffentlichung hoffen darf. Schon wenige Tage später ist man schlauer, weil Yorke längst nicht mehr lange fackelt, wenn es darum geht die Vertriebswege zum Fan/Kunden zu verkürzen.
Während sich das 88 MB große, 4,73 Euro günstige Datenpacket also auf den Rechner lädt, kreisen die Gedanken. Etwa darüber, dass der digitale Verkauf via BitTorrent wohl ein weiteres Modell mit Zukunft sein wird (weil Mittelsmänner wie iTunes, „the self-elected gatekeepers”, schlichtweg übergangen werden und der vollständige Ertrag beim Künstler landet – vorausgesetzt man installiert einen entsprechenden Client). Oder dass die optional zu bestellende, 30 britische Pfunde teure (!) Vinylversion der Platte nicht nur Erinnerungen daran aufreißt, dass vermeintliche Exklusivveröffentlichungen aus dem Radiohead-Kosmos auf physischem Weg letztendlich doch immer auch über andere Vertriebswege und ohne hohe  Versandkosten zu haben waren. Oder dass Fans, die sich nicht mit MP3-Formaten begnügen wollen zwangsläufig zu eben diesem Deluxe-Vinyl-Bundle greifen müssen, um in den Genuss einer digitalen High-End-Aufnahme zu kommen. Dass der Kunde in diesem Vertriebssystem zudem notgedrungen weiterhin auf Paypal oder Kreditkartenfirmen angewiesen ist, ist dann sowieso wieder ein anderes Thema…
…nur wie ‚Tomorrow’s Modern Boxes‚ letztendlich eben klingen wird, darüber verschwendet man während des Downloads nur wenige spekulative Gedanken. Weil insgeheim ja ohnedies klar ist, dass Yorke stilistisch in die selbe Kerbe schlagen wird, die er sich von ‚The Eraser‚ bis hin zu ‚Amok‚ so unverkennbar eingerichtet hat. Tut er natürlich auch.

Über seine 39 Minuten Spielzeit ist der BitTorrent-Megaseller  die zu erwartende, weitestgehend überraschungsarme Solo-Exkursion geworden, die den Trademarksound Yorkes zwar vom Bandgerüst des Atoms for Peace-Ausflugs entschlackt, aber eben klassisch auf klackernde Beats, gespenstischen Synthies, gehauchte Vocals und feingliedrig-nebulöse Pianomelodien reduziert dem digitalen IDM/Electronica-Weg des Engländers weiterfolgt.
Nach und nach zeigt sich allerdings: abseits des primär Staub aufwirbelnden Vertriebs-Experiments wirft Yorke das  Hauptaugenmerk mehr denn je auf den produktionstechnischen Aspekt. Die Akribie des Soundtüftlers verfeinert sich zunehmend, die Bandbreite des Sängers tritt dagegen zurück, der Feinschliff von Spezi Nigel Godrich veredelt darüber grandios: ‚Tomorrow’s Modern Boxes‚ ist schlicht und einfach atemberaubend großartig produziert, vielschichtig und sauber geordnet, ohne klinisch zu wirken.
Dies geht allerdings soweit, dass der Sound bisweilen den Inhalt zu formen scheint. Yorke entfernt sich phasenweise vom klassischen Pop-Songwriting, und lässt sich nur zu gerne ohne konsequenten Zug zum Tor entlang der Texturen treiben. Das wundervoll in sich gehende ‚Interference‚ („The ground may open up and swallow us in an instant, an instant/ But I don’t have the right, to interfere, to interfere„) oder ‚Truth Ray‚ schließen so die Augen wie in Polyfauna-Trance, bieten vor allem über Kopfhörer auch weitreichend tiefgehende Soundlandschaften zum darin versinken an – das Ende der Yorke’schen-Expedition ist im Jahr 2014 allerdings auch der Anfangspunkt, der Erkenntniszuwachs hält sich in Grenzen.

Vor allem in der trippig ausfransenden zweiten Albumhälfte (mit dem überlang pluckernden ‚There Is No Ice (For My Drink)‚, das über sieben Minuten wie ein wenig inspirierter Remix eines The Nowist-Songs klingt, spätestens aber mit ‚Pink Section‚, einem rein instrumentalen, ambienten Bindeglimmern ala Sigur Ròs zum elegischen ‚Nose Grows Some‚ als Verneigung vor Boards of Canada) geht ‚Tomorrow’s Modern Boxes‚ beim Schaffen seiner  Atmosphärewelten ein wenig die Luft aus.
Die Magie vergangener Veröffentlichungen, die direkte Verbindung zum Herzen der Hörer, fokussiert das Zweitwerk Yorkes allerdings auch zuvor nie, trotz aller souveränen Routiniertheit, trotz aller betörender Vertrautheit. Dafür fehlt es der Platte einfach an zu vielen Stellen am nötigen Punch, der versierte Tracks über die selbst gelegte Genialitätsmesslatte hinaushebt und abseits der Grundklasse der Nummern die wirklich herausragenden, packenden Momente vermissen lässt.
Dass der Brite sich nicht abermals neu erfunden hat, viel eher Details verschiebt als revolutionäre Ansätze zu liefern und mit seinem Output mittlerweile leicht auszurechnen geworden ist, fällt da deswegen auch deutlich weniger ins Gewicht, als dass  wirklich berührenden Knackpunkte in all der Unangestrengtheit kaum vorhanden sind, ‚Tomorrow’s Modern Boxes‚ sich allzu satt keine emotionalen Hochs und Tiefs leistet, sondern mangels ausgleichendre Reibungspunkte ohne Balance seltsam beiläufig über den Dingen schwebt.

Kaum vorstellbar, dass die Songs von ‚Tomorrow’s Modern Boxes‚ Yorke unter den Fingernägeln gebrannt haben. Die Musik existiert, weil sie es kann und darf, nicht weil sie es muss. Wenn also das griffig pumpende ‚The Mother Lode‘ mit seinen zahlreichen geloopten Voice-Samples paradoxerweise in die Fußstapfen des offenkundigen Thom Yorke-Fanboys SOHN tritt,  ‚A Brain In A Bottle‚ als potente Single wie ein vages Update zu ‚Bloom‚ wirkt oder das traumwandelnde ‚Guess Again!‚ die Idee hat ‚Down is the New Up‚ in die ‚Kid A‚-Wiege zu legen, dann läuft ‚Tomorrow’s Modern Boxes‚  (trotz – oder gerade wegen? – aller Liebe, die man dem Album als Fan blanko entgegenbringt) einerseits auf versöhnliche Art Gefahr, als hungrig hinterlassendes Schubladenleeren im Autopiloten zu gefallen/enttäuschen, wie andererseits gleichzeitig als routinierte Mediation des Melancholiemagiers abgenickt zu werden, die Mangels herzergreifender Killermomente letztendlich doch auch mit der eigenen Erwartungshaltung kollidiert.
Womit ‚Tomorrow’s Modern Boxes‚ zur vielleicht ersten Yorke-Veröffentlichung für den Hintergrundgebrauch wird. Für den Musiker selbst mag das ja die ideale Möglichkeit sein, um den Kopf vor Arbeit an der neuen Radiohead-Platte freizubekommen. Für den Fan hingegen nur die ambivalente Überbrückungshilfe bis zur Fertigstellung eben dieser.

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